Christus ist wahrhaft auferstanden
„Christi Auferstehung ist … der absolut entscheidendste Sprung in ganz Neues hinein", so beschrieb Papst Benedikt XVI. 2006 in einer Predigt das ungeheure Oster-ereignis, die Essenz der christlichen Existenz und Theologie. Folgerichtig steht das Osterfest in der katholischen Kirche im Mittelpunkt des liturgischen Jahres und ist die zentrale Feier für das jährliche Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Dies war nicht immer so. Die Geschichte des Osterfestkreises ist eine komplexe, sowohl kulturhistorisch als auch theologisch.
Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts trat die Feier der Osternacht wieder ins Zentrum der theologischen Aufmerksamkeit und des geistlichen Lebens, was in der Liturgie-
konstitution Sacrosanctum Concilium des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) zum Ausdruck kam: Sie bezeichnet Ostern als das höchste Fest im ganzen Jahreskreis. In der Alten Kirche war das christliche Paschafest für die Gemeinden „das Fest der Feste, die Feier der Feiern". Doch ab dem Frühmittelalter wurde die Osternachtsfeier sukzessive erst auf den Nachmittag, seit dem Spätmittelalter auf den Vormittag verlegt, so dass eine Teilnahme beinahe nur noch dem Klerus möglich war. Die Osternachtsfeier hatte ihre Bedeutung verloren. Dies änderte sich durch die Reformen unter Papst Pius XII. 1951 wurde die Feier der Osternacht wieder auf die Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag angesetzt. 1955/56 kam es zu einer liturgischen Reform der ganzen Karwoche. Wer die Reform miterlebt hat, kann sich womöglich noch an diese erhebliche Aufwertung des Osterfestes erinnern.
Wurzel Paschafest
Das Osterfeuer brennt vor dem Hauptportal, die Kirche ist vollkommen abgedunkelt, die Osterkerze wird hereingetragen, ihr Licht an die Gläubigen verteilt, Weihrauch steigt in die Nase, eine gespannte Atmosphäre voller Vorfreude ist zu spüren, bis beim Gloria alle Glocken läuten und die Kirche hell erleuchtet wird. Christus ist auferstanden! Die Osternacht, wie sie heute in der römisch-katholischen Kirche begangen wird, hat allerdings verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen, deren Betrachtung lohnenswert ist.
Die christliche Urgemeinde feierte Ostern nicht einmal im Jahr, so wie es bei uns Brauch ist, sondern an jedem Sonntag. Wie es zu einem jährlichen Osterfest kam, ist heute weitgehend unbekannt. Die Wurzeln für Ostern als einmaliges Fest im Kirchenjahr dürften im Judentum zu finden sein. Die Christen – zunächst eine jüdische Gruppe von vielen – feierten ohne Zweifel weiterhin das jüdische Paschafest, wobei wesentliche Elemente geändert wurden, da Jesus der christlichen Theologie nach als das wahre Paschalamm gekreuzigt worden war. Der Name „Paschafest" blieb erhalten. Die historische Grundlage der christlichen Neuinterpretation der Paschafeier ist der Todestag Jesu, nach der Chronologie des Evangelisten Johannes der Vortag des Paschafestes. Jesus stirbt also während der Schlachtung der Paschalämmer, so dass Christus das neue und wahre Paschalamm ist.
Unterschiedliche Festtage
Einen einheitlichen Termin für die christliche Paschafeier gab es nie. Vielmehr bestimmte von Anfang an die Vielfalt die Liturgien des Osterfestes. Dies änderte sich auch in den späteren Jahrhunderten nicht, da es noch keine zentrale Liturgiegesetzgebung gab. In der Kirche der ersten Jahrhunderte gab es zwei verschiedene Weisen, das christliche Osterfest zu feiern: die quartodecimanische (von lateinisch: quartodecimani, abgeleitet von quarta decima = der Vierzehnte) und die dominikale (von lateinisch: dominica dies =Tag des Herrn) Osterfeier. Vor allem im klein-
asiatischen Raum (entspricht in etwa der heutigen Türkei) feierten die Christen der Urkirche ihr Osterfest am jüdischen Paschatermin in der Nacht vom 14. auf den 15. Nisan. Aus diesem Grund wurde diese Praxis die quartodecimanische Feier genannt. Sie orientierte sich am Todesdatum Jesu. Das jüdische Pascha war an einen bestimmten Termin, nicht aber an einen bestimmten Wochentag gebunden.
