Altar der Wunder

28. April 2015 | von

Er ist die Mitte des Heiligtums: der Hauptaltar der Basilika des heiligen Antonius. Der Opfer- und Mahltisch für die Eucharistie bildet den Kulminationspunkt aller liturgischen Feiern. Verschiedene Altarmodelle waren im Laufe der Jahrhunderte hier zu bewundern. Das erste, ein Meisterwerk von Donatello, musste dem barocken Wunsch nach Pompösem weichen. Mit der Rückbesinnung auf schlichte Werte kehrte das einstige Figurenprogramm zurück ins Presbyterium.



Der Eindruck, den die Basilika auf den Besucher macht, wenn er sie zum ersten Mal betritt, ist gewaltig. Da sieht man dann, wie die Menschen mit nach oben gerichtetem Blick und voller Staunen die Größe des Bauwerks bewundern, dessen einzigartige Schönheit durch die kompakte Bauweise der Romanik und die verspielten Elemente der Gotik und des byzantinischen Stils charakterisiert wird.

Nach dem Betreten der Basilika leiten die eleganten Säulen, die das Hauptschiff von den beiden Seitenschiffen trennen, den Besucher wie spirituelle Wegweiser hin zum Herzen des Heiligtums, dem Presbyterium. Hier erhebt sich der Hauptaltar, der Tisch der Eucharistiefeier, die Seele des spirituellen Lebens jedes Christen und der Zielpunkt jeder Wallfahrt.



Baustelle Altarraum

Das Presbyterium heißt auch Altarraum, eben weil sich dort der Hauptaltar befindet. Dieser Raum ist den Zelebranten und Ministranten vorbehalten, ein heiliger Ort, an dem die liturgischen Riten und im Besonderen die Eucharistie zelebriert werden. Die heutige Anordnung des Presbyteriums in der Basilika ist das Ergebnis einer radikalen Umgestaltung aus dem 16. Jahrhundert, als Reaktion auf die Vorgaben des Konzils von Trient. Das Ziel war es, jegliches Hindernis zwischen Zelebrant und Gläubigen zu entfernen. Deshalb wurde das Chorgestühl, das von den Brüdern Cristoforo und Lorenzo Canozzi mit wunderbaren Schnitzarbeiten verziert und leider bei dem Brand von 1749 zerstört wurde, in das durch den Kapellenkranz gebildete Halbrund hinter dem Altar versetzt. Die Bögen, die sich ähnlich einer Ikonostase vor dem Chor befanden, wurden durch die aktuelle Balustrade aus rotem Marmor ersetzt, die an den Seiten von vier schönen Statuen (die Tugenden Mäßigkeit, Glaube, Nächstenliebe und Hoffnung) von Tiziano Aspetti überragt wird. Die Seitenwände, die nun nach der Entfernung des Chores blank blieben, wurden mit wertvollem Marmor verkleidet, unterbrochen von zwölf Bronzeplatten mit Episoden aus dem Alten Testament; zehn sind von Bartolomeo Bellano und zwei von Andrea Briosco. Leider fiel diesen Umstrukturierungen ein Meisterwerk zum Opfer: Der Altar des Donatello, der für den damals herrschenden prächtigen Geschmack zu nüchtern war, wurde abgebaut und durch einen anderen Altar ersetzt. Die Bonzestatuen des Florentiner Meisters, der zu den Großen in der Kunstgeschichte gehört, wurden nach dem Abbau seines Altares an verschiedenen Stellen der Basilika untergebracht.



Der Altar von Boito

Der aktuelle Altar wurde von dem Architekten Camillo Boito anlässlich des 700. Geburtstags des heiligen Antonius (1895) und als Ersatz des vorherigen, barocken Altars, der so wuchtig war, dass er ganze drei Bögen der Apsis ausfüllte, entworfen. Boito lag es daran, ein Werk zu schaffen, das an den vormaligen Altar Donatellos erinnern und auch die Bronzestatuen des Künstlers wieder vereinen sollte. Auch wenn Boito sich wohl intensiv mit seinem Vorbild auseinandergesetzt hatte, haben neuere Studien ergeben, dass sein Altar dennoch sehr von dem ursprünglichen abweicht. Es ist ihm jedoch gelungen, die meisterlichen Statuen Donatellos einzugliedern und ihnen so wieder einen würdevollen Platz unter dem beeindruckenden Kruzifix zu schaffen, das als das größte Meisterwerk innerhalb der Skulpturen gilt. Auch dieses stammt von Donatello (1444-1449). Hier treten deutlich einerseits die Weichheit, andererseits die genaue anatomische Gestaltung des Körpers von Jesus Christus zutage, auf dessen vor Schmerz verzogenem Angesicht sich die ernste, göttliche Würde widerspiegelt. Unter das Kreuz hat Donatello die Madonna mit einem wunderbaren Jesuskind auf dem Arm gestellt, an die Seiten die Statuen der Heiligen Franziskus und Antonius, gefolgt von Justina, Ludwig von Anjou, Daniel und Prosdocimus – alle wunderschön mit ihrer ruhigen, aber doch streng klassischen Ausstrahlung.



