Dasein für Gott und die Menschen

22. April 2010 | von

Am 27. Mai 1235 wurde Elisabeth von Thüringen von Papst Gregor IX. heiliggesprochen. Die Zeitdauer zwischen ihrem Tod und ihrer Kanonisation erscheint aus heutiger Sicht kurz, erklärt sich aber durch die damaligen Zeitumstände: Die thüringische Landgräfin gab in einem Jahrhundert beginnender christlicher Glaubenskämpfe das Beispiel unerschütterlichen Gottvertrauens. Dass sie uns auch heute viel mitgeben kann für unseren Weg zu Gott und den Menschen, zeigte der Generalvikar der Diözese Würzburg, Dr. Karl Hillenbrand, in einer Predigt zum Gedenktag der Heiligen am 17. November 2009.



 Wenn die Bild-Zeitung das Leben der heiligen Elisabeth zusammenfassen müsste, täte sie es vermutlich unter der Schlagzeile: „Karriere nach unten – von der Königstochter zur Krankenschwester". Als Außenwahrnehmung wäre das nicht einmal falsch – aber ihr inneres Lebensgeheimnis ist damit in keiner Weise erfasst. Was macht diese Frau aus dem 13. Jahrhundert auch heute noch so faszinierend, die mit 14 Jahren verheiratet wurde, mit 19 Jahren Witwe war und mit 24 Jahren verstarb? Was beeindruckte ihre Zeitgenossen so an ihr, dass sie sofort nach ihrem frühen Tod als Heilige verehrt wurde und dass man heute noch das Gefühl hat, von ihrer Person gehe ein helles Licht aus?



Mit vier Jahren (1211) kam Elisabeth aus ihrer Heimat in Ungarn auf die Wartburg nach Eisenach, weil sie im Zug der damals unter Fürstenhäusern üblichen Heiratspolitik mit dem Sohn des Landgrafen von Thüringen verlobt worden war. Aus der heutigen Sicht sind wir entsetzt über diese Art von „Fremdbestimmung". Doch das Entscheidende im Leben eines Menschen sind im Letzten nicht die Zeitumstände und sozialen Prägungen, in die er hineingeboren wird, sondern was er daraus macht. Es gibt einen persönlichen „Mehrwert" des Lebens, der sich nicht vorrangig aus den geschichtlichen Vorgaben, genetischen Prägungen und äußeren Einflüssen erklären lässt. Dieser „Mehrwert" zeigt sich ganz deutlich auch in der Glaubensentwicklung Elisabeths.

Sicher wurde sie von ihrer späteren Schwiegermutter, die selbst eine fromme Frau war, konsequent religiös erzogen. Dies ging zunächst über den Weg der äußeren Nachahmung. Aber mit zunehmendem Alter wurde aus diesem kindlichen Nachahmungstrieb eine eigene, selbstbestimmte Haltung. Zeitzeugen berichten übereinstimmend, dass das Beten ein fester Bestandteil in Elisabeths Leben gewesen sei – und zwar in allen Lebenssituationen. Kann auch mir das Gebet immer wieder einen Freiraum für den Aufbruch zu Gott eröffnen? Menschen wie Elisabeth machen Mut dazu – so gesehen, ist sie eine sehr aktuelle Heilige.



Konsequent solidarisch



Ihre intensive Gottesbeziehung war für Elisabeth aber keine bloße Sinnperspektive zum Eigengebrauch – sie machte genauso radikal Ernst damit, dass der Glaube immer ein Geschenk zum Weitergeben ist. An ihrem Leben lässt sich exemplarisch absehen, wie eine gelungene Gottesbeziehung alle anderen Beziehungen auf menschlicher Ebene ins rechte Maß bringt und weitreichende Konsequenzen haben kann. Dabei vollzog Elisabeth einen ganz entscheidenden Schritt: Sie tat nicht nur etwas für die Armen und Kranken – das taten andere in ihrer Zeit durchaus auch – sie lebte mit ihnen. Geprägt von der damals neuen Spiritualität eines Franz von Assisi und seiner Gefährten entdeckte sie im leidenden Christus die umfassende Solidarität Gottes mit den Menschen und lebte sie in ihrem Bereich konsequent weiter. All das kann uns neu nachdenklich stimmen: Sind in meinem Leben Gottes- und Nächstenliebe im Gleichgewicht? Ist meine Haltung den Bedürftigen gegenüber, die es weltweit und auch in meiner Nähe gibt, von einer inneren Reserve und letzten Distanz oder sogar von Desinteresse und Gleichgültigkeit geprägt, oder ist sie Konsequenz aus der Hinwendung Gottes zu den Menschen, die er ohne Unterschied liebt? Elisabeth stellt auch uns Fragen – ja sie stellt uns infrage. Auch darin ist sie höchst aktuell. Man mag aus heutiger Sicht vielleicht sagen, dass in der fest gefügten Welt des Mittelalters mit ihren festen ständischen Ordnungen ein religiöses Leben ohne kirchliche Einbindung doch gar nicht möglich gewesen sei: So selbstverständlich war das aber nicht. Einerseits sagen äußere Ordnungen noch lange nicht alles über das innere Empfinden von Menschen aus, die in ihnen leben. Zum anderen gab es gerade in der Zeit Elisabeths neue kirchliche Aufbruchbewegungen wie die Bettelorden; die franziskanische Spiritualität bot ihr den Rahmen für die Entfaltung des eigenen Charismas, ihrer persönlichen Glaubensberufung. Sie lebte diese Berufung jedoch nicht in Distanz zur konkreten Kirche ihrer Zeit, sondern in einer Haltung, die man heute als „leidenschaftliche Loyalität" bezeichnen würde. Elisabeth stellte sich einerseits fraglos unter die Autorität der Kirche und ihres Amtes, weil sie darin den Weg sah, wie Christus durch die Zeiten weiterwirkt. Sie unterstellte sich nicht nur dem Schutz des Papstes, was eine immerhin relative Sicherheit bedeutete, sondern befolgte in einer für uns heute auf den ersten Blick fast unverständlichen Konsequenz die Anordnungen ihres Seelenführers Konrad von Marburg. Er erscheint in der Geschichte als widersprüchliche Persönlichkeit: Einerseits ist er persönlich glaubwürdig – sein Lebensstil ist im Vergleich zu dem vieler Kleriker damals asketisch und einfach. Andererseits werden in seiner Persönlichkeit erschreckende Züge eines Rigorismus und einer Seelenkälte deutlich, etwa in den körperlichen Züchtigungen Elisabeths oder wenn er die vertrauten Gefährtinnen von ihr entfernt.