Ab dem 2. Jahrhundert gab es einen konkurrierenden Ostertermin: den Sonntag als Tag der Auferstehung. Die Verfechter dieses Termins waren weiterhin von der jüdischen Tradition abhängig, da die jüdische Berechnung der Paschafeier für die Festsetzung des christlichen Festes mitbestimmend war. Das Osterfest wurde bei der dominikalen Praxis am Sonntag nach dem jüdischen Pascha begangen. Bei dieser Feier, die vor allem in Rom und Alexandrien praktiziert wurde, stand die Auferstehung Christi im Mittelpunkt. Erst im 4. Jahrhundert setzte sich die dominikale Praxis als einheitlicher Ostertermin durch, so dass wir seitdem Ostern am ersten Sonntag nach Frühlingsvollmond feiern.
Die „Nacht der Nächte"
Um einen Einblick in die Feier der Osternacht in den ersten Jahrhunderten zu bekommen, ist die älteste überlieferte Osterpredigt mit dem Titel Peri Pascha (Über das Osterfest) aus der letzten Hälfte des 2. Jahrhunderts hilfreich. Prediger war Melito, Bischof von Sardes (die alte Hauptstadt Lydiens). Da ein Zuhörer die Predigt notierte, ist sie in großen Teilen bis heute bekannt. Aus seiner Predigt kann man erschließen, dass Ostern am Anfang liturgisch in einer einzigen Nacht begangen wurde. Das frühchristliche Paschafest wies dabei eine zweiphasige Struktur auf. Es bestand aus einer Trauer- und einer Freudenphase. Ein prägendes Element dieser Trauerphase war die Zeit des Fastens. Den letzten Abschnitt des Fastens und den Übergang zur Freudenphase begingen alle Gläubigen liturgisch gemeinsam in der Ostervigil. Die Gläubigen wachten in der Gedächtnisfeier, weil sie in der Osternacht auf die Ankunft des wiederkommenden Christus warteten. Melito bezeugt, dass ein Bestandteil der Vigilfeier eine Schriftlesung aus Exodus 12 war. In diesem Text aus dem Alten Testament wird die Nacht vor dem Auszug der Israeliten aus Ägypten beschrieben, in der Lämmer geschlachtet und die Türpfosten mit Blut bestrichen wurden. Man vermutet, dass innerhalb der Osternacht parallel zum Wortgottesdienst die Anwärter zum Christentum getauft wurden. Die heute nicht mehr überall vorgetragenen, aber eigentlich vorgesehenen neun Lesungen hatten im Ursprung daher den Zweck, die versammelte Gemeinde während der Taufe zu beschäftigen. Nach Mitternacht, zum Hahnenschrei gegen 3 Uhr, wurde das Fasten schließlich gebrochen, und es begann die Freudenphase mit der Eucharistie.
Nachvollzug des Ostergeschehens
Ab dem 4. Jahrhundert entfaltet sich die frühchristliche Osterfeier zu jener Gestalt, die in ihren Grundlinien bis heute die Liturgie von Ostern bestimmt. Vor allem sind hier die Weiterentwicklung der Ostervigil, die Entstehung des Triduum Sacrum (wörtlich: Heilige Drei-Tage-Zeit, heute: Die drei österlichen Tage) vom Karfreitag bis zur Osternacht beziehungsweise zum Ostersonntag und der Heiligen Woche, sowie das Himmelfahrtsfest am 40. und das Pfingstfest am 50. Tag zu nennen. Diese Zählung richtet sich nach den Angaben des Lukas in seinem Evangelium und seiner Apostelgeschichte.
Ein wichtiges Gestaltungsprinzip in der Liturgie Jerusalems, dessen Gemeinde zur damaligen Zeit noch die Mutterkirche der Christenheit darstellte, war, dass Lesungen, Gesänge und Gebete an den Originalschauplätzen vorgetragen werden konnten. Es entwickelte sich dadurch eine spezielle Stationsliturgie, das heißt, dass an den einzelnen, in den Evangelien genannten Orten Stationen abgehalten wurden, ähnlich dem später aufkommenden Kreuzweg. Ein Beispiel dazu ist die Nachahmung des Einzugs Jesu in Jerusalem am Palmsonntag. Der Bischof übernahm beim Einzug in die Stadt die Rolle Jesu und wurde von Kindern, die Palmenzweige trugen, begleitet. Somit war der Nachvollzug des Geschehens weitaus besser erleb- und erfahrbar. Im 4. und
5. Jahrhundert unternahmen viele vornehme Damen Pilgerreisen ins Heilige Land. Eine dieser Reisen wird von der religiösen Pilgerin Egeria in ihrem persönlich verfassten Reisebericht ausführlich beschrieben. Egeria war eine wissbegierige Frau und schrieb ihre Erlebnisse vom Osterfest in Jerusalem in Form von Briefen an ihre zu Hause gebliebenen Freundinnen.
