“Das ist mein Leib für euch”
Die Feier der Eucharistie ist “die Mitte des Glaubens und der Kirche“, betonte Papst Johannes Paul II. bei der Eröffnung des Eucharistischen Jahres im Oktober 2004. Ihm geht es in diesem Gnadenjahr darum, das Geheimnis der Eucharistie neu zu erschließen, seine Feier zu vertiefen und seine Anbetung zu fördern.
Der Heilige Vater hat mit dem “Jahr der Eucharistie“ den Diözesen und Pfarren der Weltkirche einen Themenschwerpunkt vorgegeben. Es soll von Oktober 2004 bis Oktober 2005 dauern. Wird diese neue Vorgabe nicht manchen Pastoralkonzepten hinderlich sein und zu spiritueller Mehrspurigkeit führen? Die Bedenken werden zerstreut, wenn man über die Zielsetzung des “Eucharistie-Jahres“ in dem Apostolischen Schreiben liest. Papst Johannes Paul II. erwartet nicht, dass geplante und bewährte Pastoralprogramme unterbrochen werden. Er will vielmehr, dass unsere pastoralen Bemühungen “eine Akzentuierung der eucharistischen Dimension erfahren, die dem ganzen christlichen Leben zu eigen ist“.
Das “Thema des Monats“ möchte diesem Ziel dienen und zeigen, wie vielfältig das Geschenk der Eucharistie Leben weckt und schenkt. Das “Geheimnis des Glaubens“ offenbart sich als “Leben in Fülle“.
Wirkung auf Nichteingeweihte. Wie mag wohl die Eucharistiefeier auf einen
gebildeten Nichtchristen aus einem anderen Kulturkreis wirken? Einige Eindrücke des Fremden: Ein Mann – der Priester – in einem fremdartigen Gewand spricht über eine weiße Scheibe irgendwelche Worte, und danach über einen schönen, mit Wein gefüllten Becher. Menschen knien nieder, obwohl man das nicht einmal vor großartigen Menschen tut. Und dann gegen Schluss der Feier bekommen die Leute, die nach vorne kommen, ein kleines Scheibchen Brot, das sie meist ganz gesammelt zu sich nehmen und essen.
Zwei Fragen möchte ich hier stellen, die jeder für sich beantworten kann.
1. Könnte die Messe so gestaltet beziehungsweise “reformiert“ werden, dass sie in ihrem spirituellen Reichtum jedem unmittelbar verständlich ist?
2. Hätte mir der interessierte Messebesucher Fragen gestellt, welche Antworten hätte ich geben können?
Jesus hat die Eucharistie angesichts seines bevorstehenden Todes eingesetzt. Die “Zwölf“ – sein engster Jüngerkreis – haben mit ihm das Paschamahl gefeiert. Das jüdische Ostermahl, in dem man der Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft gedenkt und die Geburtsstunde des Gottesvolkes feiert, wurde für Jesus zum “Abschiedsmahl“. Die Worte, die Jesus hier außerhalb der vorgegebenen Liturgie über Brot und Wein sprach, klangen fremdartig. Doch die Apostel verstanden, dass ihr Meister damit sein Leben gedeutet hat, und dass er in dem unvermeidbar gewordenen Konflikt sterben werde. Die Worte der “Selbstdeutung“ waren zugleich sein Testament für die Jünger und die Kirche, die aus dem Jüngerkreis hervorging.
“Das ist mein Leib.“ Weil die Eucharistie “Quelle und Höhepunkt“ allen kirchlichen Lebens ist (2. Vat.), sind die Worte, die der Priester über Brot und Wein spricht, nicht nur Wandlungsworte sondern auch Verkündigung. Wenn Jesus über das Brot die Worte spricht: “Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ meint er damit seine ganze menschliche Person, sein Leben, das er für andere ganz eingesetzt hat und jetzt als Beweis seiner Liebe im Tod hingibt. Ähnlich sind die Worte über den Kelch zu verstehen.
Und in den sakramentalen Zeichen von Brot und Wein wird den mitfeiernden Gläubigen in der Messe Anteil geschenkt an der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn, der hier “in herausragender Weise“, wie das Konzil sagt, gegenwärtig ist. In der Kommunion soll das Leben Christi, das ein “Leben für uns“ ist, stark machen für ein Leben für andere.
Gott gibt sich selbst. Den ältesten Bericht über das Abendmahl Jesu hat uns Paulus überliefert: “Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (1 Kor 11,23-24).
Schauen wir auf Jesus, wie er gelebt hat. Immer wieder finden wir ihn bei den Menschen: bei den Fischern am See, bei den Frauen und Kindern, bei Armen und Reichen, bei den Ausgestoßenen und Sündern, bei den Gesunden und Verkrüppelten, bei den Fröhlichen und Einsamen. Für alle ist er da. Von der bedingungslosen Liebe Gottes erzählt er, und die Menschen haben gespürt, wie sehr Gott, den er seinen Vater nannte, seine Heimat war.
