Apostel der Deutschen
Mission, Organisation und Reform der Kirche – das Lebenswerk des angelsächsischen Mönches Bonifatius im Fränkischen Reich entfaltete eine gewaltige Wirkung. In gewisser Weise stellte er damit die Weichen für das geistige und religiöse Zusammenwachsen Europas. Vor 1250 Jahren starb er während eines Missionseinsatzes den Märtyrertod.
Der Codex Ragyndrudis war um 700 in Burgund entstanden. 50 Jahre später befand er sich im Reisegepäck des heiligen Bonifatius. Auch als der greise Missionsbischof am 5. Juni 754 im friesischen Dokkum eine Firmspendung vornehmen wollte, hatte er den Codex bei sich. Als Angreifer sich mit Schwertern und Äxten auf Bonifatius und seine Begleiter stürzten, versuchte er sich mit dem Buch zu schützen. An der Handschrift, die heute im Fuldaer Domschatz aufbewahrt wird, sind noch die Schwerthiebe zu erkennen, die ihn trafen und töteten. Die Gebeine der Märtyrer wurden zunächst nach Utrecht gebracht. Auf Verlangen einer Mainzer Delegation wurden die sterblichen Überreste des Bonifatius dann in das Kloster Fulda übertragen, das er selbst gegründet hatte und in dem er begraben zu werden wünschte.
Hervorragende Bildung. Von jungen Jahren an war sein Lebensweg von Büchern begleitet. Als er 672/675 – das genaue Jahr lässt sich nicht bestimmen – in Wessex geboren wurde, erhielt er bei der Taufe zunächst den Namen Winfrid (= Freund des Friedens). Schon als Kind kam er in das Benediktinerkloster Exeter und erhielt an der dortigen Klosterschule eine solide Ausbildung. Später wechselte er in das Kloster Nursling. Dort unterrichtete er als Lehrer. Dass Bonifatius diesen Beruf mit Freude ausübte, belegen die Schulbücher, die er verfasste. Aus seiner Feder stammen eine Grammatik und eine Verslehre. Mit etwa 30 Jahren wurde er zum Priester geweiht.
Im Alter von 40 Jahren entschloss er sich, die Lebensweise vieler iroschottischer Mönche aufzugreifen, die peregrinatio per Christum. Im Frühjahr 716 brach er nach Dorstet in Friesland auf, um den Friesen das Evangelium Jesu zu verkünden. Doch die politische Situation – die heidnischen Friesen wehrten sich gegen die Angriffe der christlichen Franken – ließ seinen ersten Missionsversuch auf dem Festland scheitern. Winfrid-Bonifatius kehrte in das Kloster Nursling zurück, wo er bald darauf von seinen Mitbrüdern zum Abt gewählt wurde.
Im Schutze des Frankenfürsten. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts erlebte das abendländische Europa den Aufstieg einer neuen Macht. Aus den Kämpfen der Völkerwanderung konnten sich im Westen Europas die Franken als neue Großmacht durchsetzen. Deren König Chlodwig hatte sich zum katholischen Christentum bekehrt. Der Hausmeier Karl Martell prägte zwischen 714 und 741 die Politik im Frankenreich. Unter seinem politischen Schutz konnte Bonifatius in diesen Jahrzehnten viel bewirken. Er war sich dessen voll bewusst, denn er schrieb in einem Brief: “Ohne den Schutz des Frankenfürsten kann ich weder das Volk der Kirche leiten noch die Priester und Kleriker, die Mönche und die Gottesmägde beschirmen, noch ohne seinen Auftrag und die Furcht vor ihm heidnische Bräuche und Gräuel des Götzendienstes in Germanien verhindern.“
Legat für Germanien. Als Winfrid im Jahr 718 erneut zur Mission aufbrach, reiste er zunächst nach Rom. Er vollzog damit eine bedeutende Weichenstellung, denn er unterstellte sein missionarisches Wirken dem Bischof von Rom. Er verpflichtete sich, nach römischem Ritus zu taufen und regelmäßig nach Rom zu berichten. Bei diesem Romaufenthalt erhielt er am 15. Mai 719 als neuen Namen Bonifatius, den Namen eines römischen Märtyrers, dessen Fest am Vortag begangen worden war. Nach einem kurzen Aufenthalt bei Willibrord im Friesland ging Bonifatius 721 nach Hessen und Thüringen, an der Ostgrenze des fränkischen Reiches gelegen. 722 reiste er ein zweites Mal nach Rom, wo er am 30. November von Papst Gregor II. zum Bischof geweiht wurde. Danach kehrte er wieder in die hessisch-thüringische Mission zurück.
Aus der Hand des neuen Papstes Gregor III. erhielt Bonifatius das Pallium, das ihn zum Erzbischof beförderte. Bei seinem dritten Romaufenthalt 737/738 wurde er zum Legaten für Germanien ernannt.
