Burgenfahrt mit Gefühlswerten

01. Januar 1900 | von

“Von da (Koblenz) bis St. Goar und Bingen wird das Tal immer enger, die Felsen schroffer und die Gegend wilder; und hier ist der Rhein am schönsten. Überall belebt durch die geschäftigen Ufer, immer neu durch die Windungen des Stroms, und bedeutend verziert durch die kühnen, am Abhange hervorragenden Bruchstücke alter Burgen, scheint diese Gegend mehr ein in sich geschlossenes Gemälde und überlegtes Kunstwerk eines bildenden Geistes zu sein, als einer Hervorbringung des Zufalls zu gleichen.”. Es war der Dichter und Philosoph Friedrich Schlegel, der diese Eindrücke 1802 auf seiner Reise von Köln rheinaufwärts über die Schweiz nach Paris gewann und ein Jahr später veröffentlichte.

Rheinbegeisterung. Sie gehören zu den frühesten Zeugnissen der Verklärung der Rheinlandschaft. Schlegels Schilderungen und andere literarische Beschreibungen vom Beginn des 19. Jahrhunderts sind Anlass, 2002 das Jubiläum “200 Jahre deutsche Rheinromantik” mit Ausstellungen, Konzerten, Theateraufführungen und vielerlei Veranstaltungen zu feiern. Man gedenkt der Ursprünge des Rheintourismus und seiner frühen Reklameträger. Denn selten wurde eine Landschaft so andachtsvoll betrachtet, so mitreißend beschrieben, so stimmungsvoll gezeichnet wie jene entlang des großen Stromes zwischen Bonn und Bingen.

Das Siebengebirge und mehr noch der Mittelrhein besaßen alle Ingredienzien, die der romantische Mensch zum Beginn des 19. Jahrhunderts an einer Landschaft schätzte: Eine dramatische Naturkulisse, die dieser Abschnitt des damals noch ungebändigten Stromes, eingezwängt zwischen schroffen Felsen und begrünten Bergen, bot.

Mythen und Sagen. Dazu malerische Burgen und Kirchen aus der Zeit des Mittelalters, die - vielfach in Kriegen zerstört - nun als Ruinen an die Vergänglichkeit mahnten. Und nicht zuletzt faszinierte die Fülle von Sagen, die sich um Baudenkmäler oder Naturphänomene am Rhein rankten, etwa um Rolandsbogen, Drachenfels, Mäuseturm oder Loreley. Denn der Zeitgeist setzte – der edlen Einfalt und stillen Größe der Klassik und der kühlen Rationalität der Aufklärung überdrüssig – voll auf die Kraft des Gefühls, auf das Märchenhafte, Phantastische.

Clemens Brentano und Achim von Arnim sammelten auf ihrer Rheinfahrt im Jahr 1802 – “auf den Postschiffen ist ein herrliches Leben, ganz wie im Himmelreich, nur nicht umsonst” - Sagen und Balladen, die sie später in “Des Knaben Wunderhorn” zusammenfassten. Brentano hatte sich wohl schon zuvor mit den Rheinelfen (Luren), die auf den Felsen (Lei) tanzen, befasst. Bereits 1801 tauchte in seinem Roman “Godwi” eine Lore Lay auf, die durch ihre Schönheit die Männer verwirrte und, darob unglücklich, sich vom Felsen herabstürzte. Ein Vierteljahrhundert später sollte Heinrich Heine ihr die Ambivalenz von Schönheit und Gefahr verleihen, die sie zum unsterblichen Symbol des romantischen Rheins werden ließ. Im Besucherzentrum auf dem Loreleyfelsen lässt sich heute diesem Mythos nachspüren. Man erfährt auch allerlei über Flora und Fauna, Geschichte und Geologie, Wirtschaft und Weinbau am Rhein. Nicht zuletzt bietet der Panoramaweg um den Loreleyfelsen berückende Aussichten.

Der Transfer der ästhetischen Vorstellungen vom Rhein durch die Literatur intensivierte schon im frühen 19. Jahrhundert die Reiselust. Auch englische Maler, allen voran William Turner, machten mit ihren Rheinansichten, die oft als Kupferstiche große Verbreitung fanden, die Gegend populär.

Von Künstlern entdeckt. Etliche englische Maler ließen sich sogar am Rhein nieder - einige ihrer Bilder sind im Mittelrheinmuseum in Koblenz zu sehen, dazu Arbeiten Koblenzer Künstler, die im 19. Jahrhundert den Markt für gehobene Souvenirs entdeckten und Bilder im Reisetaschen gerechten Format für britische Besucher schufen. Die bei Turner und seinen Nachfolgern oft zu Ehren gekommene Koblenzer Festung mit ihren weitläufigen Kasematten beeindruckt auch noch die Touristen von heute.

Romantik und Ruinen. Ein beliebtes Motiv der Romantiker war auch die Marksburg hoch über Braubach, heute Sitz der deutschen Burgenvereinigung. Als einzige unzerstörte Höhenburg ist sie die meistbesuchte am Rhein. Mit Rittersaal und Rüstkammer, Kemenate und Burgküche, Webstube und Schmiede dokumentiert sie anschaulich das Leben in alter Zeit.