Ausgerechnet in jener Nacht, da man ihn aus der Welt hinausgestoßen hat, schenkt er sich vorbehaltlos dieser Welt. Er “übereignet“ sich uns in einer Weise, dass ihn künftig keine Macht der Welt mehr daran hindern kann, bei den Menschen zu sein. Jesus ist der Gott, der für immer bei den Menschen sein will. Indem Jesus sagt: “Nehmt und esset alle davon“, liefert er sich “wehrlos“ den Händen der Menschen aus. Er ist sich bewusst, wie viel Blut und Schuld an diesen Händen kleben können. Warum er es trotzdem getan hat?
Weil in seiner Einladung jedes Angst- und Unwürdigkeitsgefühl genommen werden soll: Komm zu mir, mit deinem zerbrechlichen oder zerbrochenen Leben, überlass mir all deine Schuld, und ich gebe dir Gottes Liebe dafür. Der Empfang der heiligen Kommunion ist somit immer mit dem Bekenntnis verbunden: “Ich schaffe es nicht aus eigener Kraft“.
Der wehrlose Gott legt sich in unsere Hände, damit wir ihn in allen Leidenden und Bedrängten dieser Welt erkennen. Er blickt uns entgegen vor allem aus den ratlosen, hilfesuchenden Augen der Wehrlosen.
Der Gott, der sich uns so anvertraut, will uns auch sagen: “Wenn Gott sich dir wie ein Lamm ausliefert, dann darfst du dich nicht wie ein Wolf benehmen.
Warum gerade Brot? Brot ist die Lebensgrundlage. Es musste in biblischer Zeit täglich gebacken werden als Brotfladen. Man konnte davon keine Vorräte anlegen. Darum lehrt uns Jesus auch beten: “Unser tägliches Brot gib uns heute ...“ Jeder Bissen Brot soll uns daran erinnern, dass wir unser Leben und unsere Nahrung, alles Lebensnotwendige Gott verdanken. Dieses Gebet bewahrt uns davor, Gott zu vergessen.
Darum ist es konsequent, dass Jesus Brot nimmt, um uns nahe zu sein. Brot, ein Grundnahrungsmittel, das sich auch im ärmsten Haushalt gefunden hat. Mit dem Stück Brot und dem Schluck Wein beginnt unerhört Neues. In der Eucharistiefeier sagen wir Dank für einen Gastgeber, der sich selbst gibt, nicht nur etwas von sich. Der Geber ist die Gabe. Mit diesem Brot und dem Schluck Wein wird schon ein Stück der alten Welt gewandelt in jene neue Welt, in der Gott alles in allem sein wird. “Wie in einem Prisma fasst diese Feier deshalb das Ganze unseres Glaubens und unserer Hoffnung zusammen“ (W. Kasper).
Geist der Fußwaschung. Der Evangelist Johannes bringt keinen Bericht über die Einsetzung der Eucharistie. Die Fußwaschung scheint die Mitte im Rahmen des letzten Abendmahles zu sein. Die Worte, mit denen Jesus nach der Waschung der Jünger seine Handlung deutet, klingen ähnlich wie nach der Einsetzung der Eucharistie. Nur heißt es nicht “tut dies zu meinem Andenken“, sondern “ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit ihr so einander tut, wie ich euch getan habe.“
Soll uns mit diesem Zeichen des niedrigen Dienstes, den Jesus seinen Jüngern tut, nicht deutlich gemacht werden, dass wir ihm selbst begegnen, wenn wir einander die Füße waschen. Immer wird es die Füße des Nächsten geben. Deswegen können wir in dieser Form des Dienstes immer die Gegenwart Gottes erfahren. Dieser Dienst am Nächsten mag gerade jenen ein ganz starker Trost gewesen sein, die vor ihrem Sterben nicht mehr den Herrn in der Eucharistie empfangen konnten. Denken wir etwa an Maximilian Kolbe, den Märtyrer von Auschwitz, der durch seine verzeihende Liebe allen “die Füße gewaschen hat“, den Mitleidenden und den Henkern.
So hat Franz Jägerstätter, der einfache Bauer, der wegen Wehrdienstverweigerung in der Nazizeit hingerichtet wurde, diese Gegenwart Christi auch in der Kerkerzelle gespürt – ohne den Trost des eucharistischen Brotes, das er sonst täglich empfing.
Der Evangelist Johannes wollte uns durch den Bericht von der Fußwaschung eine alte biblische Grundwahrheit neu sagen, dass man nicht am Nächsten vorbei Gott begegnen und lieben kann. Der Geist der Fußwaschung macht “eucharistie-fähig“.
