Am Rande der Städte
Die Brüder entstammten meist der neuen städtischen Gesellschaft. Adressaten ihrer Predigt wurden Menschen, deren Sprache und Einstellung ihnen vertraut waren. Die neue Verteilung der Konvente entsprach der städtischen Expansion, die im
13. Jahrhundert ganz Europa erfasste. Die Häuser der Brüder waren zahlreicher in jenen Gegenden, wo die Bevölkerungsdichte größer war. Anfangs setzten sie vor allem auf die größten und ältesten Städte, als wichtigste Zentren des Handels und Wandels. Die dortige Bevölkerung war ein reifes Feld für die Evangelisation; hier gab es auch entsprechendes Finanzvermögen, so dass Missionare, die von Almosen lebten, ihren Unterhalt erbetteln konnten. In den Städten lebten viele junge Männer, die – frei von den Fesseln des Feudalismus – neuen Berufungen folgen konnten.
Derartige gesellschaftlich-wirtschaftliche Verhältnisse fanden die Brüder in den reichen Kommunen von Mittel- und Norditalien vor, in den Geschäfts- und Bischofsstädten des Rheinlandes, im südfranzösischen Languedoc, im Becken von Paris, in den Niederlanden und in einigen kleinen, aber florierenden Städten Englands. Man ging in die Städte, um Nachwuchs aus den gebildeten Kreisen zu gewinnen. Bevorzugte Ziele waren deswegen Universitätsstädte wie Bologna, Paris und Montpellier, London und Oxford.
Bettelbrüder als Statussymbole. In ihrer Ausbreitung schritten die Franziskaner schneller voran als die Dominikaner – beide sind Bettelorden. In Deutschland zählten im Jahr 1250 die Dominikaner 38 Gemeinschaften, während die Minderbrüder schon mehr als hundert hatten. Ähnliche Unterschiede lassen sich auch in England und Frankreich feststellen. Ein Grund lag in der größeren Anziehungskraft des franziskanischen Ideals und in der Verehrung des Franziskus unter den Laien. Ein anderer Grund waren die Bestimmungen in den Konstitutionen der Dominikaner: Die Errichtung eines Konventes konnte nur durch das Generalkapitel genehmigt werden. Die Anzahl der Brüder in einem Konvent musste mindestens zwölf betragen, und jeder Konvent musste mindestens einen qualifizierten Lektor der Theologie sein eigen nennen.
Die Brüder suchten die Städte auf, doch die Städte ihrerseits suchten, vor allem ab 1250, aktiv nach Brüdern. Neue Städte, deren Selbstbewusstsein durch aufblühende Wirtschaft und anwachsende Bevölkerung gestiegen war, sahen die Anwesenheit der Brüder als eine wünschenswerte Ergänzung der bürgerlichen Gesellschaft und Symbol des göttlichen Schutzes, das die politische Bedeutung der Stadt steigerte. So ergriffen die Räte von Bern und Zürich die Initiative und luden Brüder ein, sich in ihren Kommunen niederzulassen. Diese Städte erlebten, wie durch deren Wirken im weltlichen und geistlichen Bereich die Verhältnisse verbessert wurden.
Vom Klerus missbilligt. In der ersten Phase gingen die Brüder nach einem bestimmten Schema vor, das sich fast bei allen Städten nachvollziehen lässt. Meist ließen sie sich außerhalb oder neben der Stadtmauer nieder, wobei es in Deutschland und England nicht ungewöhnlich war, dass die Konventsbauten in die Befestigungsanlagen integriert wurden. Kirchen errichtete man in den Vorstädten, denn diese erlebten in den folgenden hundert Jahren eine intensive Entwicklung.
So konnten die Brüder fern vom städtischen Zentrum, das beherrscht war von der Burg des Podestá und den Palästen des Adels, den Neuankömmlingen seelsorgliche Hilfe leisten, den Handelsleuten, den Handwerkern und dem neuen Bürgertum.
Einige Historiker leiten aus der Ansiedlung an der Peripherie eine Missionsstrategie ab, mit dem Ziel, jenen Bevölkerungsteil zu evangelisieren, der einwanderte und sozial entwurzelt war. Am Stadtrand fehlte die seelsorgliche Begleitung durch die traditionellen Pfarreien. Diese wehrten sich gegen die Aufteilung ihres Gebietes durch die Gründung neuer Pfarreien, deshalb blieben viele Laien ohne geistlichen Beistand. Einige Städte hatten rechtlich gesehen nur eine einzige Pfarrei.
