Andere Kommunikation und neue Folgen

13. Juni 2022 | von

Was machen die sozialen Medien mit und aus uns? Wenn der heilige Antonius in der heutigen Zeit leben würde, dann könnten wir sicher sein, dass die Jugendlichen die Nachricht von seinem Tod umgehend in den sozialen Medien verbreiten würden und diese in kurzer Zeit viral wäre.

Die älteste Biografie des heiligen Antonius berichtet davon, wie die Nachricht von seinem Tod von einer Gruppe Kinder und Jugendlicher laut schreiend in der Stadt Padua verbreitet wurde: „Der heilige Pater ist gestorben, der heilige Antonius ist tot!“ Bei seinen Mitbrüdern erzeugte das einen gewissen Unmut, denn sie hätten diese Nachricht lieber nicht so schnell verbreitet, um einerseits die zu erwartende Menschenmenge und andererseits die Rivalität der einzelnen Stadtteile Paduas zu verhindern, die sich nicht wirklich heiligmäßig um das Privileg (und die dadurch entstehende Macht) stritten, die sterblichen Überreste des Heiligen zu hüten.

Und dennoch verbreiteten die Jugendlichen eine wahre Nachricht, die sie – auf welchem Weg auch immer – als erste erfahren hatten. Sie verkünden dieses Ereignis ohne jene Vorsicht und kalkulierende Abwägung, die den Erwachsenen eigen ist.

Virtuell aufgehübscht

Ausgehend von dieser 800 Jahre alten Begebenheit werfen wir einen Blick darauf, wie Jugendliche heute kommunizieren. Hier nimmt natürlich die Welt der sozialen Medien großen Raum ein, die virtuelle Präsenz und die digitale Zugehörigkeit. Eine Frage, die sich daraus ergibt, ist sicher die, wie die Realität und die damit verbundene Vorstellung von Wahrheit in den sozialen Medien verzerrt wird, wo man ein Bild von sich entwirft und der virtuellen Welt präsentiert, das oft verfälscht und bruchstückhaft ist.

Da ist zum Beispiel Lara, die schon als kleines Mädchen Ballett geliebt und Ballettschulen und Tanzkurse besucht hat, auch wenn ihre Figur nicht unbedingt dem Idealbild einer leichtfüßigen Tänzerin entspricht. Denn sie ist recht robust, muskulös und eher untersetzt. Sie ist nicht wirklich dick, aber in ihren eigenen Augen viel zu kräftig. Deshalb ist sie während der Tanzstunden und den entsprechenden Auftritten immer dementsprechend frustriert, wenn sie die anderen leicht wie Libellen tanzen sieht. Sie beginnt, TikTok-Videos zu veröffentlichen, bei denen sie auf der Grundlage von echten Videos ihr Bild verändert: Sie macht mit dem entsprechenden Programm ihre Beine und ihre Hüften schlanker, verjüngt die Taille und lässt sogar ihren Hals graziler wirken. Schnell werden ihre Videos viral, denn sie kommentiert sich und ihre Leistung auf lockere und sympathische Weise. Sie gefällt sich selbst so gut in diesen Videos und sieht sie sich so häufig an, dass sie im Spiegel hinter der Ballettstange nicht mehr ihre etwas behäbige Figur, sondern die schlanke aus ihren Videos sieht. Wie viel Erfolg sie damit hat, wie viel Publikum! Nur stellt sich die Frage, wer Lara wirklich ist. Erkennt sie noch ihr reales Bild oder sieht sie nur noch das Mädchen, das sie gerne wäre und das sie der virtuellen Welt (und sich selbst) als echte Lara vorstellt?

Indirekte Kommunikation, direkte Verletzung

Der wirkliche, real greifbare Körper mit seiner tatsächlich vernehmbaren Stimme – wie damals bei den Kindern und Jugendlichen, die auf den Straßen den Tod des Antonius verkünden – scheint heute als Kommunikationsmittel der Jugendlichen, die ihre Freizeit bevorzugt in und mit den sozialen Medien verbringen, wenig Bedeutung zu haben. Das führt zu paradoxen Formen einer „hybriden Art der Kommunikation“, wo das Smartphone oft die einzige Möglichkeit zum Austausch mit Freunden zu sein scheint. Als Beispiel dafür dient eine Gruppe Jugendlicher, Jungen und Mädchen, die – jede und jeder für sich auf ihr Smartphone konzentriert – schweigend auf einem Bürgersteig vor einem Einkaufszentrum sitzt. Auf einmal steht ein Mädchen auf und wirft einem etwas weiter entfernt sitzenden Jungen „Du Idiot!“ an den Kopf. Kurz danach erhebt sich ein anderes Mädchen mit den Worten: „Das hättest du ihr ja jetzt nicht unbedingt schreiben müssen!“ Wahrscheinlich haben diese Jugendlichen über das Smartphone über ein bestimmtes Thema diskutiert, ohne eine direkte Konfrontation, bis zu der wütenden Reaktion des Mädchens. Auch hier stellt sich die Frage, was diese Jugendlichen als reeller empfinden? Ihre physische Reaktion oder den rein virtuellen Austausch?

