Alles zurücklassen und Ihm folgen

25. November 2014 | von

Es ist eine der vielen inspirierenden Initiativen, die von unserem neuen Papst Franziskus ausgehen: das Jahr der Orden, das am 21. November in Rom eröffnet wurde.



Schon lange vor dem Start des „Jahres der Orden“ hat die Idee in Deutschland zündende Funken geschlagen. Sechs Monate vor dem offiziellen Beginn luden Mönche und Nonnen aus verschiedenen Ordensgemeinschaften am 10. Mai 2014 zum Tag der offenen Klöster ein. Interessierte Besucherinnen und Besucher konnten an diesem Tag einen Blick hinter die oft so geheimnisvoll erscheinenden oder aufgrund ihrer Unscheinbarkeit übersehenen Mauern werfen und eine Ahnung von der Vielfalt des Lebens gewinnen, das sich hinter ihnen abspielt.



DAS ALLES VERÄNDERNDE WORT

Was bringt Menschen dazu, ihr bisheriges Leben, Familie, Freunde, Besitz, hinter sich zu lassen und allein IHM nachzufolgen? Die Berufungsgeschichten von Ordensleuten sind so verschieden wie die Menschen selbst, die sich für den engen Weg entscheiden, der zu Heil wird und der sich, über Jahre hinweg, in einen weiten Weg der Freude wandeln kann.

Beispielhaft für viele kann die Geschichte des Mönchsvaters Antonius stehen. Er war Ägypter, stammte von vornehmen Eltern ab und lebte ohne Sorgen, bis er circa zwanzig Jahre alt war und beide Eltern durch den Tod verlor. Eine Weile kümmerte sich Antonius, der nun selbst Herr über den rund 82 Hektar großen Grundbesitz war, um seine kleine Schwester und suchte nach einer Perspektive für sein Leben. Da kam ihm das Wort aus dem Matthäus-Evangelium in den Sinn, in dem es heißt: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen, dann komm und folge mir nach.“ Als wenig später in der Kirche genau dieses Evangelium verkündet wurde, wirkte dieser Zu-Fall wie ein verstärkter Anruf. Antonius verschenkte seinen Besitz bis auf das, was für die Versorgung seiner Schwester nötig war, und lebte fortan als Asket.

Geschichten wie die des heiligen Einsiedlers, dessen wirkliche Auseinandersetzungen mit sich selbst erst begannen, als er ohne die schützenden Hüllen der Beziehungen und des Besitzes ganz mit sich allein war, ist eine typische „Zundergeschichte“. Sie hat das Zeug dazu, den Funken geistlichen Lebens, der in jedem von uns verborgen glüht, zu entfachen, zu nähren und zu einem hellen Feuer werden zu lassen, das alles Überflüssige verbrennt.



LEUCHTTÜRME IM MEER DER WELT

Nicht jeder, der sich für ein geistliches Leben entscheidet, geht wie Antonius in die Wüste, besteigt eine Säule wie Simeon oder wohnt in einer Höhle wie Benedikt. Geweihtes Leben ist vielfältig und wandlungsfähig. Es verwirklicht sich in erster Linie in einem unermüdlich geübten Mut zum Dienen. Der kann in der unerschrockenen Begegnung mit den eigenen Schatten ebenso trainiert werden wie in den Slums von Kalkutta oder auf der Kanzel in dem Bemühen, das Wort Gottes so lebendig zu verkünden, dass es im Leben der Gemeinde Wurzeln schlägt. Geistliches Leben, das sich uneingeschränkt Gott zur Verfügung stellt, nährt sich vom Abenteuer der Verfügbarkeit. Deshalb sind die Formen, die dieses Leben annehmen kann, so facettenreich.

Wirft man einen Blick in die Geschichte des Ordenslebens, wird deutlich, dass es vor allem von zwei Grundfunktionen bestimmt wird. Die erste und wichtigste ist die des Leuchtturms. In einer Welt, die gespalten und zerrissen ist, strahlt das Bemühen um ein ganzes, heiles Leben wie ein Leuchtturm, an dem die Christinnen und Christen in den Gemeinden sich orientieren und ihr eigenes geistliches Leben immer neu auf Kurs bringen können. In gewisser Hinsicht wirkt Ordensleben aber auch als Korrektiv. Seine verschiedenen Ausprägungen entstanden keineswegs zufällig, sie sind vielmehr Antworten auf die jeweils drängenden Fragen der Zeit.



