Das Mathematische im Leben

29. Juli 2008 | von

 

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung veranstaltet seit dem Jahr 2000 zusammen mit der Initiative Wissenschaft im Dialog die Wissenschaftsjahre. Gemeinsam mit der Deutsche Telekom Stiftung und der Deutschen Mathematiker-Vereinigung wird 2008 das Jahr der Mathematik ausgerichtet. Aber was ist Mathematik? Und wo begegnet sie uns?



Viele sind heute der Meinung, Mathematik sei immer trocken gewesen und würde es demnach wohl auch bleiben. Als Beleg führen sie die vielen berühmt-berüchtigten Darstellungen des Mathematikunterrichts an, in denen die Mathematikausbildung mit dem Einpauken unverständlich erscheinender, abstrakter Beziehungen fast gleichgesetzt wird. Dem widerspricht die Vielzahl der Menschen, die sich auch in ihrer Freizeit mit Mathematik beschäftigen, und sei es nur, indem sie eines dieser momentan so populären Sudokus knacken.



Zwei Standbeine. Eigentlich ist Mathematik so alt wie die Menschheit, denn gezählt wurde schon immer, und Zahlen sind ja die Urbausteine jeder Form von Mathematik. Trotzdem kann man von einer systematischen Ausübung erst ab 3000 vor Christus sprechen. Ausgehend von der Antike, teilt sich die Mathematik zunächst in zwei große Bereiche. Die Algebra behandelt das Rechnen mit Zahlen und – zum Zwecke der Verallgemeinerung – mit Buchstaben. Hier wurden schon früh Regeln und Verfahren aufgestellt, um Gewinne, Verluste, Zinsen und vieles mehr zu berechnen. Das zweite große Standbein der Mathematik, die Geometrie, ist sogar noch älter als die Algebra. Sie behandelt Eigenschaften von Punkten, Linien, Flächen und Körpern und widmet sich auch dem Problem der Messbarkeit. Die Mathematik wurde in der Antike schon professionell betrieben. Als Beispiel hierfür mag die philosophische Schule des Pythagoras von Samos (circa 570 bis 480 vor Christus) gelten. Nach ihm ist einer der bekanntesten geometrischen Lehrsätze benannt. Ein Kernsatz der pythagoräischen Lehre lautete: „Alles ist Zahl." Dies bedeutete, dass alles durch ganze Zahlen und ihre Verhältnisse ausgedrückt werden konnte. Einen Rest davon erkennen wir heute, wenn wir die Intervalle in der Musiklehre betrachten. Hier hat sich das Verhältnis zweier ganzer Zahlen als maßgeblich für die Art des Intervalls erhalten. Die Frequenzen zweier Töne im Oktavabstand verhalten sich wie 1:2, die einer Quinte wie 3:2 und so weiter. Was für eine Enttäuschung, als gerade Mitglieder dieser Vereinigung erkennen mussten, dass so etwas Banales wie die Diagonale in einem Quadrat der Kantenlänge 1 keine rationale Länge besitzt. Es heißt, der Entdecker dieser Tatsache musste ihre Veröffentlichung mit dem Leben bezahlen. Zum Glück ist heute Mathematik für ihre Betreiber meist weit weniger gefahrvoll.



Moderne Analysis. Für viele Jahrhunderte war das Wissen der alten Griechen, gewürzt mit ein paar neuen Erkenntnissen aus dem indisch-arabischen Kulturraum, der Grundstock jeder Mathematikausbildung. Bis weit in die Neuzeit hinein waren schließlich die „Elemente" des Euklid (circa 365 bis 300 vor Christus) das maßgebliche Lehrwerk im Mathematikunterricht. Diese Mathematik genügte auch, um so etwas Fantastisches wie die Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung abzuleiten (1619). Dann jedoch war die Zeit reif für umfassende Umwälzungen. Wie so oft wurde ein bedeutender Schritt nach vorne an mehreren Orten gleichzeitig von verschiedenen Personen vollzogen. In England entwickelte Sir Isaac Newton (1643 bis 1727) Ende des 17. Jahrhunderts die Differentialrechnung (veröffentlicht 1687), um seine Studien der Mechanik effektiver zu gestalten. Gleichzeitig fand der Deutsche Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 bis 1716) die Gesetze der Infinitesimalrechnung (veröffentlicht 1684). Trotz des bis zu ihrem Tode andauernden Prioritätenstreites können beide gleichberechtigt als Begründer der modernen Analysis bezeichnet werden. Die Mathematik trat einen Siegeszug durch alle Naturwissenschaften an.



Zahlenfürst. In einem auch noch so kurzen Abriss über die Entwicklung der Mathematik darf ein Name nicht fehlen, nämlich der von Carl Friedrich Gauss (1777 bis 1855). Er war der ungekrönte „Fürst der Mathematiker". Jedem bekannt ist wohl die Geschichte aus dem Leben des kleinen Gauss, der in der Schule die Zahlen von 1 bis 100 aufsummieren soll und nach wenigen Augenblicken das Ergebnis parat hat. Anstatt der Summe

1 + 2 + 3 + … + 100 bildete er aus den vorgegeben Zahlen 50 Paare mit der Summe 101 und rechnete folgendermaßen: (1 + 100) + (2 + 99) + (3 + 98) +

… + (50 + 51) = 50 x 101 = 5050. Diese Leistung ließ erstmals auf das junge Genie aufmerksam werden.



Der spätere Göttinger Professor vollbrachte auf nahezu allen Gebieten der Mathematik Außergewöhnliches, zum Beispiel in der Zahlentheorie, der Algebra und auch der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Auf Grund seiner Verdienste war ihm ein kurzes Gastspiel auf dem letzten deutschen 10-Mark-Schein vergönnt. Dort ist auch die von ihm entdeckte Normalverteilung einschließlich der sie beschreibenden Formel zu sehen.



Im Leben verankert. Heute ist die Mathematik aufgeteilt in viele Teilbereiche, man betrachte nur die Vorlesungsverzeichnisse der Universitäten. Aber Mathematik ist nicht nur eine Wissenschaft für den universitären Elfenbeinturm. Mehr denn je durchdringt sie oft nahezu unbemerkt alle Bereiche des Lebens. Die Datenverarbeitung in modernen Rechnern, die Verschlüsselung persönlicher Daten beim Transfer über das Internet, die Kalkulation von Risiken bei Versicherungen, die Optimierung von Flugrouten, Verpackungen und Ähnlichem, die Minimierung von Eigengewicht bei Flugzeugen neuester Bauart, das Auswerten von GPS-Daten in Navigationssystemen. Ohne die Mathematik in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen wären all diese Dinge überhaupt nicht möglich. Das sollten jene bedenken, die – und hier schließt sich der Kreis unserer Betrachtungen – die Mathematik als etwas Trockenes und nur um sich selbst Kreisendes betrachten.







 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016