Abenteurer im Auftrag des Kublai Khan
Marco Polo ist eine schillernde Figur. Das erkennt der Interessierte bereits, wenn er sich mit dem Geburtsort des berühmten Weltreisenden beschäftigt. Die meisten Quellen berichten, dass er vor 750 Jahren in Venedig geboren wurde. Nach anderen Quellen erblickte er auf Korcula, im heutigen Kroatien, das Licht der Welt. Im 13. Jahrhundert gehörte die Insel zum Einflussbereich der Stadt an der Lagune. Ob Venedig oder Korcula: Für die geschichtliche Bedeutung Marco Polos ist dies ohne Bedeutung.
Venezianischer Kaufmannssohn. Marco entstammt einer Familie von Kaufleuten. Sein Vater Niccolò sowie seine beiden Onkel Maffeo und Marco verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Kauf und Verkauf von Waren. Durch den Fernhandel sind viele Kaufmannssippen wohlhabend geworden und mit ihnen die Stadt, deren Bürger sie sind.
Als Marco geboren wird, liegt der größte Triumph Venedigs gerade ein halbes Jahrhundert zurück: Während des vierten Kreuzzuges ins Heilige Land, 1204, erobert nämlich ein Kreuzfahrerheer, mit maßgeblicher nautischer Hilfe der Stadt, Konstantinopel und plündert es. Der größte Teil der Beute wird auf venezianischen Galeeren in die Lagunenstadt gebracht. In der Folge erreicht der Stadtstaat seine erste Blüte.
Es ist somit ein fruchtbares politisches und wirtschaftliches Umfeld, in das Marco geboren wird. Venedig unterhält Beziehungen zu allen Teilen der damals bekannten Welt, ist weltoffen, und Fremde aus aller Herren Länder bevölkern die Plätze, Straßen und Kanäle der Stadt. Wahrscheinlich hat der heranwachsende Marco schon frühzeitig Umgang mit ausländischen Handelspartnern seines Vaters. Vermutlich lauscht er deren Erzählungen über fremde Länder, über Abenteuer und Gefahren, über Seeungeheuer und Räuberbanden mit offenem Mund. Vielleicht reift damals in ihm der Wunsch, diese exotischen Länder selbst zu sehen.
Aufbruch in unbekannte Welten. Marco Polo ist siebzehn Jahre alt, als sich sein Traum erfüllt. Im Jahre 1271 machen sich sein Vater Niccolò, dessen Bruder Maffeo und er zu der Reise ihres Lebens auf. Den Jüngsten im Bunde wird der Bericht über das Gesehene und Erlebte unsterblich machen.
Für die beiden Älteren ist es bereits die zweite große Reise. Elf Jahre zuvor waren sie schon einmal in die Fremde aufgebrochen. Seinerzeit führte sie ihre Route über Konstantinopel, Sudak auf der Halbinsel Krim – dort unterhielt ihr Bruder Marco der Ältere eine Handelsniederlassung der Familie – und Buchara bis an den örtlich nicht näher beschriebenen Hof des mongolischen Großkhans Kublai. Jener Enkel des legendären Dschingis-Khan hatte damals kurz zuvor die Herrschaft über das von seinem Großvater eroberte riesige Reich angetreten. Nun war er im Begriff, sich auch noch China einzuverleiben. Kublai war von den beiden Venezianern so angetan, dass er ihnen eine Botschaft an den Papst mitgab. Darin bat er diesen, er möge ihm “hundert gelehrte Männer senden, die mit der christlichen Religion und den sieben freien Künsten vertraut und fähig sind, den Gelehrten seines Reiches zu beweisen, dass der Christenglaube jedem anderen überlegen ist … Auch sollen sie Öl aus der Lampe über dem Grab Jesu in Jerusalem mitbringen…“
Im Handumdrehen waren aus venezianischen Kaufleuten Botschafter Kublais geworden. Ein Täfelchen aus Gold, vom Khan signiert, gewährte ihnen freies Geleit durch dessen Reich und die Unterstützung seiner Untertanen. 1269 kehrten Maffeo und Niccolò nach Venedig zurück. Dort erfuhren sie, dass Papst Clemens IV vor einigen Monaten gestorben war. In ihrer Heimatstadt warteten die beiden Brüder zwei Jahre vergeblich auf die Wahl eines Nachfolgers.
Asienreise mit heiligem Öl. Dann machen sie sich erneut zum Aufbruch bereit. Zusammen mit Marco reisen sie nach Jerusalem, um dem Wunsch Kublai-Khans nach dem heiligen Öl aus der Grabeskirche zu entsprechen. In der Stadt treffen sie mit Tedaldo Visconti, dem nachmaligen Papst Gregor X. Er rät ihnen, die Reise an den Hof Kublais fortzusetzen.
In Ayas in der heutigen Türkei erfahren sie, Tedaldo sei zum Papst gewählt worden und erwarte sie in Akko zurück. Also kehren sie um, um ganz offiziell verabschiedet zu werden. Gregor gibt ihnen, statt der vom Khan erbetenen hundert Gelehrten, zwei Dominikanermönche mit auf die Reise, die er mit weit reichenden Vollmachten ausstattet. Offensichtlich ist den beiden nicht wohl bei dem Gedanken, sich Tausende von Meilen durch heidnisches Gebiet schlagen zu müssen: Jedenfalls setzen sie sich ab. Maffeo, Niccolò und Marco Polo ziehen allein weiter.