Meisterwerke in Hülle und Fülle

Franziskus und Antonius stehen (nur durch das Kreuz getrennt) nebeneinander: der Gründer des Franziskanerordens und dessen glühender und treuer Anhänger. Sie waren auch zu Lebzeiten durch gegenseitige Wertschätzung verbunden, wie der Brief beweist, in dem Franziskus den Antonius als „seinen Bischof“ bezeichnet und ihm erlaubt, den Brüdern die heilige Theologie vorzutragen, „wenn du nur nicht durch dieses Studium den Geist des Gebetes und der Hingabe auslöschst“.

Eingebaut an der Front und der Rückseite des Altars befinden sich die anderen Meisterwerke Donatellos. Die Flachreliefs zeigen die Wunder des Heiligen, die Symbole der vier Evangelisten, den toten Christus zwischen zwei Engeln, eine Gruppe musizierender Putten. Auf der Rückseite eine außerordentliche Darstellung der Grablegung, gehauen in Stein mit noch unvollständigen Formen, wodurch die Dramatik der gezeigten Szene umso deutlicher zum Ausdruck kommt. Den Hintergrund zu dem wundervollen Altar bilden die Bemalungen der Wände des Presbyteriums und des Umgangs, mit Figuren aus dem Alten und Neuen Testament sowie Szenen aus dem Leben unseres Heiligen, wobei dessen Wundertätigkeit hervorgehoben wird.

Auch beachtenswert sind die dichten Dekorationen, die in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts von Achille Casanova, einem talentierten Dekorateur und Vertreter der „Floralen Schule“, geschaffen wurden. Links vom Altar steht auf einem Sockel aus Marmor der wunderbare Kandelaber des Paduaner Bronzekünstlers Andrea Briosco, auf dem sich mythologische Figuren ebenso finden wie Figuren aus dem Alten und Neuen Testament. Dieser Kandelaber war für die Osterkerze bestimmt. Der Sinn in all dem verdeutlicht sich darin: Christus hat durch seine Auferstehung jeder Epoche der Menschheitsgeschichte ihre Bedeutung gegeben.

Nennenswert ist auch das Fresko eines Schülers von Giotto, das sich unter dem Chorbogen auf der linken Seite befindet. Es zeigt den segnenden Antonius, dessen Gesichtszüge denen der Schilderungen seiner ersten Biografen entsprechen, weswegen dieses Fresko seit dem 3. Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts als das „wahre Antlitz des heiligen Antonius“ angesehen wurde.



Spirituelle Interpretation

Der von den Heiligen unter dem Kreuz bevölkerte Altar bietet sich an für eine spirituelle Interpretation, mit dem Schwerpunkt auf franziskanischen Akzenten.

Der die Szene beherrschende, gekreuzigte Christus, und unter ihm die Madonna mit dem Jesuskind, verkörpern plastisch zwei Geheimnisse: die Demut, die in der Menschwerdung Christi liegt, und die Nächstenliebe in der Passion, die Franziskus und Antonius beide durch ihr Leben und ihre Worte, Antonius auch durch seine Schriften (die Sermones), zelebriert haben. Dominierend ist, selbstverständlich, das Kruzifix, denn der gestorbene und auferstandene Christus ist das Zentrum unseres Glaubens und auch der Verehrung des heiligen Antonius. Diese gilt als Mittel, Hilfe und brüderliche Hand, die uns gereicht wird, um gemeinsam auf Jesus Christus zuzugehen. Denn Sinn und Zweck des Heiligenkultes ist es, Gott und Christus durch das Zeugnis der Heiligen zu loben.

Wir können uns das Ganze wie eine „heilige Konversation“ zwischen dem Gekreuzigten, der Madonna, Antonius und Franziskus und den Heiligen der örtlichen Kirche – Prosdocimus, dem ersten Bischof von Padua, und den Märtyrern Justina und Daniel – vorstellen. Hier wird Eucharistie gefeiert, als Vorgeschmack auf künftiges Heil. In den ersten Jahrhunderten der Christenheit, als die Taufkapelle sich noch außerhalb der Kirchen befand, gingen die neuen Christen direkt nach ihrer Taufe in die Kirche, um dort die Eucharistie zu empfangen. Dasselbe geschieht auch bei einer Wallfahrt: Der Gläubige wird, wenn er die Basilika betritt, sofort von dem Christus, der sich über dem Altar der Eucharistie erhebt, angezogen – zu ihm, von dem alles ausgeht und zu dem alles zurückgeht. Auch der Kult um den heiligen Antonius soll die Menschen zu Christus führen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016