Der schnellste Mann der Welt

26. August 2013 | von

Das Bild blieb im Gedächtnis: Ein schwarzer Athlet triumphiert auf dem Siegerpodest und demontiert Hitlers Rassenideologie unter frenetischem Beifall. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin sprintet und springt Jesse Owens schneller und weiter als der Rest der Welt. Seine Karriere wird kurz sein, aber unvergessen bleiben.



Olympische Spiele 1936 in Berlin. Sie sollten der Welt die Überlegenheit der arischen Rasse demonstrieren. Doch die groß angelegte Inszenierung dominiert bald ein US-amerikanischer Leichtathlet. James Cleveland Owens, kurz Jesse Owens, ist Student an der Ohio State University in Columbus und schreibt in diesem Sommer Sportgeschichte. In vier Disziplinen landet er als Sieger auf dem Treppchen, im 100- und 200-Meterlauf, im Weitsprung und mit der 4 x 100-Meter-Staffel. Unvergessen hat sich ein Bild in das olympische Gedächtnis eingebrannt. Es ist der 4. August 1936, Owens mit einem Lorbeerkranz steht ganz oben auf dem Siegerpodest und salutiert vor der amerikanischen Fahne. In seinem Rücken, auf Platz zwei, zeigt Luz Long im weißen Trainingsanzug den Hitlergruß.



GEFÄHRLICHE FAIRNESS

Der junge Jesse Owens wird zur sportlichen Ikone und blamiert Hitlers Rassentheorien öffentlich. 100.000 Zuschauer jubeln dem Afroamerikaner frenetisch zu. Auch die Sportlerkollegen zollen seiner Leistung Respekt. Dass Owens nicht schon in der Weitsprung-Qualifikation ausschied, soll er seinem Kontrahenten Long zu verdanken haben. Dieser habe ihm nach dem zweiten Fehlversuch geraten, den Absprung einige Zentimeter vor das Absprungbrett zu setzen, um so ein weiteres Übertreten zu vermeiden, behauptet Owens. Long, der selbst Olympiarekord aufstellte, wurde nach einem spannenden Duell schließlich auf den zweiten Platz verwiesen.

Der Deutsche gratuliert dem Sieger noch in der Weitsprunggrube, beide umarmen sich und laufen freudig ein paar Meter nebeneinander. Später sagt Owens: „Es kostete ihn eine Menge Mut, sich mit mir vor Hitlers Augen anzufreunden. Ich könnte alle meine Medaillen und Pokale einschmelzen lassen und das Gold würde nicht die 24-karätige Freundschaft aufwiegen, die ich für Luz Long in diesem Moment fühlte.“ Die „goldene“ Freundschaft der beiden hielt auch über Berlin hinaus, jedoch begegneten sie sich danach nie wieder. Long fiel im Zweiten Weltkrieg. 


RASSISMUS GEWOHNT

Eigentlich hatte der 23-jährige Jesse an den olympischen Spielen im Dritten Reich gar nicht teilnehmen wollen. Grund für den geplanten Boykott war die Diskriminierung von jüdischen und dunkelhäutigen Athleten. Sein Trainer mahnte ihn, davon abzusehen, da diese Entscheidung seiner sportlichen Karriere schaden würde. Nachdem ein Beobachter entsandt worden war, um die Situation in Deutschland zu begutachten und einer US-amerikanischen Teilnahme zustimmte, reiste Owens mit 382 Sportlern am 15. Juli 1936 mit dem Schiff nach Berlin.

Rassismus in seinen vielfältigen Ausprägungen kannte der junge Athlet aus dem eigenen Land. Franklin D. Roosevelt verweigert dem Olympiasieger nach den Wettkämpfen sogar das Glückwunschtelegramm sowie den Eintritt ins Weiße Haus aus Angst, im laufenden Wahlkampf die Südstaatler mit dem Empfang eines „Negro“ zu verärgern.



REKORD UM REKORD

Jesse wird am 12. September 1913 in Oakville Alabama als jüngstes von zehn Kindern geboren. Die Eltern pachten eine Farm, um die Familie ernähren zu können. Bereits in der Schule fällt dem Sportlehrer Charles Reilly das Talent Owens auf. Leichtathletik ist ein angesehener Sport in den USA, und Jesse schafft es an die Universität.

Es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise, Rassentrennung gehört zum amerikanischen Alltag. So darf der junge Student nicht mit seinen Mannschaftskollegen am Campus wohnen und bleibt von deren sozialen Unternehmungen ausgeschlossen, obwohl er der erste schwarze Mannschaftskapitän ist.

Trotz einer Rückenverletzung, die er sich tags zuvor bei einer Rangelei zugezogen hatte, liefert Owens am 25. Mai 1935 innerhalb von 45 Minuten fünf neue Weltrekorde. Die Sportler staunen, und sein Trainer Larry Snyder erzählt beeindruckt: „Jesse schien über die Piste zu schweben. Er streichelte sie geradezu. Von der Hüfte an aufwärts bewegte er den Körper praktisch nicht – er hätte eine volle Kaffeetasse auf dem Kopf balancieren können und nichts davon verschüttet.“ Die Reporter in Ann Arbor, Michigan dagegen, die von der Big Ten Conference berichteten, geben sich wenig beeindruckt vom „Ohio State Negro“.



SPÄTE EHRUNG

Auch nach den olympischen Spielen mangelt es in der Heimat an Anerkennung. Aus finanziellen Gründen entscheidet er sich kurz nach seinen größten Erfolgen, die wenig lukrative Sportkarriere an den Nagel zu hängen. Von nun an sichert er durch Werbeauftritte und dubiose Schauläufe den Lebensunterhalt für seine Frau Ruth Solomru und die drei Töchter. Er tritt gegen Motorräder, Pferde und Windhunde an, bis er eine Reinigung eröffnet. Zudem kann er seinen Namen bei verschiedensten Auftritten vermarkten, auf denen er meist von Berlin 1936 berichtet, tourt dann als Dirigent einer Jazz-Band durchs Land und verliert an der Börse. Auf Steuerbetrug und Bankrott folgt die Gründung einer PR-Agentur.

Dem ständigen Auf und Ab setzt Dwight D. Eisenhower 1955 ein Ende. Er ernennt ihn zum „Botschafter des Sports“ und lässt ihm die lang verdienten Ehren zuteilwerden. Finanziell etabliert, reist Jesse Owens die kommenden Jahre um die Welt, bis der Kettenraucher bereits im Alter von 66 Jahren am 31. März 1980 an Lungenkrebs verstirbt.


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016