Antonius zuhause bei Franziskus

13. September 2021 | von

Zwei Glasfenster, zwei Heilige, zwei historische Epochen: So illustriert die Basilika in Assisi für die Besucher die Geschichte des Franziskus-Ordens.

Franziskus und Antonius: In welcher Beziehung standen diese beiden hinsichtlich ihrer Geschichte, ihres Wesens und ihrer Neigungen sehr unterschiedlichen Heiligen? Und welche Rolle hatten sie in der Geschichte des franziskanischen Ordens und der Kirche? Es gibt viele Studien zu diesem Thema, und neben den hagiografischen Quellen können auch visuelle Zeugnisse einige Auskünfte geben.

Platz für zwei Hauptrollen

Ein Beispiel dafür sind die beiden Glasfenster der Basilika San Francesco in Assisi, die die beiden Heiligen in unterschiedlichen Epochen zeigen. Die ältere Darstellung geht ungefähr auf das Jahr 1280 zurück und befindet sich auf dem Glasfenster des vierten Jochs in der Nähe des Querschiffes der Oberkirche. Die beiden Heiligen werden fast spiegelverkehrt dargestellt, auch hinsichtlich ihrer Attribute: ein mit einem Kreuz gekennzeichnetes Buch für Franziskus und ein Buch mit einem leuchtend scharlachroten Einband für Antonius. Das ist der Beleg dafür, dass Antonius schon seit der ersten Bauphase zu dem ikonografischen Programm der oberen Basilika gehörte – der Glasfensterzyklus ist noch vor den Fresken entstanden, für deren Erstellung nicht nur die Maler Cimabue und Torriti, sondern auch der noch sehr junge Giotto nach Assisi kamen.
In den oberen Teilen sind einige Szenen aus dem Leben der beiden Heiligen dargestellt – ein Zeichen dafür, dass der Meister des heiligen Franziskus, dem die Erstellung der Entwürfe für diese Glasfenster zugeschrieben wird, sich schon sofort mit der Ikonografie der beiden Heiligen auseinandergesetzt hat. Und hier erwartet uns die erste Überraschung: Während der heilige Antonius in den frühen franziskanischen Quellen eher in einer Nebenrolle präsentiert wird, ist er in der Franziskus-Basilika schon ein Hauptdarsteller, der in vielen Glasfenstern und Fresken gezeigt wird; oft werden die beiden Heiligen zusammen in umfassenden Zyklen gezeigt, aber auch in den kleineren Darstellungen der Deckenbögen der Kapellen.

Eine eigene Antoniuskapelle

Das Fenster neben dem Querschiff der oberen Basilika ist nicht die einzige Glasmalerei, in der Antonius abgebildet wurde. In der dem Heiligen aus Padua gewidmeten Kapelle in der Unterkirche gibt es ein weiteres Fenster, das nur Antonius zeigt. Im Unterschied zu dem ersten Glasfenster, das noch aus dem 13. Jahrhundert stammt, kann man bei dieser Glasmalerei, die einige Jahrzehnte später entstanden ist, eine gewisse Entwicklung der hagiografischen Figur des heiligen Antonius erkennen. Das Fenster des Meisters des heiligen Franziskus fügt sich in das Gesamtprogramm des oberen Hauptschiffes ein, während das in der Unterkirche eine Kapelle schmückt, die ausschließlich dem heiligen Antonius geweiht ist und für die ursprünglich ein malerischer Fresken-Zyklus vorgesehen war, der vielleicht verloren gegangen ist oder aber nie realisiert wurde. Die Geschichten des heiligen Antonius, die heute die Wände zieren, wurden zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Cesare Sermei gemalt, der auch andere Stellen in der Basilika freskiert hat.

Zwei Minderbrüder im Vergleich

Sehen wir uns aber nun die beiden Glasfenster im Detail an. Das Glasfenster in der oberen Basilika ist in der Tat die erste Hagiografie des heiligen Antonius als bildliche Darstellung und auch die erste Erzählung, die die beiden Heiligen direkt miteinander in Verbindung bringt. Diese Wahl, die die beiden Formen der franziskanischen Spiritualität zeigt, ist absolut innovativ. Bei Antonius spielen seine Begegnung mit dem Tyrann Ezzelino da Romano, die Befreiung von Häftlingen aus dem Gefängnis und die Rettung von Matrosen bei einem Schiffbruch eine Rolle. Mit der Wahl dieser Begebenheiten soll kein Parallelismus zwischen dem Leben des heiligen Franziskus und dem des Antonius gezeigt werden, auch wenn ein solcher Parallelismus naheliegt, zum Beispiel anhand der Vogelpredigt des Franziskus, die sofort an die Fischpredigt des Antonius denken lässt. Nur das vierte Paneel macht eine Ausnahme: Es zeigt die Erscheinung des Franziskus beim Kapitel von Arles, wo die beiden Heiligen zusammen dargestellt werden. Diese Episode bildet ein Diptychon mit der Darstellung des heiligen Franziskus am Berg La Verna. In einem Spiel ziemlich deutlicher Querverbindungen verweist die Erscheinung des seraphischen Christus auf dem Berg La Verna auf die Erscheinung des Franziskus in Arles. Thomas von Celano, der als erster in seiner Lebensbeschreibung von der Begebenheit in Arles berichtet (vgl. 1 Cel 48), interpretiert im Nachhinein diese Episode als prophetische Vorwegnahme des Erhaltens der Stigmata – auch der Künstler der Glasmalerei hat sich diese Vorstellung zu eigen gemacht. In einer späteren hagiografischen Interpretation wird der Segen, den der heilige Franziskus seinen Brüdern in Arles spendet, zu einem Segen, der sich ausschließlich an den heiligen Antonius richtet, fast so, als wolle Franziskus dadurch dessen Rolle des Lehrers und Predigers, die er selbst dem heiligen Antonius in einem wohlbekannten Brief zugewiesen hat, bestätigen. 

