Argentinien unter der Militärdiktatur

18. April 2013 | von

Nach der Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio aus Buenos Aires zum ersten Papst aus Lateinamerika blätterte die Redaktion des Verlags Messaggero in alten Ausgaben ihrer spanischen Zeitschrift El Mensajero de

San Antonio. Es gibt eine Verbindung zwischen Papst Franziskus und einem Minoriten der Paduaner Ordensprovinz, Fra Carlos de Dios Murias, aus Argentinien.




Fra Carlos de Dios Murias wurde am 18. Juli 1976 von den Militärs in Chamical (Provinz La Rioja, Argentinien) gefoltert und ermordet. Als Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz eröffnete Kardinal Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires, am 31. Mai 2011 auf Wunsch des Bischofs von La Rioja, Roberto Rodriguez, den diözesanen Ermittlungsprozess für ein Heiligsprechungsverfahren im Hinblick auf das Martyrium von Fra Carlos und Gabriel Longueville, einem französischen Fidei-Donum-Priester, der mit ihm gestorben war, sowie Wenceslao Pedernera, einem Laien. Alle drei wurden im Abstand von wenigen Tagen in jenem schlimmen Winter (Südhalbkugel!) des Jahres 1976 umgebracht.



DREISSIGTAUSEND SIND VERSCHWUNDEN

In den 70er Jahren gab es in Argentinien 30.000 Desasparecidos (Verschwundene), deren Mütter bis heute auf der Plaza de Mayo protestieren. Ein Beitrag in der Juli-August-Ausgabe 1986 des Mensajero ist dem Bischof von La Rioja gewidmet, Enrique Angelelli. Er war Freund und Lehrer von Fra Carlos de Dios und  weihte ihn auch zum Priester. Am 4. August 1976, wenige Wochen nach dem Tod seines Schülers, kam er selber bei einem sonderbaren Verkehrsunfall ums Leben, auf der Rückfahrt von einer Messfeier zum Gedenken an Fra Carlos. „Von 1973 bis 1976 verschlechtert sich die politische Situation in Argentinien schrittweise. Die Weltwirtschaftskrise schwächt das ohnehin zerbrechliche Fundament des Landes. Die Behörden zensieren jede Art von Kritik am System, vor allem wenn sie von Seiten der Kirche kommt, die wegen der Befreiungstheologie ohnehin verdächtigt wird. Sogar die Radio-Übertragungen der Messfeiern des Bischofs von La Rioja werden behindert.“ Sich auf die Seite der Armen zu stellen, kommt einem Todesurteil gleich.

Die lateinamerikanische Kirche durchlebte damals die widersprüchlichste und auch fruchtbarste Phase ihrer Geschichte. Die Neuheiten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) drangen von der anderen Seite des Atlantiks mit durchschlagender Kraft herüber. Die lateinamerikanische Bischofskonferenz erschloss auf ihrer Versammlung in Medellin (Kolumbien) vom 26. August bis zum 7. September 1968 die Konzilsdokumente für die dramatische lateinamerikanische Wirklichkeit. Es reifte die Option für die Armen, das Engagement der Kirche in diesem Befreiungsprozess.

Carlos de Dios war einer dieser jungen Priester, er hatte sich für die Sache der Ärmsten begeistert. Geboren wurde er am 10. Oktober 1945 in Cordoba, dort hatte er auch Enrique Angelelli kennengelernt. Im Jahr 1966 trat er in den Minoritenorden ein.



AUF SEITEN DER ARMEN

Im August 2006 schreibt der Mensajero: „Der kirchliche Aufbruch jener Zeit und die wachsende Hinwendung zu den Armen bestärkte Fra Carlos de Dios in seiner franziskanischen Berufung.“ Doch sein Traum war nicht das Leben in einem Konvent oder einer Pfarrei, sondern eine Brudergemeinschaft, die sich auf die Armen einlässt, „um den Wert und die Einfachheit des franziskanischen Charismas der Ursprünge zu leben“. Die Oberen erlaubten diese Versuche nur für die Jahre der Ausbildungsphase.

Zur großen Freude von Carlos schickten ihn seine Oberen nach Chamical, in die Provinz La Rioja, zu Bischof Angelelli, der den Einsatz der Franziskaner für die Bevölkerung der llanos gewünscht hatte; sie gehören zu den Ärmsten in Argentinien. Doch die Kirche von La Rioja saß in jenen Jahren auf einem Pulverfass. Die Militärbehörden ertrugen die Seelsorgsarbeit des

Bischofs nicht mehr, seine Unterstützung der genossenschaftlichen Organisation der Landbevölkerung und sein Beharren auf den Menschenrechten. Als zwei Kapuziner verschleppt wurden, verlangten die Militärbehörden von Carlos de Dios und Gabriel, den Gläubigen eine verharmlosende Erklärung aufzuzwingen.



GEFOLTERT UND VERSTÜMMELT

Für Carlos war jetzt der Augenblick der Wahrheit gekommen. Obwohl er wusste, dass ein Spitzel alles auf Band aufnahm, sagte er in der Predigt: „Die Stimme des Bischofs oder von Fra Carlos können sie zum Schweigen bringen, sie werden aber nie das Wort Gottes mundtot machen.“ Und er fügte hinzu: „Besser, jung zu sterben, nachdem man etwas für das Evangelium getan hat, als alt zu sterben, ohne etwas getan zu haben.“

Am 18. Juli 1976 holten die Militärs Fra Carlo ab, zusammen mit Padre Gabriel. Das geschah nicht zufällig am Geburtstag von Bischof Angelelli; man feierte gerade beim Abendessen im Schwesternhaus. Carlos konnte noch einer Schwester sagen: „Betet intensiv!“ Zwei Tage später wurden ihre von den Torturen entstellten und verstümmelten Leiber neben den Bahngleisen in der Peripherie von Chamical gefunden.

Die Schwester von Fra Carlos de Dios, Marta Murias, erklärte am 21. März 2013 zur Unterschrift von Kardinal Bergoglio beim Ermittlungsprozess für das Heiligsprechungsverfahren: „Für mich ist dies eine ungeheure Genugtuung, damit erkennt der Papst die pastorale Arbeit meines Bruders an. Er hat die Option für die Armen übernommen, für die Carlino gelebt hat und gestorben ist.“ So dürfen wir damit rechnen, dass Fra Carlos de Dios Murias mit seinen Gefährten Gabriel Longeville und Wenceslao Pedernera von Papst Franziskus zum Märtyrer erklärt wird. Das Opfer ihres Lebens darf nicht in Vergessenheit geraten.







Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016