Erst den Hungrigen sättigen. Der Zusammenhang von Caritas und Eucharistie muss uns immer wieder bewusst werden. Der heilige Johannes Chrysostomus (4. Jh.) sagte in einer Predigt: “Jener, der gesagt hat: ‘Dies ist mein Leib’, ist der gleiche der gesagt hat: ‘Ihr habt mich hungrig gesehen und mir nichts zu essen gegeben’, und ‘Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan’ ... Was nützt es, wenn der eucharistische Tisch überreich mit goldenen Kelchen bedeckt ist, während er Hunger leidet? Beginne damit, den Hungrigen zu sättigen, dann verziere den Altar mit dem, was übrig bleibt.“
Im Tabernakel gegenwärtig. Seit langem gibt es in der katholischen Kirche den Brauch, betend einzukehren vor dem Tabernakel, wo Christus in der Gestalt des Brotes gegenwärtig ist, damit Kranken und Sterbenden jederzeit diese heilige Speise als Wegzehrung gereicht werden kann. Christus ist gegenwärtig für alle, die Trost und Kraft erbitten, Dank sagen und sein Antlitz suchen. Seit jeher sind die katholischen Kirchen Orte einer besonderen Gegenwart Gottes in seinem Sohn. Gott ist zwar allgegenwärtig, aber um des Menschen willen, der seine Geschichte und seine Grenzen hat, werden bestimmte Orte Anlass zu einer unverwechselbaren Begegnung zwischen Gott und Mensch. “Dies ist ein bewohnter Ort“, schrieb der evangelische Prior von Taizé, Roger Schütz, über die dortige katholische Dorfkirche, vor deren Tabernakel er lange zu beten pflegte.
Solche bewohnten Orte sind Quellgründe beständiger spiritueller Erneuerung für einzelne und für die Gemeinde am Ort.
Vor dem Tabernakel brennt ein sogenanntes “Ewiges“ Licht. Es zeigt dem in die Kirche Eintretenden an, dass Christus “sakramental“ gegenwärtig ist. Es lädt ihn ein, Jesus durch das Beugen der Knie zu grüßen. (aus: Kapellari E., Heilige Zeichen).
Sich versenken. Ich bin gewürdigt worden, vor Gott hinzutreten, Beziehung zu ihm zu finden, ihn anzubeten. Das macht meine höchste Würde aus. Wenn ich anbete, stelle ich mich vor einem unendlich Größeren und begreife, dass ich immer schon aus Quellen lebe, die jenseits meiner Verfügung liegen. Ich verdanke mich dem schöpferischen Willen Gottes, und die “Fülle des Lebens“ wird mir geschenkt. Dazu muss ich leer, offen und empfänglich werden. Die “innere Stille“ bereitet für Gott. Ich versenke mich in die Gegenwart des Herrn. Ich lasse ihn auf mich wirken. Ich schaue ihn an – er schaut mich an. Er setzt sich mir aus – ich setze mich ihm aus. Wir sprechen doch auch von der “Aussetzung des Allerheiligsten“.
Franziskus und die Eucharistie. Auf der Kreuzikone von San Damiano, die Franz von Assisi so sehr geliebt hat, ist der Gekreuzigte als Lebendiger dargestellt. Das Christusbild des Gekreuzigten und Auferstanden prägte sein Leben. Er verehrte diesen für uns arm gewordenen Christus als erhabenen König und göttlichen Herrn.
Franziskus hat das “Paschamysterium“, von dem die Liturgiekonstitution des 2. Vatikanums öfters spricht, tief erfasst. So ist für ihn die Heilige Messe keine Erinnerungsfeier an ein vergangenes Geschehen, sondern ganz aktuell das “Herabsteigen“ des Sohnes Gottes zu uns – um uns “hinaufzuführen“.
In der Eucharistiefeier sieht er eine beständige Herablassung Gottes, eine Weiterführung der Menschwerdung. Er schreibt darüber: “Täglich demütigt er sich wie damals, als er in den Schoss der Jungfrau trat, täglich kommt er zu uns, demütig anzusehen, täglich steigt er herunter auf den Altar in die Hände des Priesters.“ Dieses Herabsteigen Gottes zu uns und seine Gegenwart unter uns in der Eucharistie kann Franziskus nie genug bestaunen. Die Eucharistie ist für ihn das Geheimnis über allen Geheimnissen, vor dem sich die ganze Schöpfung verbeugt. In seinem “Sendschreiben“ an die Gläubigen fordert der Heilige diese auf, die heilige Kommunion oft und würdig zu empfangen. Seine Verehrung und Wertschätzung der Priester gründet in deren Vollmacht die heiligen Geheimnisse zu feiern.
Immer wieder fordert er die Priester seiner Bruderschaft und alle anderen auf, die Messe würdig zu feiern und die eucharistischen Gaben in kostbaren Gefäßen aufzubewahren. Franziskus, der sonst alles so arm haben wollte, lässt für den Gottesdienst würdige Gefäße und Gewänder beschaffen und sieht es als Aufgabe seiner Brüder an, die Priester auf Missstände aufmerksam zu machen. Die Mahnung des Heiligen, die er oft wiederholte, ist immer noch von Bedeutung, nämlich die Liturgie nach der Weisung der Kirche zu feiern. Franziskus lebt aus dem “Geheimnis des Glaubens“, im geschwisterlichen Umgang mit der Schöpfung und als Herold des großen Königs, der immer wieder eingeladen hat, das “Herabsteigen Gottes“ zu bestaunen und den Herrn anzubeten.