Der Docht ist die Seele der Kerze

24. Dezember 2018 | von

Der Würzburger Wachszieher Martin Schenk produziert Kerzen noch auf traditionelle Art – Abnehmer sind Pfarrgemeinden, Klöster und Privatkunden im ganzen Bistum Würzburg. Eine Mitarbeiterin der dortigen Pressestelle hat recherchiert.

Plötzlich muss alles ganz schnell gehen. Die Luft in der Produktionshalle ist etwas rauchig geworden. Die in langen Bahnen über zwei große Spulen rotierenden Wachsstränge werden gefährlich dick und hätten um ein Haar nicht mehr durch die Kaliber, die Passform des Kerzendurchmessers, gepasst. Martin Schenk, Inhaber des Familienunternehmens „Wachswarenfabrik Th. Schenk“, drosselt die Geschwindigkeit der rotierenden Spulen. „Eine Minute später wären die Wachszüge abgebrochen und die Arbeit von fünf Stunden hinüber“, erklärt er. In der Produktionshalle ist es etwa 25 Grad warm, damit das Wachs flexibel bleibt und nicht frühzeitig erhärtet. Obwohl es laut ist in den Hallen, strahlen das gleichmäßige Rattern und die spärliche Beleuchtung eine gewisse Ruhe aus.

Kerzenproduktion mit Tradition
„Es gibt vier Herstellungsverfahren für Kerzen. Das Wachsziehen, wie wir es hier machen, gibt es nur noch zwei bis drei Mal in Deutschland. Das ist noch eine traditionelle Herstellung“, erzählt Schenk. Andere Verfahren seien das Wachstauchen, das -pressen und -gießen. Zunächst entscheidet sich Schenk für einen der 20 unterschiedlichen Dochte.„Der Docht ist die Seele der Kerze“, erklärt er. Die Dochtwahl hängt von verschiedenen Faktoren ab: der Wachskomposition der künftigen Kerze, dem Herstellungsverfahren sowie dem Kerzendurchmesser. Die Dochtspule wird auf der einen Seite der großen Wachszugmaschine eingesteckt und über die Maschinenspule geleitet, so dass der sogenannte Zug entsteht, das Dochtband, das sich in Spiralen um die zwei großen Spulen der Zugmaschine windet. Je nach Kundenwunsch produziert Schenk Kerzen, deren Durchmesser zwischen sieben und 100 Millimetern beträgt. Von Pyramidenkerzen, die nur sechs Zentimeter lang sind, bis hin zu Osterkerzen, die 120 Zentimeter messen, führt der Wachszieher ein breites Sortiment.
Mit jedem Zug des Dochts durch das Wachsbad unterhalb der Maschine erhält die künftige Kerze eine weitere dünne Schicht Wachs. „Unsere Zugkerzen sind aufgebaut wie Baumstämme: in Ringen. Durch die verschiedenen Schichten hat die Kerze eine bessere Wärmeleitfähigkeit“, sagt Schenk. 380 Meter Docht winden sich um die großen Spulen und laufen bei jeder siebten Umdrehung durch das Wachsbad und anschließend durch die Kaliber. „Der Zug muss ständig beaufsichtigt werden und eine gewisse Temperatur halten“, erklärt Schenk und greift zur Kontrolle in die Wachsstränge, bei denen sich mittlerweile mehrere hundert dünne Wachsschichten um den Docht gelegt haben. Die Dochtspannung sei zudem wichtig, damit sich die Züge nicht verheddern. Jeder der vier Züge ergibt je nach Kerzengröße 380 bis 3.400 Kerzen.
Als das Wachs in der Wanne unterhalb der Zugmaschine weniger wird, dreht Schenk den Hahn des großen Tanks auf und über eine Rinne fließt das flüssige Wachs in die Wanne. Im Tank mischt er die vielen verschiedenen Wachszutaten. „Mit der Komposition, also der Wachszusammenstellung, wird festgelegt, welche Brenndauer die Kerze später haben wird.“ Altarkerzen bringen besondere Herausforderungen mit sich. Schenk produziert etwa 100 verschiedene. „Der Rhythmus wird durch die Gottesdienstlänge und -häufigkeit vorgegeben. Sie muss eine Stunde lang problemlos brennen und wird dann wieder für eine gewisse Zeit ausgemacht“, erklärt Schenk. Je mehr Bienenwachs die Komposition enthält, desto länger kann die Kerze brennen. „Das ist vor allem eine Kostenfrage.“

