29. Dezember 2015
Das pulsierende Herz des Evangeliums
Papst Johannes Paul II. hat das Jahr 1983 als „Heiliges Jahr der Erlösung“ gefeiert (siehe Foto). Gut drei Jahrzehnte später hat Papst Franziskus am 8. Dezember 2015 die „Heilige Pforte“ im Petersdom für das „Jahr der Barmherzigkeit“ geöffnet. Wir begleiten das Jubiläumsjahr mit einer Artikelreihe, zunächst mit einer allgemeinen Einführung in dieser Ausgabe.
Dass Papst Franziskus für Überraschungen gut ist, hat er während seines nun fast dreijährigen Pontifikates schon mehrfach bewiesen, nicht zuletzt auch bei einer Predigt anlässlich des 2. Jahrestages seiner Wahl am 13. März 2015: Aus der Überzeugung heraus, dass die Kirche ihrer Sendung, „Zeugin der Barmherzigkeit“ zu sein, mehr gerecht werden muss, um „jedem Menschen unserer Zeit Trost zu spenden“ und weil wir nicht vergessen dürfen, dass „Gott alles vergibt“, hat er ein „Außerordentliches Heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen.
Lebensthema Barmherzigkeit
Im Mittelpunkt des Heiligen Jahres steht die Barmherzigkeit, das „pulsierende Herz des Evangeliums“, wie Papst Franziskus in der offiziellen Verkündigungsbulle vom 11. April 2015 schreibt. Und dass die Barmherzigkeit ihm, Jorge Mario Bergoglio, ein großes Anliegen ist, wurde wohl spätestens schon bei seiner Bischofsweihe deutlich, als er sich den Wahlspruch gegeben hat: „Miserando atque eligendo“. Eine Übersetzung dieses Mottos könnte etwa lauten: „Mit Augen der Barmherzigkeit“ – und dieses Wort des heiligen Beda Venerabilis geht zurück auf die Berufung des Matthäus. Jesus sieht den Zöllner, ruft ihn – aus Barmherzigkeit – in seine Nähe und trägt ihm auf, ihm zu folgen. Für den damaligen Erzbischof von Buenos Aires ist die Barmherzigkeit ein ganz konkretes Anliegen, die Armen stehen im Mittelpunkt seines pastoralen Wirkens. Er verdoppelt die Anzahl der katholischen Pfarreien in den Slums und zeigt bei verschiedenen Hilfsprojekten durch regelmäßige Besuche seine Wertschätzung. Seit seiner Wahl zum Papst kann die ganze Welt seine Aufrufe zur Barmherzigkeit hören, so auch in seiner Botschaft zur letzten Fastenzeit: „Wie sehr möchte ich, dass die Orte, an denen sich die Kirche zeigt – unsere Gemeinden und besonders unsere Gemeinschaften –, zu Inseln der Barmherzigkeit im Meer der Gleichgültigkeit werden!”
Gottes gutes Handeln wieder entdecken
Bevor die Kirche den Gläubigen Gottes Barmherzigkeit neu zu entdecken hilft, ruft Papst Franziskus sie gewissermaßen selbst auf, sich zu prüfen, inwieweit sie diese Barmherzigkeit lebt. Er schreibt: „Der Tragebalken, der das Leben der Kirche stützt, ist die Barmherzigkeit. Ihr gesamtes pastorales Handeln sollte umgeben sein von der Zärtlichkeit, mit der sie sich an die Gläubigen wendet; ihre Verkündigung und ihr Zeugnis gegenüber der Welt können nicht ohne Barmherzigkeit geschehen. Die Glaubwürdigkeit der Kirche führt über den Weg der barmherzigen und mitleidenden Liebe. Die Kirche empfindet einen unerschöpflichen Wunsch, Barmherzigkeit anzubieten. Vielleicht haben wir es für lange Zeit vergessen, auf den Weg der Barmherzigkeit hinzuweisen und ihn zu gehen.“
Ein Zeichen, wie die Kirche auf die Menschen zugehen will, sollen die „Missionare der Barmherzigkeit“ sein, die Papst Franziskus in der kommenden Fastenzeit aussenden wird. Sie sollen, so der Papst, „ein Zeichen der mütterlichen Sorge der Kirche für das Volk Gottes sein, damit es tiefer eindringen kann in den Reichtum dieses für unseren Glauben so grundlegenden Geheimnisses.“
Ein Jahr der Befreiung
Verbunden mit den „Missionaren der Barmherzigkeit“ ist die Einladung an die Gläubigen, das Sakrament der Versöhnung neu und tiefer in Anspruch zu nehmen. Und damit knüpft das „Heilige Jahr“ an seine alttestamentlichen Wurzeln an. Nach jeweils 49 Jahren wird ein Jubeljahr gefeiert, ein Jahr der Befreiung, wie das Buch Levitikus festlegt: „Erklärt dieses fünfzigste Jahr für heilig und ruft Freiheit für alle Bewohner des Landes aus! Es gelte euch als Jubeljahr. Jeder von euch soll zu seinem Grundbesitz zurückkehren, jeder soll zu seiner Sippe heimkehren.“ (Lev 25,10) Im Heiligen Jahr soll und darf der Mensch sich seiner Würde wieder bewusst werden. Im Sakrament der Versöhnung, in der Beichte, wird diese Würde erinnert und aufgefrischt.
