Baumeister mit lebendigen Steinen
Das Bettlerspiel, also in die Rolle eines Bettlers zu schlüpfen, lag dem Franziskus und er spürte: Ich bin Bettler vor Gott und den Menschen. Das muss und will ich zu meinem Lebensprogramm machen.
Sehnsucht nach mehr. Aber sollte das schon alles gewesen sein? Er konnte sich nicht zufrieden geben mit den Möglichkeiten, die ihm das Dasein als Bettler eröffneten. Er musste weiter suchen und fragen. Eines Tages kam Franziskus in die Nähe des Kirchleins San Damiano. Da fühlte er in sich den Impuls, in das Kirchlein zu gehen und zu beten. Er ging auf diese Anregung ein und betete – so gut er konnte – vor der Christusikone von San Damiano, dem Bildnis des Gekreuzigten. Nach der Überlieferung ist dort und in dieser Situation sein Gebet entstanden:
„Höchster, glorreicher Gott!
Erleuchte die Finsternis meines Herzens
und schenke mir rechten Glauben,
gefestigte Hoffnung und vollendete Liebe.
Gib mir, Herr, das rechte Empfinden und Erkennen,
damit ich deinen heiligen
und wahrhaften Auftrag erfülle.
Amen“
Auftrag Kirchenbau. Sicher verweilte Franziskus lange betend und schauend vor diesem gekreuzigten Christus. Er fühlte sich vom Herrn angesprochen: „Franziskus, siehst du nicht, dass mein Haus in Verfall gerät? Geh also hin und stelle es mir wieder her!“ Zitternd und staunend sprach Franziskus: „Gerne, Herr, will ich es tun“ (3Gef 13).
Diese persönliche Anrede durch Jesus und sein Sendungsauftrag lösten bei Franziskus Konsequenzen aus, die sein ganzes künftiges Leben prägen sollten. Musste er jetzt Kirchen bauen? Klar war ihm, dass es nicht reicht, eine persönliche Beziehung zu Jesus zu pflegen und sie als persönliches Geheimnis zu hüten. Er spürte den Auftrag, Kirchen zu bauen. Franziskus, ein Kirchenbauer. Passt diese Rolle zu mir, so fragte der Sohn eines Adeligen sich. Er musste es ausprobieren und begann mit dem Nächstliegenden: San Damiano, das Kirchlein, in dem er sich gerade aufhielt, musste restauriert werden. Ein Stück war er immer noch der alte: Er griff auf das Vermögen seines Vaters zurück. Er holte sein Pferd, belud es mit verschiedenen Tuchen und ritt nach Foligno. Dort verkaufte er Stoffballen und Pferd und kehrte nach San Damiano zurück. Dort traf Franziskus den Priester, der für dieses Kirchlein zuständig war, und bot ihm Geld an, um eine Lampe und Öl für die Christusikonen zu kaufen. Der Priester weigerte sich, das angebotene Geld anzunehmen. Als Franziskus ihn um des Herren willen bat, bei ihm wohnen zu dürfen, bot ihm der Priester Gastfreundschaft an. Das Geld für Lampe, Öl und Kirche nahm er jedoch nicht an – auch aus Furcht vor dem Vater des Franziskus. Franziskus warf es in eine Fensternische und kümmerte sich nicht mehr darum.
Mit Steinen und Mörtel. Franziskus ging der Auftrag nach: „Geh und stelle mir mein Haus wieder her“. Er nahm diese Aufforderung wörtlich. Er bettelte Steine zusammen und schaffte sie nach San Damiano. Allen, die ihm etwas gaben, verhieß er den Himmel. Er trat sehr schlicht auf in der Erfüllung seiner Mission. Man verlachte ihn oft und behandelte ihn wie einen Narren, wie einen, der verrückt geworden ist. Es gab aber auch Menschen, die bewegt waren, als sie sahen, wie er so schnell von seiner großen Leichtfertigkeit und Eitelkeit zu einem ganz neuen Lebensstil und einer ungekannten Frömmigkeit gekommen war. Er, der zu Hause verwöhnt worden war, trug nun auf seinen Schultern Steine und plagte sich bei Bauarbeiten. Er arbeitete mit Steinen und Mörtel als Kirchenbauer. Franziskus hielt lange durch und tat rund zwei Jahre nichts anderes, als Kirchen zu restaurieren: zuerst San Damiano, dann San Pietro in der Nähe von Assisi und zuletzt Portiunkula.
„Ihr werdet im Geist zu einer Wohnung Gottes gebaut“ (Eph2,22) - allmählich ging ihm auf: Bauherr in diesem Sinne war er nicht. Hatte Jesus etwas anderes gemeint mit seinem Auftrag? Ging es um einen tieferen Sinn? Hatte Jesus Tempel mit Steinen gebaut? Dem Herrn ging es doch um Menschen, nicht um Steine und Mauern. Offensichtlich musste er in einem anderen Sinn Kirche bauen.
