Der ideale Papst
Gregor der Große lenkte die Geschicke der Kirche erfolgreich in einer schweren Zeit des Umbruchs. Doch er setzte auch auf anderen Gebieten Maßstäbe: Er reformierte die Liturgie, erneuerte den Klerus, verbreitete den Glauben, schützte die Armen vor Ausbeutung und Hunger und schrieb theologische Werke, die bis zur Aufklärungszeit prägend blieben.
Gregor der Große ist der Letzte in der Reihe der vier großen lateinischen Kirchenlehrer. Er repräsentierte das päpstliche Amt durch die Eigenart seiner religiösen und priesterlichen Persönlichkeit so unverwechselbar neu, dass er der Nachwelt als die Idealgestalt des Papsttums gilt. Gregors Rang in der Geschichte des Papsttums beruht nicht auf einer besonders markanten Verteidigung des römischen Primats (Vorrangstellung), sondern liegt in seinem umfassenden pastoralen Wirken begründet.
Gregor lebte an einer Zeitenwende. Auf der einen Seite hatte er seine Wurzeln in der Spätantike und auf der anderen Seite blickte er in das Frühmittelalter voraus. Man hat ihn “den letzten Römer“ und den “ersten mittelalterlichen Papst“ genannt. Ihr galt die künftige Aufmerksamkeit. Das spätantike Rom war heruntergekommen und ging unter im Spiel der Mächte zwischen den Byzantinern, Langobarden, Franken und Goten. Ein wichtiges Verdienst Gregors des Großen war es, vom römischen Erbe das Wertvolle erhalten und eine eigene Position des Westens gegenüber Byzanz vorbereitet zu haben. Gregor hat in der christlichen Geschichte eine Wende herbeigeführt.
Lebensstationen. Wann Gregor geboren wurde, wissen wir nicht. Sicher ist, dass er als Jugendlicher eine gründliche Bildung in Grammatik, Rhetorik und im Verwaltungsrecht erhielt. Er stammte aus einer reichen Senatorenfamilie. Im Jahr 572/73 wurde Gregor Stadtpräfekt, also höchster Beamter der Zivilregierung Roms. Er musste sich mit den ganz konkreten Problemen der Bevölkerung befassen wie der Lebensmittelversorgung, der öffentlichen Ordnung, dem Bauwesens und dem Schutz der Stadt.
Obwohl Gregor als Stadtpräfekt erfolgreich war, entschied er sich für ein geistliches Leben. Im elterlichen Stadtpalast sammelte sich um ihn eine Klostergemeinschaft. Wir wissen nicht, ob Gregor Abt dieser dem heiligen Andreas geweihten Gemeinschaft war. Jedenfalls wurde er um 578/579 zum Diakon geweiht und vom Papst als Nuntius an den Kaiserhof in Konstantinopel entsandt. Gregor knüpfte wichtige politische Verbindungen und kehrte sieben Jahre später nach Rom zurück. Er wollte sich nun ganz dem Studium, der Betrachtung und dem klösterlichen Leben widmen.
Das Jahr 570 wurde für Gregor zu einem entscheidenden Lebenseinschnitt. Für Rom war es ein Katastrophenjahr. Die Stadt litt unter den Tiberüberschwemmungen und die Pest raffte viele Menschen hinweg. Papst Pelagius II. starb und Gregor wurde zum römischen Bischof gewählt.
Pontifikat der Erneuerung. Auf der einen Seite war Gregor häufig krank und beklagte dies auch. Auf der anderen Seite machte er sich mit erstaunlicher Energie an die Arbeit. Mit seiner Reform der römischen Zentralgewalt der päpstlichen Kurie legte er den Grundstein für eine wirkungsfähige Amtsführung der römischen Päpste. Zu seinem Mitarbeiterstab durften nur Kleriker und Mönche gehören. Eine besondere Stellung bekam der Vizedominus (Stellvertreter), der das Bischofkollegium seines Patriarchates zu organisieren und zu kontrollieren hatte. Insofern es in seiner politischen und geistlichen Macht stand, suchte er verantwortungsbewusste Bischöfe einzusetzen. Die Käuflichkeit kirchlicher Ämter (Simonie) hat er radikal unterbunden. Gregor scheute keine Mühe, durch karitativen Einsatz der erdrückende Not der Bevölkerung Italiens abzuhelfen. Er zögerte nicht, den großen Patrimonialbesitz der römischen Kirche in Italien, Sizilien, Dalmatien und der Provence für die Armen zu verwenden, und die durch Kriegswirren zerrüttete Verwaltung tatkräftig zu reorganisieren. Die Beamten wurden direkt in päpstlichen Dienst genommen, die Kleinpächter schütze er vor Ausbeutung. Gerade die sozial Schwachen, die Witwen und Waisen und die durch Unglücksfälle in Not Geratenen durften seine Sorge erfahren. Diese Seite seines Wirkens brachte ihm den Dank und die Anhänglichkeit des einfachen Volkes ein.
Die Erneuerung des Klerus kostete Papst Gregor viel Zeit und Energie. Für die Kleriker schrieb er einen eindringlichen Hirtenspiegel. Dieses Buch war für die Seelsorge des Abendlandes Jahrhunderte lang maßgebend. Die Priester verpflichtete er, täglich Gewissenserforschung zu halten und den rechten Glauben verantwortlich zu verkünden.
Für das Mönchtum hatte Papst Gregor ein besonderes Gespür. Er gewährte in Not geratenen Klöstern Hilfe und suchte die klösterliche Disziplin zu erneuern und zu stützen.
Die Nahrung für seine persönliche Frömmigkeit schöpfte Gregor aus der Heiligen Schrift und aus den Werken Augustinus’. Obwohl er eine besondere Neigung zur Kontemplation hatte, widmete er sich dem Dienst an seinen Mitmenschen in und außerhalb der Kirche. Offensichtlich entsprang sein Apostolat aus Gebet und Kontemplation.
Sanfte Mission. Kirchengeschichtlich besonders bedeutsam war seine Initiative zur Missionierung der Angelsachsen. Eine Legende erzählt, Gregor habe auf dem römischen Forum junge, blonde Angelsachsen gesehen und er habe den Ausspruch getan: Angli sunt, angeli fiant (Angelsachsen sind sie, Engel sollen sie werden). Wie kein Papst vor ihm hat Gregor die Missionsarbeit als erstrangige Pflicht des Papstes empfunden und dabei bewusst, auch als Erster, die Grenzen des Reiches überschritten. Er empfahl den Missionare, an bestehende vorchristliche Bräuche anzuknüpfen, heidnische Heiligtümer in Kirchen umzugestalten und sie nicht zu zerstören. Er begründet diese Praxis: “Wer einen Gipfel erglimmen will, tut dies langsam, schrittweise, nicht in Sprüngen“.
Historiker haben Gregor “als recht kleinen großen Mann“ bezeichnet. Das gläubige Volk Italiens und die anderen Länder Westeuropas haben gespürt, dass es neben diplomatischer Gewandtheit und Repräsentation eine Größe des Herzens gibt. Sein Beiname “der Große“ gilt vor allem dieser.