Aus ihren Aufzeichnungen werden weitere Bestandteile der Osterliturgie deutlich. Sie beschreibt, dass der Zeitraum vom Donnerstagnachmittag bis zum Freitagabend in der Woche vor dem Paschafest, die mit der Feier des Palmsonntags beginnt, besonders heraustritt. Am Nachmittag des Karfreitags findet in der Jerusalemer Hauptkirche die Verehrung des Kreuzes Christi statt. Die ganze Woche strebt auf die Vigilfeier in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag als Höhepunkt hin. Die Feier beginnt mit einem Lichtritus im Hof vor der Gemeindebasilika. Parallel zum anschließenden Wortgottesdienst mit zwölf alttestamentlichen Lesungen in der Kirche wird in einer Taufkapelle die Taufe gespendet. Nach Mitternacht ziehen die Neugetauften in die Kirche ein, in der ihnen zusammen mit der Gemeinde die neutestamentlichen Lesungen verkündet werden. Auf die Predigt folgt die Eucharistiefeier und am Ende der Feier wird am Grabe Jesu das Evangelium von der Auferstehung verlesen.
Liturgische Parallelen
Mit einem abschließenden Blick auf wichtige Parallelen zwischen den Osterfeiern in der Alten Kirche und der heutigen, uns vertrauten Osterfeier der römisch-katholischen Kirche soll verdeutlicht werden, in welch langer Tradition die Christen heute dieses Fest begehen. Wie die Pilgerin Egeria beschreibt, begann im 4. Jahrhundert in Jerusalem die Karwoche, ebenso wie heute, mit der Palmsonntagsprozession. Am Gründonnerstag wird der Gottesdienst und damit das Triduum Sacrum mit der ersten Lesung aus Exodus 12 eröffnet. Dieser Text, der vom jüdischen Paschamahl und dem Auszug aus Ägypten handelt, spielte bereits im 2. Jahrhundert bei Melito von Sardes eine wesentliche Rolle. Auch heute noch ist die Lesung vom Auszug der Israeliten aus Ägypten vorgeschrieben. In den beiden Hauptteilen der Karfreitagsliturgie, dem Wortgottesdienst und der Kreuzverehrung, ist das Jerusalemer Vorbild aus dem 4. Jahrhundert zu erkennen, auch wenn die Gestaltung der Kreuzverehrung in den Gemeinden heute unterschiedlich gehandhabt wird. Wenn Blumen oder Zweige von den Gläubigen vor dem Kreuz abgelegt werden, ist das in einigen Kirchen ein recht eindrückliches Zeichen. Dass die drei Gottesdienste des Triduum Sacrum eigentlich immer noch eine einzige liturgische Feier darstellen, ist heute nur noch versteckt zu erkennen: Der Gottesdienst am Gründonnerstag wird zwar liturgisch eröffnet, aber nicht mit dem Segen beendet. Den Schluss der Feier markiert meist die Übertragung des Allerheiligsten an einen anderen Aufbewahrungsort. In der Karfreitagsliturgie fehlen Eröffnung und Abschluss. Die Lichtfeier in der Osternacht setzt zwar einen betonten Auftakt, doch fehlt auch hier die liturgische Eröffnung. Einen Abschlusssegen gibt es erst am Ende der Osternachtsfeier.
Wesentlich erscheint, dass vom Palmsonntag bis zum Ostersonntag das ganze Heilsmysterium gefeiert wird, allerdings mit verschiedener Akzentsetzung. So hört die versammelte Gemeinde beispielsweise bereits am Palmsonntag die Passionsgeschichte und empfängt innerhalb der Karfreitagsliturgie die Kommunion.
Vielfalt und Wandel
Vielfalt prägte die liturgische Gestaltung des Osterfestes in den ersten fünf Jahrhunderten. Die Dynamik und Fülle der Liturgiegestaltung sind auch in der heutigen Zeit noch erkennbar. In zahlreichen Gemeinden beginnt seit einigen Jahren die
Osternachtsfeier nicht mehr am Samstagabend, sondern erst am frühen Sonntagmorgen, wodurch die Feier mit dem Sonnenaufgang endet, also Christus als das Licht der Welt für die feiernde Gemeinde in einem weiteren Aspekt sinnlich erfahrbar wird. In anderen Pfarreien wird das Osterfest wieder als Ganznachtfeier von Samstag auf Sonntag gefeiert. Die Vielgestaltigkeit, die die Anfänge der Urkirche prägte, schimmert auch in der Kirche unserer Zeit durch. Es ist und bleibt spannend, in welche Richtung sich die Osterfeier weiterentwickeln wird, welche Elemente erhalten bleiben und welche durch neue abgelöst werden. Kirche ist und bleibt immer im Wandel.