Kühne Tat. Durch den Briefwechsel des Bonifatius mit seinem Freund, dem Bischof Daniel von Winchester, wissen wir, dass auch damals über die Missionsmethode gestritten wurde. Daniel von Winchester schlug vor, die Ungläubigen vom Irrtum ihrer religiösen Vorstellungen zu überzeugen und sie mit rationalen Argumenten zur Taufe zu bewegen. Bonifatius hielt nichts von langwierigen Debatten, sondern wollte den Heiden die Machtlosigkeit ihrer germanischen Götter drastisch vor Augen führen. So fällte er im Jahr 722/723 in Geismar eigenhändig die Donareiche, die angeblich das Himmelszelt stützte. Aus ihrem Holz ließ er im nahe gelegenen Fritzlar eine Peterskirche errichten, die 732 in ein Kloster umgewandelt wurde.
Klostergründungen waren ein wichtiger Bestandteil in der Missionsarbeit des Bonifatius. Sie dienten nicht nur als Bollwerke des Glaubens, sondern waren auch Zentren der Bildung, deren kulturelle Ausstrahlung weit in das umliegende Land hineinwirkte. Die Klöster in Ohrdruf (bei Gotha), Fritzlar, Fulda, Tauberbischofsheim, Kitzingen und Ochsenfurt wurden von ihm gegründet. Um sie zu leiten, erbat Bonifatius Unterstützung aus der englischen Heimat und erhielt einige Helfer: Lul wirkte in Fulda und Hersfeld, Wikbert übernahm die Leitung des Klosters Ohrdruf, Burkard wurde später zum ersten Bischof von Würzburg. Auch Frauen wirkten in seinem Gefolge. Erinnert sei an Lioba, die Äbtissin von Tauberbischofsheim, an Thekla, die das Kloster Kitzingen leitete, und an Walburga, die mit ihren Brüdern Willibald und Wunibald in Eichstätt lebte und wirkte.
Trunksüchtige Bischöfe. Die kirchliche Situation im Frankenreich lag sehr im Argen. In seinen Briefen schilderte Bonifatius die Missstände, die er antraf: “Die Franken haben nämlich nach Aussagen älterer Männer seit über 80 Jahren keine Synode abgehalten, keinen Erzbischof gehabt und keine kirchenrechtlichen Bestimmungen irgendwo begründet oder erneuert. Jetzt sind zum größten Teil die Bischofssitze in den Städten entweder Laien überlassen, die nach dem Besitz trachteten, oder aber eingedrungenen, der Unzucht und dem Wucher frönenden Geistlichen, zu weltlichen Genuss.“ Nachdem er sich in einem weiteren Abschnitt über die Unzucht und den Ehebruch von Diakonen, Priestern und Bischöfen beklagt hatte, fuhr er fort: “Auch findet man unter ihnen einige Bischöfe, die zwar sagen, sie seien keine Hurer und Ehebrecher, die aber trunk- und streitsüchtig sind und eifrige Jäger“ (50. Brief).
In enger Bindung an Rom widmete sich Bonifatius nicht nur der Mission, sondern auch der kirchlichen Erneuerung in Germanien. Er bemühte sich um die Ausmerzung heidnischer Bräuche wie zum Beispiel das Tragen von Amuletten, Beschwörungen und Tieropfer. Für die Kleriker führte er strenge Lebensregeln ein: Priester und Bischöfe durften keine Waffen besitzen und mussten allen Formen von Gewalt wie Blutrache, Mord und Krieg abschwören. Weiterhin wurde ihnen die Jagd, das Zusammenleben mit Frauen, die Teilnahme an heidnischen Kultmahlen, Wahrsagen und Zauberei verboten.
Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Neuorganisation der schon bestehenden und die Errichtung neuer Bistümer. Die seit 716 bestehenden bayerischen Bistümer Regensburg, Passau, Salzburg und Freising wurden von ihm reorganisiert. Im Jahr 741 gründete er das Bistum Eichstätt. Dieses wurde, wie die von Bonifatius gegründeten mitteldeutschen Bistümer Würzburg, Büraburg und Erfurt, dem Bistum Mainz unterstellt.
Höhepunkt seines Wirkens um die kirchliche Erneuerung war 742 oder 743 die Abhaltung einer Synode. Das an einem unbekannten Ort abgehaltene Concilium Germanicum wurde von Bonifatius als “Erzbischof und Gesandter des heiligen Petrus“ geleitet.
Krönung Martyrium. Mehrere Bischöfe, unter ihnen Milo von Trier, widersetzten sich den kirchlichen Reformbemühungen des Bonifatius und nahmen nicht an den einberufenen Synoden teil. Sie verhinderten seine Einsetzung zum Erzbischof von Köln. So wurde Bonifatius “nur“ Bischof von Mainz. Nach dem Tod Karl Martells und dem Machtverzicht von dessen Sohn Karlmann fehlte Bonifatius auch die politische Unterstützung. Angesichts seines schwindenden Einflusses zog Bonifatius sich im Alter von 70 Jahren in das Kloster Fulda zurück. Von hier aus wirkte er wieder als einfacher Missionar. Er war fast 80 Jahre alt, als er zu jener Firmreise aufbrach, auf der er am 5. Juni 754 das Martyrium erlitt.
Im Einsatz für das Evangelium hatte Winfrid-Bonifatius Europa durchquert, war von England über Rom nach Germanien gelangt. Sein entschlossener Einsatz im Dienste Roms traf immer wieder auch auf Widerstand bei Bischöfen und Fürsten. Dennoch trägt er den Titel “Apostel der Deutschen“ zurecht.