Antonius im Gefängnis
Es war die Idee von Padre Enzo Poiana, Rektor der Antonius-Basilika in Padua. „Seit meiner ersten Tredicina im Jahr 2006 – Tredicina heißen die 13 Tage vor dem Antoniusfest – lässt mich der Gedanke nicht los, dass wir uns nicht nur um die Pilger in der Basilika kümmern dürfen. Wir sollten die Reliquien unseres Heiligen auch in die Krankenhäuser und Haftanstalten in und um Padua bringen. Antonius ist ja der Patron der Armen und Leidenden. Wer ist ärmer dran, wer leidet mehr, als Kranke und Eingesperrte?“
Due Palazzi. „Zwei Paläste“ heißen die Justizvollzugs- und Bezirksstrafanstalten in Padua. „Dort habe ich mich“, so Rektor Padre Enzo, „von der guten Arbeit der ‚Genossenschaft Giotto’ überzeugt, die von den Häftlingen ihre Produkte fertigen lässt. Diese ‚Dolci di Giotto’ – herrlich schmeckende zarte Kuchen, wie sie in Italien zu Weihnachten und zu Ostern verschenkt und verzehrt werden – sind inzwischen auch außerhalb Italiens geschätzt. So wird nicht nur Sühne geleistet, sondern auch Wiedergutmachung.“ Mit dem Präsidenten der „Cooperativa Giotto“ und den Direktoren der Strafanstalten regelte Padre Enzo den Besuch der Antonius-Reliquien in den Haftanstalten sowie die Einladung in die Basilika an Verwaltung, Vollzugsbeamte, ehrenamtliche Helfer, angestellte Sozialarbeiter, Angehörige der Häftlinge und – einige Häftlinge.
Diese heilige Messe am 3. Juni um 18 Uhr wurde von zwei Fernsehanstalten ausgestrahlt, Telechiara und Telepace, und konnte in ganz Italien empfangen werden, auch in allen Gefängnissen. Am 9. und 10. Juni brachte Padre Enzo die Reliquien des heiligen Antonius in die Haftanstalten in und um Padua.
Unter Verbrechern. Sogar eigene Gebetsbildchen waren gedruckt worden, darauf vermerkt die drei wichtigen Tage 3., 9. und 10. Juni 2008. Geschenkt wurde den Häftlingen ein Faltblatt in drei Sprachen (Italienisch, Englisch und Arabisch) mit den Anrufungen der Tredicina: „Denke daran, lieber heiliger Antonius, dass du immer jedem geholfen und jeden getröstet hast, der in seiner Not zu dir kam… Weise mein Gebet nicht zurück, sondern sorge dafür, dass es durch deine Fürsprache bis zum Thron Gottes gelangt… Segne mein Leben und meine Familie… Lass uns in der Stunde des Schmerzes und der Prüfung stark bleiben im Glauben und in der Gottesliebe. Amen.“
Als Evangelium der Messfeier hatte Padre Enzo das Kapitel 23 nach Lukas gewählt, von den beiden Verbrechern, die mit Jesus hingerichtet und gekreuzigt wurden. Der eine verhöhnte ihn: „Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns!“ Der andere Verbrecher wies ihn zurecht: „Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ Dann bittet er: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Auf der Stelle bekommt er Jesu Zusage: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Des Menschen Würde. Wie würde Padre Enzo diese delikate Situation in seiner Predigt meistern? Beim Vortrag des Evangeliums war mir durch den Kopf gegangen, wie sich wohl ein Mensch fühlen mag, der von anderen als Verbrecher tituliert wird. Nun, Padre Enzo nannte als Anlass der Eucharistiefeier: Er habe eine Botschaft der Hoffnung auszurichten an die Gefangenen und ihre Angehörigen, an die Behörden, die Leitung, die Verwaltung, die Wachen, die Erzieher und die ehrenamtlichen Helfer. Er lud ein, gemeinsam die Fürsprache unseres Heiligen zu erflehen. „Antonius hat sich zu Lebzeiten um das Los derer gekümmert, die in Padua eingekerkert waren, hat sogar gegen große Widerstände ein eigenes Gesetz durchgeboxt, um die Situation zahlungsunfähiger Schuldner, die von Wucherern geknebelt wurden, entscheidend zu verbessern. Das von ihm angeregte Gesetz sah vor, die unerträglich harte, oft lebenslange Kerkerhaft in eine weniger schändliche Strafe umzuwandeln. Bitten wir Antonius heute darum, nicht nachzulassen im Vertrauen und im festen Willen, die menschliche Würde zu respektieren oder wiederzugewinnen. Dann erlangen wir die wahre, wirkliche Freiheit: die Befreiung vom Bösen. Wir Christen glauben ja fest daran, dass uns diese Freiheit um einen teuren Preis erkauft wurde, im Opfer Jesu Christi am Kreuz.“
