Christmette am Nachmittag?
Das „Warten auf’s Christkind“ hat früher nicht nur die Adventszeit geprägt, sondern auch den Heiligen Abend. Der 24. Dezember heißt „Heiliger Abend“, weil es der Tag und der Vorabend von Weihnachten ist. Und Weihnachten wird am 25. Dezember gefeiert. Am 25. Dezember ist Weihnachten noch nicht vorbei, sondern da beginnt das Fest erst und dauert bis einschließlich 6. Januar.
Der Zeit voraus
Heute sind wir unserer Zeit ständig voraus. Das hat nichts mit Modernität zu tun, sondern damit, dass wir nicht mehr warten können. Wir gehen die Wege nicht mehr mit, die uns angeboten werden, sondern wollen schon am Ziel sein, bevor wir aufgebrochen sind. Das „Warten auf’s Christkind“ fällt also ins Wasser. Weihnachtsfeiern finden im Advent statt, manchmal auch schon früher. Ab Ende September gibt’s bei ALDI bereits Christstollen und Lebkuchen, Spekulatius und Glühwein, und Mitte November ist die Weihnachtsdeko durch. Wehe, wer bis dahin nicht eingekauft hat…
In unseren Gemeinden spielen wir dieses Beschleunigungsspiel unreflektiert mit. Pfarreien und Verbände legen ihre „Weihnachtsfeiern“ meist in den Advent anstatt in die Weihnachtszeit. Dasselbe gilt für die „Weihnachtskonzerte“. Da gibt es keine Hemmungen, schon Anfang Dezember „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu singen oder auch „Zu Bethlehem geboren“. Die alten Adventslieder fallen unter den Tisch, und es gerät völlig in Vergessenheit, dass die Adventszeit ein geistlicher Weg ist, den wir Tag für Tag gehen sollen, um ganz bewusst Weihnachten als das Fest der Geburt des Erlösers feiern zu können. Denkt eigentlich jemand daran, was den Leuten mit dieser Voreiligkeit genommen wird?
Liturgie mit Wegcharakter
Auch der Heilige Abend besitzt nach dem geltenden liturgischen Recht diesen Wegcharakter. Die Liturgie bietet für diesen Tag eine eigene Messe „Am Heiligen Abend“ an, eine Art Vorabendmesse zu Weihnachten, die am Abend vor oder nach der Vesper gefeiert wird, also frühestens ab 17 Uhr. Die erste Weihnachtsmesse ist die Mitternachtsmesse „In der Heiligen Nacht“. Diese kann aus pastoralen Gründen auch schon am Abend des 24. Dezember gefeiert werden – aber nicht am frühen oder späten Nachmittag. Das maßgebliche Direktorium schreibt dazu: „In Abendmessen kann bei uns auch das Formular der Mitternachtsmesse genommen werden; die Christmette kann also in den deutschen Diözesen schon vor Mitternacht beginnen.“ Allerdings: „Vor Mitternacht“ heißt nicht kurz nach dem Mittagessen oder zur Kaffeezeit, sondern es geht um die Feier einer Abendmesse, also etwa um 22 Uhr, gegebenenfalls schon ab 20 Uhr.
Diese liturgischen Regeln sind nicht als belanglose Empfehlungen zu betrachten: Gemäß c. 846 § 1 CIC verpflichten sie alle Gläubigen, also Priester ebenso wie Laien, Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten ebenso wie Leiterinnen und Leiter von Familien- und Kindergottesdienstkreisen und natürlich auch die mitfeiernde Gemeinde. Dabei geht es, bezogen auf den Heiligen Abend und auf Weihnachten, nicht um die starre Beachtung irgendwelcher Gesetze, sondern darum, dass der je eigene Charakter der einzelnen Tage und der einzelnen liturgischen Feiern gewahrt wird. Insofern ist das Kirchenrecht eine wichtige Hilfe, um Weihnachten zu retten.
Ist Weihnachten noch zu retten?
Und Weihnachten zu retten, das scheint bitter nötig zu sein: So genannte „Christmetten“ werden am Heiligen Abend ab 14 oder spätestens 15 Uhr in wechselnder Besetzung gefeiert: Als Krabbelchaos für Kleinkinder, bei dem vor lauter zupackender kindlicher Begeisterung schon mal einer Krippenfigur der Kopf verloren geht, und das vor allem für leuchtende Augen bei den zahlreich erschienenen Großeltern sorgt. Die wollen dann am liebsten bei dieser Gelegenheit auch noch zur Kommunion gehen; dann haben sie nämlich ihre Pflicht getan und müssen Weihnachten nicht nochmal in die Kirche gehen. Oder es gibt eine „Kinderchristmette“ oder eine „Familienchristmette“, bei denen irgendeine szenische Aufführung im Mittelpunkt steht. Es gibt durchaus Spielszenen, die Kerngedanken der Weihnachtsbotschaft zum Ausdruck bringen. Aber irgendein Märchenspiel – auch das kann man erleben – ist ziemlich daneben. Bei solchen Gelegenheiten ist die Kirche voll, ähnlich wie beim Schulkonzert, denn Mama und Papa, Oma und Opa wollen natürlich die eigenen Kinder auf der Bühne sehen und heute auch noch mit dem Handy ablichten. Um 18, spätestens 19 Uhr ist alles vorbei, denn auch der Pfarrer und die übrigen Hauptamtlichen haben sich schließlich einen ruhigen Heiligen Abend verdient – und wer wirklich den Vorabend von Weihnachten liturgisch feiern oder eine Christmette mitfeiern will, der bleibt auf der Strecke.
Aber ist das so verwegen: Eine Christmette um Mitternacht – das wäre eine echte Alternative zu „Jingle Bells“ und amerikanischem Weihnachtsmann.