Loyal zur Kirche



Interessant ist bei all dem die Haltung Elisabeths, die eine Verbindung von Demut und Entschiedenheit darstellt: Was sie selbst einengt, kann sie akzeptieren, weil sie ihre persönliche Befindlichkeit in Gottes Hand gibt und darauf vertraut, dass das konkrete, begrenzte Leben noch einmal in einem größeren Zusammenhang steht, um den Gott allein weiß. Eine solche Haltung hat aber überhaupt nichts mit Passivität oder mangelnder Willensstärke zu tun. Denn Elisabeth widersetzt sich den Anweisungen ihres Seelenführers immer dann, wenn sie der Überzeugung ist, dass dadurch andere Nachteile haben, etwa als er ihre Hilfstätigkeit für die Armen oder ihren Umgang mit ansteckenden Kranken einschränken will. Von Elisabeth können wir lernen: Kirchlicher Gehorsam und eigene Entscheidung, Demut und Herzensweite sind bei einer im Glauben gereiften Persönlichkeit keine Gegensätze, sondern ergänzen und durchdringen einander. Von Elisabeth lernen heißt auch, selbst in diese Haltung einer kritischen Sympathie zur Kirche vorzudringen: Nämlich einer Gemeinschaft die Treue zu halten, die sich aus vorläufigen Menschen zusammensetzt und deren Größe darin besteht, dass sich Jesus an sie bindet und sie zu Vorläufern auf das Endgültige macht. Auch in dieser Haltung ist Elisabeth sehr aktuell für uns alle.



Lebendiges Kreuz



In der Basilika St. Bonifaz in München befindet sich eine zeitgenössische Bronzestatue, die von der Künstlerin Christine Stadler geschaffen wurde. Elisabeths aufrechter Körper mit den ausgebreiteten Armen wirkt wie ein lebendiges Kreuz. In der Tat, das war ihre Grundhaltung: Elisabeth konnte ihre Hände so weit nach links und rechts – gewissermaßen waagerecht – zu den Armen und Notleidenden ausstrecken, weil die Achse ihres Lebens dafür ganz senkrecht im Geheimnis Gottes stand, der in Jesus selbst in das Leid und die Nöte unserer Welt hineingeht. Darum nahm ihr Leben ein kreuzähnliches Profil an, es wurde zum Widerschein der Liebe Jesu, die unsere oft so armselige Wirklichkeit verwandelt. Dies ist in der Figurmitte angedeutet: Im geöffneten Schleierschurz trägt Elisabeth goldene Rosen – eine Anspielung auf die bekannte Legende, wonach sich das für die Armen bestimmte Brot unter dem prüfenden Blick ihres Ehemannes in Rosen verwandelt habe.



In der Sprache der Kunst ist die Rose stets auch ein Symbol für das Geheimnis des göttlichen Lebens. Diese Darstellung bringt zum Ausdruck, dass unser oft mühsam verdientes tägliches Brot zum Lebenszeichen Gottes wird, wenn wir bereit sind, es aus dem Glauben heraus zu teilen und zu verschenken. Wenn unsere eigene Lebensachse in Gott feststeht, dann sind wir frei und beweglich, die Hände weit auszustrecken. Wenn aber diese Verankerung nicht vorhanden ist, gerät unser Leben leicht aus dem Lot und unsere Hilfsbereitschaft wird zum bloßen Aktivismus.

Elisabeth kann uns auch heute Mut machen, in der Gemeinschaft der Kirche für Gott und die Nächsten da zu sein. Dann sind wir als Christen nicht bloß Menschen wie andere, sondern in Verbindung mit Jesus Menschen für andere – und darauf kommt es immer wieder an.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016