AM PULS DER ZEIT

Ordensgründungen künden im wahrsten Sinne des Wortes von Not-wendigkeit, reagieren sie doch auf Situationen, in denen wir als Christen zur Antwort berufen sind. Einige Beispiele: Die Bewegung der Wüstenmönche entstand in einer Zeit, in der das Christentum zu einer allgemein akzeptierten Religion geworden war. Das bedeutete konkret: Die zuvor sehr strengen Standards wurden gesenkt. Die Vorbereitungszeiten für den Empfang der Taufe wurden kürzer, die Bußpraxis – bis zu diesem Zeitpunkt konnte man nur einmal im Leben beichten und von seinen Sünden befreit werden – wurde neu diskutiert. Die neue Offenheit ermöglichte es vielen, Christen zu werden, für die dieser Weg zuvor nicht gangbar gewesen war. Sie hatte aber auch Einfluss auf diejenigen, denen die unbedingte Nachfolge ohne Abstriche richtiger erschien. Sie suchten radikalere Formen christlichen Lebens und gingen dafür buchstäblich in die Wüste.

Szenenwechsel. Papst Urban steht auf einem Feld in Clermont und erzählt von der Not der Christen in Jerusalem. „Wir müssen ihnen helfen, wir müssen die Heilige Stadt befreien!“ „Gott will es“, ruft die Menge begeistert. Tausende ziehen ins Heilige Land, führen Krieg im Namen des Glaubens, töten schon auf dem Weg dorthin Juden und in Jerusalem auch Christen, denn die fremden Brüder sehen genauso aus wie ihre muslimischen Nachbarn. Schließlich gründet sich ein Ritterorden. Das Unbegreifliche ist nun möglich. Man kann, so die Vorstellung der damaligen Zeit, Menschen im Namen Gottes töten und dafür in den Himmel kommen. Schockierend? Unbedingt! Erschreckend vertraut? Auch dies. Im Sinne des Herrn? Fraglich!



DIE UNENDLICHE PERSPEKTIVE

Auch andere neue geistliche Gemeinschaften entstehen in direkter Reaktion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und Bedürfnisse. Die Bewegung der Beginen, in denen Frauen, auf Dauer oder in einer Art Kloster auf Zeit, gemeinsam beteten und arbeiteten, bot ein Lebensmodell in der Zeit nach den Kreuzzügen, in denen es sehr viel mehr Frauen als Männer gab.

Franz von Assisi reagierte auf ein soziales Umfeld, in dem das Geld begonnen hatte, über die Herzen der Menschen zu reagieren, mit einer Liebe zum Essentiellen, die eine sogartige Wirkung auf die jungen Menschen seines Umfeldes entfaltete und sich in Windeseile in ganz Europa ausbreitete. Dominikus war bewusst, dass es weder sinnvoll noch im Namen Jesu segenbringend sein würde, mit Gewalt auf die Bewegungen der Katharer und Waldenser zu reagieren, die ihrerseits ja auch nur eine Antwort auf die fehlgeleitete Lebensform einer rein diesseitsorientierten Gesellschaft gaben, und gründete den Predigerorden, um mit Herz und Verstand für einen Glauben einzutreten, der die Schöpfung nicht in böse Materie und guten Geist unterschied.

Ignatius von Loyola war sich bewusst, dass die Gegenreformation neue, flexible Formen geistlichen Lebens in unbedingter Treue zum Heiligen Vater benötigte. Mary Ward setzte sich für die notwendige Bildung von Frauen und Mädchen ein, und Teresa von Kalkutta stellte ihr ganzes Leben in den Dienst der Armen und Sterbenden.

Ordensleben ist heute so vielfältig wie nie zuvor in der Geschichte der Kirche. Wer ein geweihtes Leben führt, ist zwar kein Teil einer Massenbewegung, wohl aber ein leuchtender Strahl im lebendigen Licht jener qualifizierten Kerngruppe, die allen Menschen die Kraft zu jenem spirituellen Quantensprung geben kann, den unsere Welt so dringend braucht.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016