Der Santo in Russland
Da hat der heilige Antonius wieder einmal ein kleines Wunder gewirkt. Zum ersten Mal überhaupt hat seine Reliquie vom 12. bis 22. September 2008 die endlosen Steppen Russlands erreicht, nachdem sie zuvor in viele Länder der Welt gebracht wurde.
Begleitet haben das Antonius-Reliquiar, eine vergoldete Büste, auf ihrem 5.000 Kilometer langen Weg durch die Länder der ehemaligen Sowjetunion: P. Enzo Poiana, der Rektor der Basilika, sowie P. Alessandro Ratti und
P. Andrea Massarin. Der Messaggero di sant’Antonio fragte Padre Poiana nach seinen Eindrücken und Gefühlen auf dieser spektakulären Reise.
Padre Poiana, wieso wurden erst jetzt die Reliquien des heiligen Antonius nach Russland gebracht?
Erst vor 16 Jahren öffnete Russland seine Grenzen und geht seither ein wenig versöhnlicher um mit den ausländischen Kirchen im Land, die nicht zur Orthodoxie gehören. Nun weihten unsere Mitbrüder in St. Petersburg eine neue Kirche ein, die dem heiligen Antonius gewidmet ist. Bei der Feier versprachen drei junge russische Novizen, in Gehorsam, ohne Eigentum und in eheloser Keuschheit zu leben.
Wo sind die Minoriten in Russland vertreten?
Seit dem Fall der Mauer haben wir sechs Konvente errichtet: die zentrale Niederlassung in Moskau mit dem Sitz der Generalkustodie; das Ausbildungshaus für unsere Theologiestudenten in St. Petersburg; den Pfarrkonvent in Kaluga; die Kommunitäten in Astrachan im Wolgadelta am Kaspischen Meer und in Elista, der Hauptstadt von Kalmückien; schließlich die Pfarrei in Insterburg (russ. Tschernjachowsk) bei Königsberg.
Gab es Probleme beim Transport einer katholischen Reliquie in diese Länder?
Technisch war es einfach. Wir mussten jedes Mal lächeln, wenn der Metallkoffer mit dem kostbaren Reliquiar die übliche Kontrolle anstandslos passierte. Wir dagegen wurden durchsucht. Gegen den heiligen Antonius hatte niemand etwas einzuwenden!
Wie empfingen die Gläubigen den heiligen Antonius?
Sehr bewegend! In Kaluga erwarteten uns schon fünfzig Katholiken. Am andern Morgen kamen weitere Gläubige, die bis zu 700 Kilometer mit dem Bus gefahren waren, um den Heiligen zu verehren. Unter den 150 Millionen Einwohnern Russlands gibt es nur ein halbes Prozent Katholiken, sie sind sozusagen ein katholischer Tropfen in einem See der Orthodoxie und in einem Meer von praktiziertem Atheismus. Die Katholiken haben in den schlimmen Zeiten ihre tiefe Frömmigkeit durchgehalten.
In Moskau nahm der Generalvikar die Statue an der Kathe-drale in Empfang. Die Vorabendmesse am Samstag hielten wir ganz in Latein. Ununterbrochen zogen die Verehrer an der Reliquie vorbei. Zur Messfeier am Sonntag auf Russisch kamen so viele Leute, dass der Dompfarrer die Kirchenportale offen lassen musste. Anschließend hielten wir eine Reliquienprozession und ich erteilte sehr vielen Leuten den Einzelsegen. Selbst als wir die Reliquie bereits ins Auto geladen hatten, konnten wir drei Stunden lang nicht losfahren, weil ständig neue Leute kamen, die den Heiligen verehren wollten.
Wie ist das Verhältnis zu den Orthodoxen?
Schon schwierig. Einen Dialog gibt es nur über unverbindliche Dinge; im Grunde sind wir Katholiken für die Orthodoxen eben Häretiker.
Wie geht es den Katholiken in Russland?
Durch unseren Besuch in Russland wollten wir vor allem jene katholischen Gemeinden ermutigen, die zu leiden haben. Zwar genießen sie die allgemeinen bürgerlichen Rechte, werden jedoch als ausländische Glaubensgemeinschaft betrachtet, selbst wenn es sich um Russen handelt. Die Minoriten und Jesuiten sind bisher als einzige katholische Orden vom Staat rechtlich anerkannt, da sie seit Jahrhunderten auf russischer Erde tätig sind, und dürfen damit offiziell Ausländer einladen zu religiösen und kulturellen Veranstaltungen.
Zuerst wollte das kommunistische Regime die „ausländischen" Religionsgemeinschaften radikal auslöschen. Als dies nicht gelang, übernahm es die Kontrolle über die orthodoxe Hie-rarchie und erklärte alles Nicht-Orthodoxe als illegitim. Umso bedeutsamer war es für uns und für die Katholiken, die wir besuchten, diese heilige Reliquie nach Russland zu bringen.
Gab es auch persönliche Erlebnisse?
Da denke ich an die 90-jährige Frau in Moskau. Vor zehn Jahren lebte sie noch in Sibirien, wohin sie deportiert worden war. Während ihrer Gefangenschaft betete sie innig zum heiligen Antonius, er möge sie doch nach Russland heimkehren lassen. Mit Tränen in den Augen sagte sie mir, der heilige Antonius habe ihren Wunsch erfüllt; sie sei nun wieder in Moskau und erlebe, dass die katholische Kirche ihren Glauben frei bekennen kann. Sie habe sogar mehr bekommen, als sie erbeten hatte, denn in Moskau fand sie eine Wohnung neben der Kirche, so dass sie trotz ihres Alters täglich zur Messfeier kann.
Was war Ihr religiöser Gewinn bei dieser Reise?
Meine Ordensberufung und meinen priesterlichen Dienst will ich mit größerer Treue leben, habe ich doch Christen getroffen mit einem einfachen, aber robusten Glauben. Sie haben durchgehalten in der Erprobung. Gewachsen ist auch meine christliche Hoffnung; wenn der Glaube irgendwo schwindet, so lebt er anderswo neu auf.