Wandlung. Schon während seiner Tätigkeit mit Steinen und Mörtel spürte Franziskus, dass bei ihm selber ein Prozess der Umwandlung lief. Er wurde umgestaltet zum Tempel Gottes, zu einem Haus, in dem der Geist des Herrn wohnt. An diesem Prozess beteiligte er sich selber eifrig. Sicher schreib er später nicht zufällig: „Und immer wollen wir IHM dort (im Herzen) Wohnung und Bleibe bereiten“ (NbReg 22,26). Und in seinem Lobpreis Mariens betete er: „Sie gegrüßt, du sein Palast“. Der Beitrag des Franziskus zu dieser persönlichen Umgestaltung war sein neuer, einfacher Lebensstil in Kleidung und Kost, sein Arbeiten und Betteln und vor allem sein Gebet. Auch im Hinblick auf Franziskus und seine Umgestaltung gilt das Psalmwort: „Wenn der Herr das Haus nicht baut, bauen die Bauleute vergebens“. Es war der Herr selber, der unter der Führung seines Geistes ihn zu seiner Wohnung und Bleibe, seinem Tempel und seiner Kirche umgestaltete.
Menschensammler für Christus. Franziskus selber und seine Brüder machten auch später oft die Erfahrung, dass sie dann, wenn sie ein biblisches Wort so wie sie es verstanden umsetzten, oder einen Auftrag ausführten zu tieferer Erkenntnis kamen. Ihr Weg führte sie also über das Üben und Tun zur Erkenntnis. So auch beim Thema Kirchenbau.
Die neue Erkenntnis des Franziskus war, dass er Kirche im Sinne der Gemeinschaft, in der Christus lebt, bauen, die Tischgemeinschaft Jesu mit den Sündern fortsetzen musste. Er fühlte sich berufen, die Blinden, Lahmen, Stummen und Tauben, die Verachteten und Bettler, die Sünder und Frommen zu sammeln, um ihre Herzen zu öffnen, damit Christus bei ihnen einziehen könne. Der heilige Bonaventura berichtet, Franziskus habe zwar begonnen, das steinerne Kirchlein wieder herzustellen, „wenngleich sich der vornehmliche Sinn des Wortes auf jene Kirche bezog, die sich Christus mit seinem Blute erworben, wie ihn der Heilige Geist lehrte und er selbst später seinen Brüdern kundgetan hat“ (Bonaventura, Großes Franziskusleben II,1). Auf dieser Ebene wuchs nun die Kirche. Denn durch den ungewöhnlichen Einsatz des Franziskus wurden Menschen aufgerüttelt und öffneten sich für ein neues Leben. Wir dürfen davon ausgehen, dass sich schon beim Bau von San Damiano und später bei der Restaurierung von San Pietro und Portiunkula ein Kreis von Interessenten sammelte und Kirche verwirklicht wurde.
„Stelle mein Haus wieder her“. So sprach der Jesus, der Herr und wahre Eigentümer der Kirche, Franziskus an. Sein Auftrag galt dem gegenwärtigen misslichen Zustand der Kirche, die durch Verweltlichung und Irrlehren bedroht war. Franziskus spürte, dass er nicht bei sich selbst stehen bleiben durfte. Er musste sich zur Verfügung stellen, um tatkräftig zu bauen, wo Kirche in ihrer Lebendigkeit und in ihrem Glauben schwach und brüchig geworden war. Kirche bauen hieß für ihn in Zukunft: offen sein, sich bereithalten für den Ruf, der ihn leiten sollte, wo er gebraucht wurde.
Franziskus bekam für seinen Auftrag auch Hilfe. Er wusste nun, dass diese armselige Kirche nicht verlassen und führungslos war, sondern dass Jesus Christus sich zu dieser schwachen Kirche bekannte. Dazu kam: Als Gekreuzigter, der die Missstände in seiner Kirche aushält, trägt, und vergibt, und als Auferstandener, der neues Leben schenkt, bleibt Jesus seiner Kirche verbunden.
Es ist glaubwürdig bezeugt, dass der zu Lebzeiten des heiligen Franziskus regierende Papst Innozenz III. ein Traumgesicht hatte, wie „die Kirche des heiligen Johannes am Lateran einzustürzen drohte, und wie ein Ordensmann, unansehnlich und verachtet, sie mit seinem Rücken stützte.“ Der Papst sann über diesen Traum nach. Als er kurz darauf Franziskus vor sich hatte sagte er:
„Wahrhaftig, das ist jener heilige Ordensmann, durch den die Kirche Gottes aufgerichtet und gestützt wird“ (3Gef51).
Stützende Säule der Kirche. Der Maler Giotto hat diesen Traum in der Oberkirche von San Francesco gemalt. Franziskus wird zur stützenden Säule, sein Haupt ist dem Himmel zugewandt. Er schließt die Risse und gibt dem zusammenbrechenden Gebälk der Basilika seine Stabilität zurück. Dies war nur möglich, weil er hinter der armseligen Kirche Jesus selbst als ihren Herrn sah, der auch zur brüchigen Kirche steht. Die Kirche kann nur stützen und reformieren, wer tiefer sieht, in ihr bleibt und mit ihr und für sie arbeitet.
Das Leben des Franziskus war ein Leben in der Kirche, mit der Kirche und für die Kirche. Dabei spielten neben der Hierarchie und den Gläubigen auch die Kirchengebäude, vor allem die Bischofskirchen, eine wichtige Rolle.