Sperriges Thema: Ablass
Wie schwer es oft ist, wirklich an die unendliche Vergebungsbereitschaft Gottes selbst nach der Beichte zu glauben, zeigt die häufige Vorstellung, dass doch noch etwas „haften“ bleibt. Das ist der Punkt, an dem im Heiligen Jahr der Ablass eine größere Rolle spielen wird. Mit sehr einfachen Worten gelingt es dem Papst, diesen Sachverhalt zu erläutern: „Trotz der Vergebung ist unser Leben geprägt von Widersprüchen, die die Folgen unserer Sünden sind. Im Sakrament der Versöhnung vergibt Gott die Sünden, die damit wirklich ausgelöscht sind. Und trotzdem bleiben die negativen Spuren, die diese in unserem Verhalten und in unserem Denken hinterlassen haben. Die Barmherzigkeit Gottes ist aber auch stärker als diese. Sie wird zum Ablass, den der Vater durch die Kirche, die Braut Christi, dem Sünder, dem vergeben wurde, schenkt und der ihn von allen Konsequenzen der Sünde befreit, so dass er wieder neu aus Liebe handeln kann und vielmehr in der Liebe wächst, als erneut in die Sünde zu fallen.“
Nach der Beichte, der Teilnahme an der Eucharistie und dem Verrichten eines guten Werks, zum Beispiel ein Gebet oder tätige Nächstenliebe, kann ein solcher Ablass gewonnen werden – ein konkretes Zeichen, das dem Menschen in seiner Bedürftigkeit nach Greifbarem gerecht wird.
Heilige Pforten weltweit
Besonderer Anziehungspunkt für geschätzt 20 Millionen Rom-Pilger im Heiligen Jahr werden die Heiligen Pforten in den vier Patriarchalbasiliken der Ewigen Stadt sein. Heilige Pforten gibt es aber auf der ganzen Welt.
Die erste wurde am 29. November von Papst Franziskus während seiner Afrika-Reise geöffnet, in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Die Heilige Pforte des Würzburger Minoritenklosters wurde am 13. Dezember eröffnet, seit 20. Dezember können Pilger in Padua durch die Heilige Pforte in die Basilika des heiligen Antonius eintreten. Beachten Sie dazu auch unseren Beitrag auf Seite 41. Wo es noch überall Heilige Pforten gibt, kann auf einer eigens eingerichteten Homepage in deutscher Sprache nachgelesen werden: www.iubilaeummisericordiae.va. Dort finden sich auch Termine für das Jubiläumsjahr und viele weitere nützliche Informationen.
Gebet von Papst Franziskus
Herr Jesus Christus,
du hast uns gelehrt, barmherzig zu sein
wie der himmlische Vater,
und uns gesagt, wer dich sieht, sieht ihn.
Zeig uns dein Angesicht, und wir werden Heil finden.
Dein liebender Blick
befreite Zachäus und Matthäus aus der Sklaverei des Geldes;
erlöste die Ehebrecherin und Maria Magdalena davon,
das Glück nur in einem Geschöpf zu suchen;
ließ Petrus nach seinem Verrat weinen
und sicherte dem reumütigen Schächer das Paradies zu.
Lass uns dein Wort an die Samariterin so hören,
als sei es an uns persönlich gerichtet:
„Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht!“
Du bist das sichtbare Antlitz des unsichtbaren Vaters
und offenbarst uns den Gott, der seine Allmacht vor allem
in der Vergebung und in der Barmherzigkeit zeigt.
Mache die Kirche in der Welt zu deinem sichtbaren Antlitz,
dem Angesicht ihres auferstandenen und verherrlichten Herrn.
Du wolltest, dass deine Diener selbst
der Schwachheit unterworfen sind,
damit sie Mitleid verspüren mit denen,
die in Unwissenheit und Irrtum leben.
Schenke allen, die sich an sie wenden,
die Erfahrung, von Gott erwartet und geliebt zu sein
und bei ihm Vergebung zu finden.
Sende aus deinen Geist und schenke uns allen seine Salbung,
damit das Jubiläum der Barmherzigkeit
ein Gnadenjahr des Herrn werde
und deine Kirche mit neuer Begeisterung
den Armen die Frohe Botschaft bringe,
den Gefangenen und Unterdrückten die Freiheit verkünde
und den Blinden die Augen öffne.
So bitten wir dich,
auf die Fürsprache Marias, der Mutter der Barmherzigkeit,
der du mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes
lebst und herrschst in alle Ewigkeit.
Amen.
Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016