Dem Bösen widerstehen
Antonius hatte den Mut, dem Schreckensherrscher Ezzelino da Romano, der die Stadt Padua und auch die umliegenden Städte aushungerte und tyrannisierte, und der kranken und gewalttätigen Macht, die er ausübte, gegenüberzutreten. So wie viele Menschen auch heute den Mut haben, „Nein“ zur Mafia zu sagen.
Die klassische Klassenfahrt war es nicht, die sich Luca dieses Mal für die beiden Abschlussklassen überlegt hatte. Er war Religionslehrer an der Fachoberschule für Wirtschaft, und nach vielem Hin und Her war es ihm gelungen, diese Fahrt nach Palermo zu organisieren. Er wollte vor allem mit den jungen Leuten Orte besuchen, die zu einem Symbol für den Terror und den Schrecken der Mafia geworden sind, ihnen aber auch zeigen, dass ein Aufbegehren und der Kampf gegen „Cosa Nostra“ möglich sind – über diese „heißen“ und schwierigen Themen hatte er schon oft im Unterricht gesprochen. Es war ihm immer als eine gute Möglichkeit erschienen, zu zeigen, wie das Wort des Evangeliums durch Menschen, die dieses dunkle Übel, das nicht nur das Leben einzelner Menschen zerstört, sondern auch die gesamte Gesellschaft, lebt und Wirklichkeit wird. Und die Schüler hörten ihm mit einer Aufmerksamkeit und einer Begeisterung für Wahrheit und Gerechtigkeit zu, die ihn sehr anrührte. So kam er auf die Idee für diese Klassenfahrt, deren Programm nicht nur den Besuch der wichtigsten Bauwerke und Denkmäler von Palermo vorsah, sondern auch ein Treffen mit der Organisation „Addiopizzo“ (pizzo ist das Schutzgeld, das z.B. Gastronomen der Mafia zahlen sollen), die seit Jahren gegen die Erpressung durch die Mafia kämpft. Außerdem vorgesehen: ein Besuch in Capaci, wo bei einer von der Mafia ausgelösten Explosion der Richter Giovanni Falcone, seine Frau Francesca Morvillo und ihre Eskorte ums Leben kamen, und ein Rundgang durch das Viertel Brancaccio, wo man noch heute die Stelle sehen kann, wo der Pfarrer und Anti-Mafia-Aktivist Don Pino Puglisi, der heute als Seliger in der Katholischen Kirche verehrt wird, seine Mörder mit einem Lächeln und den Worten: „Damit habe ich gerechnet“ erwartete.
Gemeinsam gegen das Böse
Am ersten Nachmittag fand der Besuch bei „Addiopizzo“ statt, wo ein Ehrenamtlicher den jungen Leuten erklärte, wie diese Organisation am 29. August 2004, dem Gedenktag an den Mord an Libero Grassi, der sich gegen die Schutzgeldforderungen gewehrt hatte, entstanden ist, als in der ganzen Stadt Palermo über Nacht Aufkleber mit den Worten „Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde“ aufgetaucht waren. Und die Initiative ging auf das Engagement einiger Jugendlicher zurück. Ein Jahr später entstand daraus ein richtiger Verein, mit einem Statut und 3.500 Mitgliedern, die den ständigen Schutzgeldforderungen gemeinsam ein lautes „Nein!“ entgegenstellten und die Bevölkerung einluden, auf eine legale Wirtschaft zu vertrauen, indem man seine Gewohnheiten ändert und nur noch in solchen Geschäften einkauft, die sich gegen das Mafia-System wehren. Es entstand also eine Art Revolte von unten gegen die versteckte Macht der Mafia, parallel zu dem institutionellen Kampf, der vor allem von Richtern wie Giovanni Falcone und Paolo Borsellino und vielen ihrer Kollegen aus den Gerichten und der Polizei geführt wurde, von denen viele selbst der tödlichen Gewalt der Mafia, die nach ihren eigenen Gesetzen einer Übermacht handelt, zum Opfer fielen.
Besser schweigen und mitmachen?
Nachdem sie den Worten des Mitarbeiters aufmerksam gelauscht hatten, stellten die Jugendlichen viele Fragen. Viele waren aber auch einfach nur perplex, mit ungestellten Fragen im Herzen, wie: „Ja, waren die denn alle verrückt, bei dem Risiko, dass ihre Geschäfte oder Restaurants bei der Weigerung zur Schutzgeldzahlung in die Luft gesprengt werden konnten? Oder wenn man auf dem Schulweg auf ihre Kinder geschossen hätte? Wäre es nicht besser und sicherer, einfach stillschweigend zu zahlen? Schließlich funktioniert das so, man kann nichts daran ändern.“ Im Bus auf der Fahrt nach Capaci, an den Ort des Attentats, war die Stimmung entsprechend gedrückt. Luca und seine Kollegin sahen sich an, denn beide hatten die Anspannung der Schüler nach dem intensiven Gespräch bei „Addiopizzo“ bemerkt, beschlossen aber, vorerst nicht einzugreifen, denn sie waren sich sicher, dass die jungen Leute von selbst das Gespräch suchen würden.