Online trifft Wirklichkeit

Wenn also immer häufiger die virtuelle an die Stelle der objektiven Realität tritt, muss man sich fragen, unter welchen Umständen ein echter, vollständiger Kontakt zwischen Jugendlichen stattfindet. Wenn Freundschaften online entstehen und sich innerhalb der Grenzen der virtuellen Welt entwickeln können, wie intensiv erlebt dann ein junger Mensch eine solche Beziehung?

Da ist zum Beispiel Sammy, den seine Mutter nach dem ersten langen Lockdown in Italien mit zu einem Ausflug nach Matera in der Basilikata (UNESCO Welterbe, Kulturhauptstadt 2019) mitgenommen hat. Bei dem obligatorischen Abendspaziergang durch diese Höhlenstadt hören Sammy und seine Mutter auf einmal wundervolle Klaviermusik, gespielt von einer jungen Frau. Als sie mit dem Spielen fertig ist, geht Sammy zu ihr, sie sprechen kurz miteinander und verabschieden sich dann, sehr zur Verwunderung der Mutter, die nicht wirklich versteht, was da vor sich geht. Als sie ihn später danach fragt, antwortet Sammy seelenruhig: „Ich kenne sie, sie ist meine Freundin auf Instagram. Sie wusste, dass ich kommen würde, sie hat mich erwartet. Sie heißt Luna, ich habe schon ein Video von ihr am Klavier gemacht, denn alle sollen hören, wie gut sie ist!“ Sammys Mutter kann es kaum glauben: „Aber wie kann es denn sein, dass du, während wir wochenlang nicht aus dem Haus konnten, eine solche Freundschaft geschlossen hast? Es schien so, als würdet ihr euch schon ewig kennen und hättet euch einfach nur lange nicht gesehen – ich kann das nicht nachvollziehen.“ Sammy reagiert etwas unwirsch, für ihn ist dieses Gespräch bereits vorbei, was dazu gesagt werden musste, wurde gesagt. „Mama, los, lass uns ins Hotel gehen, ich bin müde. Und ich muss Luna auch morgen nicht mehr treffen, wir haben uns doch gesehen.“

Gefahren grenzenloser Kommunikation

Was Freundschaft wohl für Sammy bedeuten mag? Es scheint etwas anderes zu sein als das, woran seine Mutter denkt, ihre Idee von Freundschaft ist Lichtjahre davon entfernt, wie Sammy seine Beziehung zu Luna lebt, bei der es unwichtig zu sein scheint, wie oft oder wie lange sie sich in Wirklichkeit sehen. Und dennoch ist Luna ihm offensichtlich wichtig. Aber die Tatsache, dass sie in Matera lebt und er in Bologna, spielt anscheinend keine große Rolle. Doch die wirkliche Frage, die man sich wohl stellen muss, ist die nach dem Verhältnis zwischen Realität, Wahrheit und vielleicht auch Viralität: Je mehr sich heute eine Nachricht verbreitet, umso wahrer scheint sie zu sein. In allen Beispielen, die wir hier betrachtet haben, gibt es unterschiedliche Schichten, die sich teilweise überlagern, sich gegenseitig ersetzen oder den Platz tauschen, wie in einem Spiel. Und hier liegt wohl auch die größte Gefahr: Es ist leicht, sich selbst zu verlieren in einer Kommunikation, die keine Grenzen zu haben scheint, geteilt und verändert wird, bis man keine Kontrolle mehr darüber hat. Deshalb verlieren die jungen Menschen bei dieser Art der Kommunikation das Gefühl für die eigene Figur, das eigene Wesen, nicht nur das äußerliche, sondern auch das innere. Gerne würde man Lara, Sammy oder das Mädchen, das nach einer virtuellen Diskussion auf einmal ganz real reagiert, fragen, wer sie denn zu sein denken.

Und wer weiß, wie sie die Nachricht vom Tod des heiligen Antonius in den sozialen Medien verbreitet hätten?

Zuletzt aktualisiert: 13. Juni 2022
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