Gegenseitige Ergänzung

Diese Darstellung wirft Fragen auf: Wie soll man die Heiligkeit des Antonius in Verbindung zum heiligen Franziskus, aber auch innerhalb der Geschichte der Minderbrüder interpretieren? Es ist wichtig, hervorzuheben, dass das Glasfenster mit Franziskus und Antonius in der Oberkirche den Abschluss einer den Aposteln geweihten Bildfolge ist, die auf das Kirchenschiff verteilt ist. Diese Position ist kein Zufall: Franziskus und Antonius werden auf diese Weise zu den Erben der Apostel Petrus und Paulus, in einem Parallelismus, der später auch von der Heiligengeschichtsschreibung so interpretiert wird. Diese Lesart macht auch endlich die Wahl der Episoden aus dem Leben der beiden Heiligen verständlich: Bei Franziskus unterstreichen die gezeigten Szenen seine Übereinstimmung mit Christus, die bei Antonius zeigen eine Heiligkeit, die durch Taten zum Ausdruck gebracht wird. Diese beiden Modelle franziskanischer Spiritualität sind also keine Gegensätze, sondern ergänzen einander.

Verschieden, aber vereint

Sehen wir uns nun die Glasmalerei in der unteren Basilika an, die andere Szenen aus dem Leben des Heiligen zeigt. Das vierteilige Fenster zeigt in den vier Elementen sechs Episoden und wird von einer Rosette mit den Porträts von Brüdern und Heiligen aus dem Orden abgeschlossen. Die Erzählung beginnt im linken Element mit dem Martyrium der Franziskaner in Marokko und ist, wie auch alle anderen Episoden, auf zwei Paneele verteilt dargestellt. Darauf folgen die Entscheidung von Antonius, den Orden der Augustiner-Chorherren zu verlassen und dem Franziskus-Orden beizutreten, und die Fischpredigt. Fortgeführt wird die Darstellung im rechten Element mit der Erscheinung der Maria, wodurch Antonius von einer Versuchung befreit wurde, der Predigt des heiligen Antonius und dem Wunder mit dem wieder angefügten Fuß und schließlich mit der Erscheinung des Franziskus beim Kapitel von Arles. Dieses ikonografische Programm hat sich im Vergleich zu dem der Oberkirche verändert, das zumindest teilweise das Fresken-Programm des Kapitelsaals in der Antonius-Basilika in Padua reflektiert. Dieses Mal sind die Leben der beiden Heiligen parallel dargestellt. Das zeigt sich durch die dargestellte Fischpredigt, die an die Vogelpredigt von Franziskus denken lässt – eine Episode, die in den ersten Dokumenten nicht erwähnt wird, von der jedoch in späteren Lebensbeschreibungen, vor allem in der Rigaldina, berichtet wird.

Spiegel der geschichtlichen Entwicklung

Mit der Rigaldina tritt nun also das Thema der Konformität von Antonius und Franziskus zum Vorschein – die ersten Figuren der franziskanischen Bewegung werden in einer Einheit gezeigt. Antonius ist der Sohn und der Jünger, Gefährte von Franziskus, ein Thema, das in der hagiografischen Literatur und in den Sermones immer deutlicher zum Ausdruck gebracht wird und das eine Antwort sein könnte auf die neuen Anliegen und Interessen des Ordens, der sich seit seinen Anfängen stark verändert hat. In der Fischpredigt legt der Hagiograf Wert auf die Details, die auf den ersten Blick unwichtig erscheinen könnten. Die Fische sind ordentlich aufgereiht, während sie den Worten des Antonius lauschen, ihre Köpfe ragen über die Wasseroberfläche hinaus, vom Kleinsten bis zum Größten, entsprechend einer Aufteilung, die die Hierarchie der Rollen innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft widerspiegelt und die von dem Meister des Glasfensters entsprechend wiedergegeben wird.

Die Rosette mit den Porträts von zwölf Brüdern – auch diese Anzahl ist symbolisch und sinnträchtig – leitet die Interpretation des Lebens von Antonius in Richtung der allgemeinen Geschichte des Ordens, der fähig ist, „Heiligkeit und Kultur, Priestertum und evangelisches Engagement zu vereinen“, wie Antonio Rigon schreibt.

Zwei Glasfenster und zwei Welten: die Geschichte des Franziskanerordens auf einen Blick, in einem antiken Schrein voller Kunst und Spiritualität – der Basilika des heiligen Franziskus in Assisi.

Zuletzt aktualisiert: 13. September 2021
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