Von der Angst zum Mut
Sie kamen also in Capaci an. Das erst kürzlich errichtete Monument an der Autobahn mit den Namen der Opfer, die Tatsache, genau über die Stelle zu fahren, wo diese Männer und Frauen mit einer Ladung von mehr als hundert Kilo am Rand der Autobahn versteckten TNT in die Luft gesprengt worden waren – das alles war so unglaublich, passte aber so sehr zu den Worten, die sie zuvor bei „Addiopizzo“ gehört hatten. David, einer der Schüler, fragte den Lehrer: „Haben Sie das gehört? Der Ehrenamtliche vorhin hat uns einen Satz von Richter Falcone gesagt, der mich sehr beeindruckt hat: ‚Es kommt nicht darauf an, festzustellen, ob jemand Angst hat oder nicht, sondern darauf, mit seiner Angst zu leben und sich nicht von ihr beeinflussen zu lassen. Das ist Mut, alles andere ist Leichtsinn.‘ Ich habe diesen Satz auswendig gelernt. Falcone hatte kapiert, wie das Leben funktioniert und auf welcher Seite die Gerechtigkeit steht!“ Der Lehrer drehte sich um und bemerkte, dass sich um ihn und David ungefähr zehn andere Schüler, auch aus der anderen Klasse, gruppiert und zugehört hatten. Ein Junge wollte durch einen angedeuteten Applaus die Situation entschärfen, erntete dafür aber eine Rüge von seinem Kumpel: „Sei doch ruhig, er hat doch etwas Gutes gesagt!“ Daraufhin sagte Elisa, eine der Klassenbesten: „Aber auch Pater Puglisi hat gesagt, ‚Wenn jeder etwas tut, kann man viel erreichen!‘ Ich glaube, dass man, um so etwas in dem schlimmen Viertel Brancaccio zu sagen, denselben Mut braucht, von dem Falcone gesprochen hat. Aber Puglisi wollte auch klarmachen, dass wir alle diesen Mut gegen Korruption und die Schreckenskultur, der wir ja selbst begegnen, auch haben können.“
Zu einfach und zu schwach?
Bei einer Rast bildete sich wieder eine erst kleine, dann immer größere Gruppe von Schülern, aus der die Frage kam: „Aber mal ganz ehrlich, warum legen es die Menschen denn darauf an, dass man sie umbringt? Dann zahlt man halt das Schutzgeld und ist in Sicherheit! Auch viele Kirchenleute haben Mafiosi geschützt oder zumindest nicht den Mund aufgemacht.“ Vor allem zwei junge Leute waren es, die diese Frage stellten. Daraufhin entgegnete Sarah: „Das stimmt doch so gar nicht. Erinnerst du dich, was Johannes Paul II. in Agrigent gegen diese Kultur des Todes gesagt hat? Wir haben doch dieses Video gesehen, wo er sagt: ‚Ich sage das zu den Verantwortlichen: Bekehrt euch! Eines Tages kommt das Jüngste Gericht!‘ Alle Heiligen haben immer gegen Mächte gekämpft, die nur Tod bringen. Erinnert ihr euch, als wir einen Klassenausflug nach Padua gemacht haben und der Bruder dort uns erzählt hat, wie der heilige Antonius mutig dem Tyrann Ezzelino da Romano gegenüber getreten ist und ihn zur Umkehr bewegt hat? Ich erinnere mich gut daran, denn es hat mich sehr beeindruckt, dass es ihm gelungen ist, einen so blutrünstigen Mann zu bekehren!“ Nun mischt sich auch Giorgio ein: „Okay, aber das waren Heilige…aber so einfache Menschen wie wir?“
Nun greift Lehrer Luca in das Gespräch ein: „Aber glaubt ihr denn wirklich, dass nur Heilige in der Lage sind, sich der Gewalt einer ungerechten Macht gegenüberzustellen? Und die ganzen Geschäftsleute hier, die sich weigern, das Schutzgeld zu zahlen, was sind die dann? Viele von ihnen waren sicher noch Kinder, als Johannes Paul II. diese Worte gesprochen hat, aber doch haben sie sich im richtigen Moment daran erinnert.“
Beim Einsteigen in den Bus für die Rückfahrt gibt es ein spielerisches Gerempel – es scheint fast, als ob sich die Jugendlichen nun auch körperlich etwas entspannt hätten, weil sie vielleicht verstanden haben, dass sie keine Angst haben müssen, Dinge einfach hinzunehmen. Und vielleicht ist in ihnen nun der Keim einer neuen Hoffnung entstanden, über die sie bisher noch nicht nachgedacht hatten.