Buddhas Weg im Westen
Das Interesse der Deutschen am Buddhismus wächst: Mittlerweile gibt es bei uns rund 100.000 Menschen – Buddhisten asiatischer Abstammung nicht mitgerechnet –, die einen der vielfältigen Wege der Erleuchtung gehen. Für westliche Menschen erscheint der Buddhismus attraktiv als dogmenlose und tolerante Religion, die den Akzent auf Selbstverantwortung legt.
Etwa 200.000 bis 230.000 Buddhisten leben heute in Deutschland. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen sind Menschen asiatischer Herkunft, aus Thailand, Indien, Japan oder die vor Jahren aus Vietnam geflüchteten so genannten boat people. Etwa 100.000 Menschen, die dem buddhistischen Weg folgen, sind jedoch deutscher Herkunft. So hat eine der großen Weltreligionen, die aus einem gänzlich anderen Kulturkreis stammt, mittlerweile auch in Deutschland Fuß gefasst mit – wie Beobachter der “religiösen Szene“ bemerken – steigender Tendenz. Zwischen Mitte der siebziger und Mitte der neunziger Jahre hat sich die Zahl der buddhistischen Gruppen und Zentren in Deutschland ungefähr verzehnfacht. Das Interesse am Buddhismus ist seither stetig angewachsen, so dass sich heute gerade in den Großstädten problemlos buddhistische Zentren finden lassen. Dennoch sind die Beziehungen zwischen asiatischen Buddhisten und westlichen/deutschen Buddhisten eher schwach entwickelt. Kulturelle oder sprachliche Unterschiede scheinen Gründe zu sein, aber auch die “Vorliebe“ für einen der (unterschiedlichen) buddhistischen Wege führen eher zu einem Nebeneinander. Kennzeichen des westlichen Buddhismus ist seine Pluralität, eine Vielzahl der verschiedensten “Schulen“ ist in Deutschland beheimatet, ohne dass eine Schule, anders als in den jeweiligen asiatischen Ländern, dominieren würde.
Lehre des Erleuchteten. Trotz dieser Entwicklung dürfte das Wissen um den Buddhismus in Deutschland durchschnittlich eher gering sein. Buddhismus – was heißt das?
Die Religion geht zurück auf Siddhartha Gautama, der im 6. Jahrhundert v. Chr. in Nordindien lebte. Als Prinzensohn führte er bis zu seinem 29. Lebensjahr ein fürstliches Leben. Die Begegnung mit Alter, Krankheit und Tod, ließ ihn alle Brücken zu seiner Vergangenheit abbrechen und er machte sich auf einen spirituellen Weg, die Welt und das Leiden darin zu verstehen. Nach jahrelangem fruchtlosem Bemühen, fand er schließlich in seinem 35. Lebensjahr die vollkommene Erleuchtung am Ufer des Neranjara-Flusses unter einem Baum, der heute als “Baum der Weisheit“ verehrt wird. Aus Siddhartha Gautama wurde Buddha, der Erleuchtete. Zentral in seiner Lehre sind die „vier edlen Wahrheiten“:
1. Wahrheit vom Leiden: Das Leben im Daseinskreislauf ist letztlich leidvoll. Dies ist zu durchschauen.
2. Wahrheit von der Ursache des Leidens: Die Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung. Sie sind zu überwinden.
3. Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Dies ist zu verwirklichen.
4. Wahrheit von dem Weg zur Aufhebung des Leidens: Zum Erlöschen des Leidens führt ein Weg, der “Edle Achtfache Pfad“. Er ist zu gehen.
Vielfalt der Wege. Wie so häufig in der Religionsgeschichte wurde auch Buddhas Lehre zunächst nicht schriftlich, sondern mündlich weitergegeben. Erst nach seinem Tode begannen seine Jünger, die Lehren aufzuschreiben. Dies sowie die Tatsache, dass sich der Buddhismus von Indien aus in andere asiatische Ländern ausbreitete und damit auch unterschiedliche religiöse und kulturelle Traditionen in sich aufnahm, waren wohl Gründe für die Entstehung der vielfältigen „Schulen“. Richtungen, die sich im Laufe der Zeit im Buddhismus entwickelten, sind zum Beispiel Theravada (der alte oder kleine Weg), Mahayana (der große Weg), Vajrayana (Diamantweg) oder der Zen-Buddhismus, der aus China kommend vor allem in Japan seine Anhänger gefunden hat.
Etwas vereinfachend gesagt, unterscheiden sie sich vor allem in Fragen, die das Verhältnis zwischen monastischem Ideal und dem Leben der Laien betreffen (Wer kann erleuchtet werden?), oder auch durch die unterschiedliche Akzentuierung der einzelnen Wahrheiten: Mal geht es vor allem um die Vermeidung von Leid, mal stärker um Mitgefühl und Weisheit. Im Zen-Buddhismus wird eine Vereinfachung des Lebens angestrebt, um eine Ablenkung von der Meditation zu vermeiden. Versuche durch stundenlanges Meditieren über eine paradoxe Frage sollen zur Erleuchtung führen.
Allgemein kann man aber sicher sagen, dass allen buddhistischen Richtungen die Betonung der Eigenverantwortlichkeit, der Erkenntnisfähigkeit und damit der “Selbsterlösung“ des Einzelnen wichtig ist. Dennoch spielt der Guru, also der spirituelle Führer, in der religiösen Entwicklung eine große Rolle, aber auch hier gilt wieder: Jeder soll sorgfältig prüfen, welcher Weg für ihn der richtige ist. Der Buddhismus kennt keine (im christlichen Sinne) Glaubensdogmen.
Geschichte im Abendland. Das Entré-Billet in die deutsche und europäische Gesellschaft verschaffte Arthur Schopenhauer dem Buddhismus Anfang des 19. Jahrhunderts. Seine philosophischen Gedankengänge ermöglichten es dem Buddhismus (in dieser europäischen Anfangsphase) in Kontakt zu deutschen Intellektuellen, Akademikern und Künstlern zu kommen.
In dieser frühen Phase stand das intellektuelle und philosophisch-ethische Gedankengut im Mittelpunkt des Interesses an einer Religion, die als “Vernunftreligion“ gepriesen wurde.
Bis heute gehören deutsche Buddhisten tendenziell stärker den gut ausgebildeten und sozial höheren Schichten an, wenn sich auch die Akzentuierung in dem gut ein Jahrhundert existierenden deutschen Buddhismus verschoben hat: Lebenspraxis und Meditation sind heute deutlich gewichtiger geworden. Buddhist sein ist – im Verständnis des Buddhismus – vor allem eine Frage der persönlichen Lebensanschauung: Formell beschließt man in einer Zeremonie, sich der “zeitlosen Natur des eigenen Geistes zu öffnen“, indem man sich zu Buddha, zum Dharma (der Lehre, dem Weg) und zur Sangha (der Gemeinschaft der Buddhisten) bekennt.