Doch letztlich konnten sich die Brüder nur dort niederlassen, wo Wohltäter ihnen Grundstücke und Gebäude anboten. Innerhalb der dicht besiedelten Städte, also innerhalb der alten Mauern, waren Grund und Boden rar und teuer, so es sich nicht um weniger gesundes Gelände handelte, etwa neben einer Metzgerei oder in einem Überschwemmungsgebiet. Ein weiterer Umstand hielt die Brüder von den Innenstädten ab: Meist zeigte der Weltklerus den Neuankömmlingen aus den Ordensgemeinschaften eine feindselige Gesinnung. Selbst wenn ein eifriger Bischof die Brüder als geistliche Mitarbeiter wohlwollend aufnahm, konnte sich der Klerus der Kathedrale oder der Pfarrei ihnen entgegenstellen. Viele Weltpriester sahen in den Ordenspriestern eine unerträgliche Minderung der eigenen Position.
Großzügige Wohltäter. Gilden, städtische Kommunen oder Körperschaften ermöglichten den Brüdern Niederlassungen; sie gaben ihnen Geld oder Material zur Errichtung von Kirchen und Konventen. Anfangs hielt man sich beim Bau von Kirchen und Konventen noch an die Vorschriften der Armut, die durch die Konstitutionen gegeben waren. Die Franziskaner kannten die Mahnung ihres Gründers, alles Überflüssige zu vermeiden, was die Länge, Breite und Höhe der Gebäude betrifft, und sie sollten auf Extravaganzen in der Ausschmückung verzichten. Was sie wirklich brauchten, waren Kirchen für ihr gemeinsames Stundengebet. Dafür reichte zunächst ein schlichtes, kleineres Gebäude. Am Anfang predigten die Brüder auf den Plätzen und Märkten und nützten die Kanzeln der Pfarrkirchen, die ihnen von wohlwollenden Weltklerikern geboten wurden.
Der überraschende Erfolg ihrer seelsorglichen Tätigkeit bei der Stadtbevölkerung änderte alles. Für die schnell wachsende Zahl der Eintrittswilligen waren die ersten Gebäude der Brüder nicht mehr geeignet. Thomas Eccleston schreibt: „Von Tag zu Tag wuchs die Zahl der Brüder, und so konnten die Häuser und Grundstücke, die für eine kleine Schar genügt hatten, für diese Menge nicht mehr ausreichen. Durch Gottes Vorsehung traten außerdem häufig solche Männer in den Orden ein, die der Ansicht waren, und mit Recht, man müsse in aller Ehre für die Zukunft Vorsorge treffen. Auch hatten sich an mehreren Orten die Brüder in ihrer Einfalt so ohne alle Überlegung niedergelassen, dass es notwendig wurde, nicht die Grundstücke zu erweitern, sondern die Häuser völlig zu entfernen" (Bericht von der Ankunft der Minderbrüder in England, 10. Abschnitt).
Monumentale Gottesburgen. Nach 1240 unterbinden die Diözesankleriker Schritt für Schritt die Predigt der Brüder in den Pfarrkirchen. Die Mitglieder der Bettelorden müssen für eigene Gebäude sorgen, um die Gläubigen aufzunehmen, die ihre Predigt hören wollen. Ermutigt durch die Wohltäter aus Laienkreisen, machen sie sich daran, Gebäude zu errichten, die viele Menschen fassen können.
Solche Errichtung oder Erweiterung von Klöstern und Kirchen war in vielen Städten Europas anzutreffen, ermöglicht durch die Großzügigkeit der Fürsten, des Bürgertums und der städtischen Räte. Diese Kirchen waren oft größer als das größte Gebäude der Stadt. Auch das kleine Volk unterstützte diese Initiative. Doch die Regel des Franziskus untersagte es den Brüdern, Geld und Besitz zu haben. Die päpstliche Bulle „Quo elongati" hatte ihnen erlaubt, geistliche Freunde oder Vertrauensleute zu haben, die Geld für Bauten oder andere Nöte sammeln und verwalten durften. Die Gesellschaft hatte keine Schwierigkeiten, sich dieser Einrichtung zu bedienen.