Dann sprach Padre Enzo die Häftlinge direkt an, die über die Fernsehkanäle Telechiara und Telepace den Gottesdienst miterleben konnten: „Nicht nur wir Brüder in der Basilika, ich wage zu sagen, auch die Stadt Padua, hier vertreten durch Behörden, Polizei, Militär, wir alle wollen euch sagen: Ihr seid für uns keine Fremden. Wir haben euch nicht vergessen. Das Wort der Hoffnung, von dem ich zu Beginn sprach, ist nicht mein Wort, ist nicht einfach ein menschliches Wort, sondern Gottes Wort, das uns über seinen Sohn Jesus Christus erreicht.“
Von Angst befreit. Damit war Padre Enzo beim Evangelium angelangt. „Jesus weist unsere Heilserwartungen zurück, wenn sie auf Kraft und Macht beruhen, da diese nur das Böse vervielfältigen, von dem er uns befreien will. Nicht von ungefähr wird Jesus, am Kreuz hängend, höhnend zugerufen: Rette dich doch selber! Sich selbst zu retten um jeden Preis, darauf ist das menschliche Streben aus, diktiert von der Angst vor dem Tod. So herrscht das Gesetz des Habens, der Macht und des äußeren Scheins. Diese Lebensangst führt zum Egoismus. Er ist der eigentliche Tod, weil er im Menschen sein Kind-Gottes-Sein zerstört. Jesus will uns nicht vom Tod befreien, denn der Tod ist gar nicht das eigentliche Übel. Er will uns die Angst vor dem Tod nehmen, denn diese Angst vergiftet das ganze Leben.“
Heil-Anstalt. „Jesus, am Kreuz hängend, zeigt uns, die wir die absolute Einsamkeit fürchten, dass wir gerade in solchen Situationen entdecken können, wie nahe uns Gott ist, wie er uns seine Freundschaft anbietet, und wie er auch in der Erfahrung des Todes an unserer Seite bleibt. Gekreuzigt zwischen zwei Verbrechern, sagt Jesus dem Reumütigen von ihnen das Heil zu: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Dann zitiert Padre Enzo Papst Johannes Paul II.: „Mit dieser Geste der Vergebung enthüllt der Herr den Menschen aller Zeiten seine barmherzige, liebevolle Zärtlichkeit. Der Heilswille Gottes gilt allen. Niemand soll sich ausgeschlossen fühlen. Christus kennt das Innere der Person. Mit seiner Gerechtigkeit überwindet er alle menschliche Ungerechtigkeit, mit seiner Barmherzigkeit besiegt er das Böse und die Sünde. Diese Gewissheit setzt im menschlichen Herzen die nötige Energie frei, sich Tag für Tag auf den Weg der Bekehrung einzulassen, auf dem fortschreitend das Böse aufgegeben und das Gute aufrichtig gesucht wird.“ Jeder trage seinen Teil dazu bei, so schloss Padre Enzo, dass mit Gottes Hilfe die „Straf-Anstalten“ in „Heil-Anstalten“ verwandelt werden, da dort Menschen leben, die „geistlich krank“ sind. Der oberste Arzt, der alle heilt, ist Christus selber. Er kommt mitten unter uns, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben.
Es hat mich berührt, wie die unterschiedlichsten Personen die selbst formulierten Fürbitten vortrugen: Beamte der Verwaltung und des Vollzugs, Sozialarbeiter, Ehrenamtliche und Häftlinge. Zur Gabenbereitung wurden Körbe voller Kuchen an den Altar gebracht, bestimmt für die Häftlinge. Und keiner der Strafgefangenen ist ausgebüxt, auch nicht während des anschließenden Stehempfangs im Kreuzgang neben der Basilika. Doch war ihnen anzumerken, wie sehr sie diesen frommen Freigang genossen haben.