Präsentiert die Marksburg echtes Mittelalter, so fasst die Stolzenfels romantische Vorstellungen von der Vergangenheit in Stein. Nachdem das Rheinland zu Preußen gehörte, entdeckten die Prinzen die Schönheiten im Süden ihres Reiches, waren entzückt von den romantischen Ruinen. Als Sommerresidenz ließ Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., die ihm von der Stadt Koblenz verehrte Burg Stolzenfels nach Plänen Schinkels ausbauen.

“Matt vor Seligkeit” genoss er den silbermondbeglänzten Rhein von der Terrasse, von einem Ruhesessel am Fenster den Blick in den Pergolagarten mit dem plätschernden Brunnen. Die Säle wurden mit Waffen und Rüstungen ausstaffiert, die Wände ließ er mit mittelalterlichen Szenen ausmalen: Da agieren Walter von der Vogelweide, Barbarossa und Gottfried von Bouillon. Das ganze Schloss war ein Bühnenbild fürs Mittelalter-Theater, in dem kostümierte Dienerschaft die Statistenrolle übernahm und der “Romantiker auf dem Königsthron” auf ritterliche Teilnehmer seiner Tafelrunde harrte.

Für die Ruine Rheinfels über St. Goar fand sich kein romantischer Bauherr. Die einstmals prachtvolle Residenz der Grafen von Katzenelnbogen, die im Lauf der Jahrhunderte zur uneinnehmbaren Festung gewaltigen Ausmaßes ausgebaut wurde, war 1797 von französischen Revolutionstruppen gesprengt worden. “Abends, wenn sich die ganze Ruine mit ihren leeren Fensterhöhlen auf dem blauen Hintergrund des Himmels abzeichnet, gewährt sie einen prachtvollen Anblick”, befand Victor Hugo schon 1840. Daran hat sich nichts geändert. Heute finden an Wochenenden bei Sonnenuntergang Fackelführungen durch die Ruine mit ihrem Labyrinth von Minengängen, Kasematten und Kerkern für angemeldete Besucher statt. Manchmal greift der Burgverwalter dann zum Dudelsack und füllt die Mauern mit den Klängen alter Weisen. Am Rand der riesigen Burgruine wurde das Schlosshotel Rheinfels errichtet, von dessen Restaurantterrasse man einen Panoramablick aufs Rheintal genießt.

Geschichte belebt. Die Oberwesel überragende Schönburg, 1689 zerstört und 1885 wieder aufgebaut, war schon für den Dichter Freiligrath “der Romantik schönster Zufluchtsort am Rhein”. Das hier etablierte Schlosshotel besitzt Kemenaten mit Himmelbetten, alten Möbeln und Stichen; in drei anheimelnden Räumen, im Burghof und auf verwinkelten Terrassen über dem Rhein kann man speisen. Beim Spaziergang durch den Ort überrascht die gotische Liebfrauenkirche Besucher mit dem steinernen Lettner, dem kostbaren goldenen Altar und einer für Weinregionen typischen Madonna, die dem Jesusknaben eine pralle Traube entgegenhält. Den Wein vom Rhein und bodenständige Küche lässt man sich ein paar Schritte weiter in der “Historischen Weinwirtschaft” schmecken. Sie öffnet am Spätnachmittag ihren idyllischen Garten und die Räume des Fachwerkhauses, deren Mobiliar und Dekoration noch an die Aufteilung in Küche, Stube und Schlafkammer erinnern. Als Kontrast zum nostalgischen Ambiente wird Gegenwartskunst ausgestellt.

In Bingen zeigt das neue Historische Museum am Strom neben einer umfangreichen Hildegard-Ausstellung auch Rheinromantik. Hier ist anhand einer Sammlung von Druckgrafiken nachzuvollziehen, wie romantische Künstler ihre Heimat über die Jahrzehnte hinweg erlebten.

Nostalgisches Entzücken. Von idyllischen Biedermeier-Szenen über die Technikbegeisterung für Dampfschiffe und die Veränderung der Uferlandschaft durch den Bau vornehmer Touristenhotels, bis hin zu patriotischer Rheinbegeisterung, die sich im Germania-Denkmal bei Rüdesheim manifestiert, reicht die Palette der Motive. Sicherlich ist die Schifffahrt auch heute noch eine der intensivsten Arten, die Mittelrheinregion zu erleben. Der nostalgische Dampfer “Goethe” transportiert in der Saison täglich Ausflügler von Koblenz nach Bingen und retour. Gemächlich durch diese Landschaft zu gleiten, weckt wahrhaft romantisches Entzücken. Wer wollte da noch Schlegels Feststellung widersprechen, hier sei der Rhein am schönsten.

 

Informationen über die Mittelrhein-Region, Pauschalangebote wie “Wandern von Burg zu Burg” oder “Malen im Tal der Loreley – mit der Staffelei auf den Spuren der alten Rheinromantiker” sowie die informative Broschüre “200 Jahre Deutsche Rheinromantik” und Material über  Sonderausstellungen und Veranstaltungen im Jubiläumsjahr gibt es bei:

Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH, Löhrstraße 103-105,
56068 Koblenz,
Tel. 0261/915200,
Fax 0261/9152040.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016