Auf der Seidenstraße. Über Hormos am Persischen Golf, Kerman, Balc am Hindukusch, Talikan, Kaschgar und Lop folgen sie der Seidenstraße, die bei Lantschou den Huangho überquert. Bei Jintschouan, der nächsten Station, schneidet der Gelbe Fluss die Chinesische Mauer. Marco Polo erwähnt das Riesenbauwerk, das selbst aus dem Weltraum zu sehen ist, mit keinem Wort. Diese Tatsache erhitzt seit Jahrhunderten die Gemüter der Polo-Forscher. Sie sehen in ihr ein Indiz, dass Polo nie in China war.
Ansonsten berichtet Marco von Hitze und Durst in der Wüste, von grünen Hochtälern und klaren Bächen, von nackten Felsen, in denen nicht einmal Vögel nisten, von geschäftigen Städten mit prächtigen Palästen, von Räubern und von einer Krankheit, vermutlich Malaria, die ihn am Fuße des Pamir-Gebirges befällt und ihn fast für ein Jahr ans Bett fesselt. Gelegenheit für den jungen Polo, sich näher mit Land und Leuten zu beschäftigen. So beschreibt er etwa Dickhornschafe, “deren Hörner gute sechs … Spannen lang sind“. Ihm zu Ehren nennt sie die Wissenschaft bis heute Ovis poli.
Botschafter des Großkhans. Endlich, nach vier Jahren, erreichen sie Kublais Sommerresidenz in Schangdu in der Inneren Mongolei. Der Herrscher lässt ihnen ein großes Willkommensfest bereiten. Auserwählte Speisen und Getränke warten auf sie, des Nachts ruhen sie in weichen Betten. Welch ein Kontrast zu den Entbehrungen der langen Reise.
Der Khan und seine westlichen Besucher bleiben nicht allzu lange in der Sommerresidenz, dann steht der Umzug des Hofes nach Canbaluc, dem späteren Peking, an. Hier findet, glaubt man Marco Polo, die erste offizielle Audienz der drei bei Kublai statt. “Er empfing die Briefe und Geschenke Papst Gregors … mit Ehrfurcht nahm er das Öl vom Heiligen Grab an … Dann bemerkte er den jungen Marco Polo und fragte, wer dieser sei.“
Für den nunmehr 21-jährigen Venezianer bedeutet diese Begegnung schlichtweg die Veränderung seines Lebens. Während der folgenden 17 Jahre bereist er im Auftrag des Khans Catai (Nordchina), Mangi (Südchina) und tributpflichtige Länder wie etwa die späteren Länder Vietnam oder Burma. Er lernt heimische Sprachen und Dialekte in Wort und Schrift. Hymnisch lobt er Kublai als weisen und gerechten Herrscher, staunt ob der Sittsamkeit der chinesischen Mädchen, berichtet über Sitten und Gebräuche seines Gastlandes, wundert sich über die Größe der Städte. Dieser Hang zu großen Zahlen wird ihm nach der Rückkunft in Venedig, als Anklang auf den Titel seines Reiseberichtes “Il Milione“, den Spitznamen “Marco Milione“ eintragen.
Rückkehr und Ruhm. 1292 verlassen Maffeo, Niccolò und Marco, vom Khan reich beschenkt, ihre Wahlheimat per Schiff. Über Sumatra, Ceylon und Vorderindien erreichen sie Hormos am Persischen Golf. Zu Lande ziehen sie nach Trabzon am Schwarzen Meer, wo sie sich wiederum einschiffen. 1295 erreichen sie ihre Heimatstadt, in der sie zunächst nicht wiedererkannt werden.
Ihre Erzählungen erwecken zuerst Erstaunen und Bewunderung der Zeitgenossen, sieht die Öffentlichkeit in ihnen doch die Botschafter eines mächtigen Herrschers. Dies ändert sich schlagartig, als der Tod Kublais bekannt wird: Die Bewunderung kehrt sich um in Hohn und Spott. Vermutlich aus Angst vor der Inquisition schweigt Marco fürderhin.
Erlebt oder erfunden? 1298 gerät er nach der für Venedig verlorenen Seeschlacht vor Korcula, an der er als Schiffsführer teilnimmt, für ein Jahr in genuesische Gefangenschaft. Dort erzählt er einem Mitgefangenen aus Pisa, nach dessen eigener Aussage, seine Lebensgeschichte. Jener Rustichello bringt sie als Buch heraus, macht sich und Polo berühmt. Weitere Versionen der Reisebeschreibung folgen durch andere Autoren.
Der Held all dieser Erzählungen stirbt im Jahre 1324. Er findet sein Grab in der Kirche San Lorenzo, in der auch sein Vater begraben ist.
Bis heute sind sich Gelehrte und Forscher nicht einig, ob Marco Polos Reisebericht aus Hörensagen oder eigenem Erleben entstanden ist. Dieses Rätsel harrt weiterhin der Lösung.