Das „Gesangbuch des Teufels“

27. September 2005 | von

Die einen betrachten das Kartenspiel als harmlosen Zeitver-treib. Andere hat es in den Ruin getrieben. In früheren Jahr-hunderten verdammten kirchliche und staatliche Obrigkeiten die Spielkarten als moralisch verwerflich und ließen sie gar auf Scheiterhaufen verbrennen.

Die etwas vorlaute Legende weiß es wieder einmal besser. Ihr zufolge wurde das Kartenspiel erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts zur Zerstreuung des schwachsinnigen Königs Karls VI. von Frankreich auf Veranlassung seiner schönen Freundin Odet-te erfunden. Aber zumindest in diesem Fall gilt die Regel Cherchez la femme nicht, welche sich unter den Historikern nach wie vor einer gewissen Beliebtheit erfreut. Denn nicht auf die junge Odette, sondern auf den alten Orient scheint das Kartenspiel zurückzugehen. Dafür spricht unter anderem eine Notiz in einer venezianischen Chronik, der zufolge in der Lagunenstadt schon um 1299 mit Karten um Geld gespielt wurde. Venedig unterhielt bekanntlich rege Handelsbeziehungen zum Osten.

Dominikaner deutet Kartenspiel. 1377 dann veröffentlicht der Dominikanerpater Johannes von Rheinfelden bei Basel eine theologische Abhandlung mit dem Titel Ludus cartularum mo-ralisatus – will sagen, was wir in moralischer Hinsicht vom Kartenspiel lernen können. Nämlich, dass es neben den Königen auch Marschälle und Bauern gibt und dass diese Ständeordnung gottgewollt ist; ferner, dass wer obenan sitzt, naturgemäß mehr Rechte hat als die Untergebenen – und dass alle Menschen da-nach streben, auf der Siegerseite zu stehen. Offensichtlich wurden schon zu Zeiten des Johannes von Rheinfelden verschiedene Arten von Kartenspielen gepflegt, denn, so der Dominikaner wörtlich: „Die Leute malen Karten und spielen sie in der einen oder anderen Weise.“ Gleichzeitig überliefert er uns die ursprüngliche Form: „Vier Könige sind auf vier Karten dargestellt und jeder hält ein bestimmtes Zeichen in der Hand. Von diesen Zeichen bedeuten einige Gutes, andere aber Böses. Nach den Königen kommen zwei Marschälle, der eine hält das Zeichen in der Hand wie der König, also oben (daher die Bezeichnung „O-ber“). Der andere hält es nach unten (der „Unter“).“ Es folgt eine ausführliche Beschreibung der weiteren Karten, aber leider hat der Klostermann das Wichtigste vergessen, nämlich uns die Spielregeln mitzuteilen.

Schmähung des Spieltriebs. Bereits zehn Jahre bevor Johannes von Rheinfelden seinen Traktat verfasste, wurde in Bern ein Spielverbot erlassen; der Umgang mit Karten war offenbar der öffentlichen Moral doch nicht so förderlich, wie der Dominika-nermönch annahm. Tatsache ist, dass die Prediger die Spielkar-ten schon damals gern als „Gesangsbuch des Teufels“ bezeich-neten.
Dieser Ansicht war auch der Franziskaner Johannes Capistranus (1386-1456), der in vielen Städten Scheiterhaufen für Spielkarten und Würfelspiele errichten ließ. Langfristig scheint seine Bußschelte dann doch nicht viel genützt zu haben. In den auf uns gekommenen Inventarverzeichnissen der Bürgerhäuser mag die Wascheinrichtung fehlen, bestimmt aber finden wir das Spielbrett, die Würfel und die Karten. Die Frauen richteten Spielkränzchen (so genannte „Karthöfe“) ein, und zeitgenössische Stiche zeigen allenthalben Trinkgelage, karten- und würfelspielende Liebespaare und Landsknechte. Gegen diesen allgemein verbreiteten Spieltrieb kamen auch die Pfarrherren nicht an. Der Augustinermönch Abraham Sancta Clara sah sich im 17. Jahrhundert gar genötigt, ausgerechnet dem Wiener Klerus die Leviten zu lesen: „Es ist bestimmt kein gutes Zeichen, wenn die Diener Gottes die Spielkarten mischen, statt im Gebetbuch zu blättern.“
Aber nicht nur die staatlichen und kirchlichen Obrigkeiten verteufelten die Spielkarte. Auch viele Geistesgrößen äußerten sich besorgt oder verärgert – so etwa der Philosoph Arthur Schopenhauer: „Das Kartenspiel ist der deklarierte Bankrott angesichts aller Gedanken. Weil die Leute nämlich keine Gedanken auszutauschen haben, tauschen sie Karten aus und suchen einander Gulden abzunehmen. O klägliches Geschlecht!“ Auch das war in den Sand geschrieben.

Derbe Strafordnung. Seit gespielt wird, gibt es auch Falschspieler – und entsprechende Gegenmaßnahmen. So erließ der Arzt und Astrologe Leonhard Thurneysser im Jahr 1583 für die Berliner Gastwirte eine Strafordnung: „Wer die Karte von zween Spielern beglotzert hat und kommt eyn Lüstleyn, eynem etwas kundzuthun durch Klappern mit den Augen oder er schwatzet mit dem Maul, den soll man pönitieren um 30 Pfennige in guter Müntz oder eyn Krügelein voll Märtzbier zu gemeynem Besten, dann verjag ihn. Wer aber bedünket, so voll Weisheit zu seyn, dass er den Spielern will nicht recht gespielet, den soll man auf sein Maul schlagen, auch ime das Käpplein über die Ohren treyben, denn er ist ein Esel, dazu soll man ihn verstäupen und werffe ihn auf die Gass.“ Und natürlich hat Leonhard Thurneysser auch die zuschauenden Besserwisser nicht vergessen, unter denen die Spielenden schon damals zu leiden hatten: „Wer denen fleißigen Spielern über die Achseln gucket, also dass ine eyn heiße Angst wurt, den soll man bald verjagen und heißt ihn ein Kiebitz.“

Klösterlicher Zeitvertreib. Irgendwann verfielen die Herrscher auf den Gedanken, dass die Kartenspieler auch ihnen einen Obolus schuldeten. Frankreich war das erste Land, welches eine Abgabe auf Spielkarten erhob. Seit 1583 wurde von den Spielkartenherstellern eine Steuer für jedes angefertigte Spiel gefor-dert. Um 1700 besteuerte man in Deutschland einheimische Kartenspiele mit einem Groschen, ausländische Fabrikate mit zwei Groschen. Wer ungestempelte Karten benützte, riskierte eine derart hohe Geldbuße, dass die ihm Lust am Spiel von selbst verging.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war das Kartenspiel gerade in Klöstern äußert beliebt, wenn sich die Mönche ein oder zwei Mal die Woche zur gemeinsamen Erholung zusammenfanden. Aber auch dieser harmlose Zeitvertreib ist schließlich dem Zeit-geist zum Opfer gefallen. Schuld daran hat weder ein Johannes Capistran noch ein Abraham a Sancta Clara, sondern der Flimmerkasten.

 

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016