Strenge Qualitätskontrolle 
In einer Ecke zwischen Maschinen und Wachsresten steht eine 40 Zentimeter große, weiße Kerze, die brennt. Obwohl sie in einer Wachswarenfabrik zwischen tausenden von Kerzen steht, ist die entzündete ein seltsamer Anblick. Theresia Schenk, die Mutter des Firmeninhabers, erklärt, dass das eine Probekerze sei: „Aus jedem Zug wird eine Kerze angezündet, um ihre Qualität zu prüfen.“ Wenn der extern eingekaufte Docht schadhaft sei, müssten alle Kerzen des Zugs eingeschmolzen werden. Darüber hinaus könne auch das Wachs minderqualitativ produziert sein. Schenk zeigt Modelle, die solche Qualitätsmängel haben: „So will ich meine Kerzen nicht haben...“
Er taucht eine der vor zwei Tagen gezogenen Altarkerzen in einen Topf mit heißem Wachs. „Die fertig gezogene Kerze muss erst vollkommen erkaltet sein. Dann wird sie in höhergradiges Wachs getaucht.“ Dessen Schmelzpunkt liege exakt 15 Grad höher als jener der Kernkerze. „So wird ein tropffreies Abbrennen der Kerze gewährleistet. Außerdem bleibt der Mantel immer etwas stehen und bietet der Flamme einen windarmen Raum. Das macht eine qualitativ hochwertige Kerze aus“, erzählt Schenk.

Drei-Docht-Kerze – geht nicht!
In den Produktionshallen und in allen Lagerräumen sind ausschließlich weiße Wachszüge, Rohlinge und Kerzen in den unterschiedlichsten Größen. Doch der Wachszieher produziert auch andere Farben, je nach Bedarf – und Mode. „Heuer habe ich grüne Christbaumkerzen gemacht. Das kann ich mir schlecht vorstellen, aber wenn es gewollt ist, gehen wir darauf ein“, erzählt Schenk. Die allgemeinen Modetrends, wie etwa die der Möbelindustrie, geben beliebte Farben vor. Grau sei in den vergangenen Jahren besonders im Trend gewesen. „Es gab zum Beispiel mal die Drei-Docht-Kerze. Das ist so ein Unsinn, das kann gar nicht funktionieren, wenn es nach qualitativen Maßstäben ginge.“

Tradition kämpft um Zukunft
Auf der Internetseite des Wachsziehers liest man „Seit 250 Jahren im Dienst der Kirche“. Etwa zur Zeit des Baus der Würzburger Residenz im Jahr 1750 haben Schenks Vorfahren das Geschäft gegründet. Damit sei die Wachswarenfabrik Schenk der älteste Handwerksbetrieb in Würzburg, sagt er. „Bedingt durch Pfarreizusammenschlüsse und Priestermangel werden heutzutage weniger Gottesdienste gehalten. Den dezimierten Verbrauch merkt man natürlich anhand der rückläufigen Nachfrage seitens der kirchlichen Einrichtungen“, erklärt Schenk. Seit über 30 Jahren arbeitet er als Wachszieher in der Fabrik seiner Familie. Gelernt hat er in einem größeren Unternehmen. Mit familiärer Unterstützung und nur wenigen Angestellten will Schenk die Fabrik noch viele Jahre weiter führen. Viele Betriebe ähnlicher Größe hätten sich vor einigen Jahren „auf das Glatteis der Industrie“ gewagt und seien zerbrochen. „Natürlich ist es teuer und aufwändig, unsere Handwerkstradition aufrechtzuerhalten. Ich lass mich aber nicht unterkriegen.“

Zuletzt aktualisiert: 24. Dezember 2018
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