Des Papstes Stimme: L'Osservatore Romano
Die publizistische Stimme des Papstes „schwarz auf weiß“, so könnte diese ungewöhnliche Tageszeitung benannt werden. Längst ist sie auch vorab im Internet abrufbar. Und es gibt sie in verkürzter Fassung als Übersetzung in die verschiedensten Sprachen. Weltanschauliche Gegner machten die Erfahrung, dass der Osservatore Romano keineswegs zahm daherkommt, sondern mutig seine Meinung vertritt. So erklärt es sich, dass der OR bis heute in den Schaltzentralen der Macht aufmerksam gelesen wird.
Die großen Zeitungen der Welt zeigen ihre Bedeutung auch in der Größe ihrer Verlagshäuser, in imposanten Bauten, mit weit sichtbarer Reklame. Wer jedoch den Sitz der Zeitung des Papstes aufsucht, wird enttäuscht. Die Verlags- und Redaktionsräume des „Osservatore Romano“, des „Römischen Beobachters“, liegen in einer kleinen, verwinkelten Straße der Vatikanstadt, der Via del Pellegrino, in einem bescheidenen Backsteinbau, den nur ein päpstliches Wappen und ein Marmorschild schmücken.
Am 1. Juli 1861, wenige Monate nach der Ausrufung des Königreiches Italien, hatten engagierte Bürger des Kirchenstaates – darunter Marcantonio Pacelli, der Großvater Pius’ XII. – die Zeitung gegründet, um dem Papst eine publizistische Stimme zu geben, die seine Sicht und das Anliegen des Glaubens der Welt vermittelt. Aus der privaten Initiative wurde nach einigen Jahren eine Publikation, die in den Besitz des Heiligen Stuhles überging.
DIE LIPPEN SEINER HEILIGKEIT
Es blieb nicht aus, dass man dem „Osservatore Romano“ schon bald eine gewisse Form der Hofberichterstattung vorwarf. Böse Stimmen sprachen später sogar von der „Prawda“ des Vatikans. Der Schreibstil gab sich für lange Zeit, bis in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hinein, sehr blumenreich. Schon Pius XII. (1939-1958) hatte sich bei bestimmten Formulierungen – „Heute durften wir von den Lippen Seiner Heiligkeit diese Worte pflücken“ – sichtlich unwohl gefühlt, aber erst seinen Nachfolgern gelang es, solche Passagen streichen zu lassen.
Bei aller Kritik aber stand man dem „Osservatore Romano“ von Anfang an eines immer zu: Mut. Sowohl in den Zeiten eines aggressiven Antiklerikalismus, nach dem Untergang des alten Kirchenstaates im Jahre 1870, als auch unter der Herrschaft der Faschisten, wurde er in Italien mehr als ein Mal beschlagnahmt. Auf originelle, aber auch unmissverständliche Weise äußerte er sich in den Dreißiger Jahren zum Besuch Adolf Hitlers in Rom. Als der „Führer“ in der Stadt am Tiber eintraf, hatte sich Pius XI. zu seiner Sommerresidenz in die Albaner Berge begeben. Die Zeitung des Papstes brachte die kurze Meldung, der Heilige Vater sei in Castel Gandolfo eingetroffen, „da ihm die dortige Luft besser bekäme als in der Ewigen Stadt“.
LICHT DER ORIENTIERUNG
Zur Rolle der Zeitung im Zweiten Weltkrieg stellte Papst Paul VI. (1963-1978) fest: „Es war so, als würden in einem Saal alle Lichter erlöschen, und ein einziges bleibt übrig: Alle Blicke richten sich auf das noch brennende Licht; und zum Glück war es das vatikanische Licht. Der ‚Osservatore’ erschien damals als das, was er im Wesentlichen seit jeher gewesen ist: ein Orientierungslicht.“
Wie kein anderer Beobachter wird der „Römische Beobachter“ auch selber unter Augenschein genommen. Jede Stellungnahme, jeder in ihm abgedruckte Kommentar wird in den Schaltzentralen der Macht gelesen und studiert. Ob in Washington, Paris, Moskau oder Peking, überall ist er Pflichtlektüre. Aber auch die weltweite Medienlandschaft analysiert die Beiträge des Vatikanblattes, und zwar die aller Sparten. Nimmt der „Osservatore Romano“ zur Premiere eines Hollywoodfilmes oder zu einem brisanten Bestseller Stellung, gibt er Einschätzungen zu wissenschaftlichen Unternehmungen oder technischen Errungenschaften, darf man sicher sein, dass die internationalen Presseagenturen darüber berichten.
DER PAPST UND DIE FRAUEN
Unter ihrem heutigen Chefredakteur Giovanni Maria Vian hat das Blatt ein neues, frisches Gesicht bekommen und den Weg ins Internet gefunden. Die Qualität hat darunter nicht gelitten. Bei einem Besuch der Redaktion „seiner“ Zeitung stellte Benedikt XVI. fest: „Der ‚Osservatore Romano’ bleibt nicht an der Oberfläche der Ereignisse, sondern er geht ihnen auf den Grund.“
Auf besonderen Wunsch des Papstes widmet sich der „Osservatore Romano“ seit einiger Zeit verstärkt der Rolle der Frauen in und für die Kirche. Einmal im Monat enthält die italienische Tagesausgabe die Beilage „Donne, Chiesa, Mondo“ (Frauen, Kirche, Welt). In der Zeitung selber ist das weibliche Geschlecht schon länger präsent. Sogar in Führungspositionen. Der deutschsprachigen Wochenausgabe steht seit 2008 die Tirolerin Astrid Haas als Chefredakteurin vor.
Für Astrid Haas hat der „Osservatore Romano“ aber vor allem „eine Brücke zwischen den Ortskirchen und dem Vatikan zu bauen“ – mit seiner italienischen Tagesausgabe und den Wochen- und Monatsausgaben in den Sprachen Französisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Deutsch, Polnisch und Malayalam (einer Sprache, die von 33 Millionen Menschen in Südindien gesprochen wird), soll er in aller Welt „schwarz auf weiß“ die Stimme des Papstes sein.