Dialog der Liebe

01. Januar 1900 | von

Der Mensch ist berufen, Dialog-Partner Gottes zu sein. Das ist aus dem Schöpfungswort des sechsten Tages herauszuhören: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild: als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. (Gen 1,27). Als Mann und Frau sind sie das eine Bild von Gott, berufen in ihrer Bezogenheit und Gemeinschaft, den Dialog der Liebe miteinander zu führen und darin die Sprache der Liebe Gottes wieder zu geben. Mann und Frau sind von gleicher Würde; gemeinsam sind sie jenes Bild, in das Gott etwas von seinem Wesen hineingelegt hat. Gott segnet Adam und Eva gemeinsam (Gen 1,28), denn als Paar vollenden sie die Schöpfung, in ihrer Verwiesenheit aufeinander, durch ihre Liebe und die Weitergabe des Lebens. Hier wird nicht nur über die Ehe eine Aussage gemacht, sondern auch die Ergänzung angesprochen, die der männliche und der weibliche Eros, der mütterliche und der väterliche Mensch einander schenken. Diese Polarität des Menschen äußert sich in allen Bereichen des Lebens, in der Weltgestaltung genauso wie in der Beziehung zu Gott.

Abbild der Liebe Gottes. Die auf Dauer angelegte Gemeinschaft von Mann und Frau wird schon im Alten Testament als Schöpferwille Gottes erkannt, der nicht wollte, dass der Mensch allein bleibt, sondern der ihm einen Partner an die Seite stellte, mit dem er sein Leben teilen sollte (vgl. Gen 2,18-24). Die Deutung dieser dauerhaften Verbindung zweier Menschen ist in der Heiligen Schrift vielfältig. Besonders hervorgehoben wird aber im Alten Testament die Abbildfunktion der Ehe: Sie stellt den Bund Gottes mit dem Volk Israel dar (vgl. Hos 1-3; Jer 2,2; 3,1; Ez 16,23; Mal 2,14-16).
Diese Deutung bezeugt auch das Neue Testament. Wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, so sollen die Christen einander dienen und so die Liebe Christi vor der Welt bezeugen (vgl. Eph 5,25-26).
In besonderem Maß gilt das für die Ehe: Einerseits bleibt sie menschliche Institution, andererseits wird sie zur anschaulichen und erfahrbaren Darstellung der Hingabe Jesu Christi.

Bedingungsloses Ja. Die Ehe ist wie die anderen Sakramente ein Zeichen, das gläubige Menschen in bestimmten Lebensabschnitten und Situationen mit Christus verbindet, der ihnen Kraft und Wegbegleitung schenkt.
Paulus nennt die Ehe eine Wirklichkeit, die nur im Christusglauben zu erfassen ist: ...die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche (Eph 5,31f). Aus der Grundwirklichkeit allen biblischen Denkens, des Bundes Gottes mit den Menschen, wird die Beziehung der Ehegatten verstanden. Wo zwei Christen eine Lebensgemeinschaft miteinander eingehen, dürfen sie sich in der Bundesliebe Gottes, in seinem Ja zu den Menschen, geborgen wissen. Wird nicht so der Mann durch die Liebe der Frau und die Frau durch die Liebe des Mannes etwas davon erfahren können, was das heißt, Gott liebt uns? Das unbedingte, uneingeschränkte Ja zu diesem einmaligen, unverwechselbaren Menschen ist dem Ja Gottes zum Menschen vergleichbar. Es ist das Ja ohne Vorbehalte, ohne Rückversicherung, das Ja, das erst die volle Hingabe des Partners, ohne Reserve, ohne Angst, möglich macht.
Damit ist aber auch klar, wie sehr das Sakrament eine Lebensaufgabe ist. Ja der Vergleich mit der Liebe zwischen Gott und Mensch (Christus – Kirche) stimmt erst, wenn in die Familie etwas von der Liebe einzieht, die Christus uns lehrt, die Liebe, in der auch das Teilen und Tragen seinen Ort hat.

Zeichen der Nähe Jesu. Wir haben vom Ehe-Sakrament als Zeichen gesprochen, durch das Christus den Eheleuten gegenwärtig ist. Worin aber besteht dieses Zeichen der Anwesenheit des Herrn? Im Einfachsten, das man sich vorstellen kann: im gegenseitigen Treueversprechen und im Leben nach diesem Versprechen. Es ist nicht der Priester, der das Sakrament spendet, er nimmt das Eheversprechen im Gottesdienst entgegen. Die heutige Gestalt des Ritus der Eheschließung entwickelte sich über Jahrhunderte und erhielt seine gegenwärtige Form im 16. Jahrhundert. Ab dem 12. Jahrhundert wurde die Ehe in der Kirche geschlossen. Das Sakrament ist nicht nur in der äußeren, juristischen Form der Eheschließung begründet, auch nicht in der Trauungsliturgie, sondern im Zusammensein in Liebe und Treue bis in den Tod. Alles also, was Eheleute einander schenken an Liebe, Hilfe und Zärtlichkeit ist Gnade und Zeichen der Anwesenheit Gottes.

Unauflöslicher Bund. Die Scheidungsmöglichkeit – übrigens nur dem Mann zugestanden – ist für Jesus ein bloßes Zugeständnis aufgrund menschlicher Herzenshärte. Sie ist ein Abfall vom ursprünglichen, gottgewollten Ideal. Die Unauflöslichkeit des Ehebundes begründet Jesus mit dem Verweis auf die Schöpfungsordnung: Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. (Mk 10,2-9). Die Ehe in der neuen Erlösungsordnung soll etwas von der Treue und Liebe Gottes zu den Menschen widerspiegeln. Dass es zur Zeit Jesu – das heißt im Frühjudentum auch eine grundsätzliche Ablehnung der Ehescheidung gab, beweist ein Wort des Rabbi Elieser (um 100 n. Chr.), das sich auf den Propheten Maleachi bezieht: Über jeden, der sich von seiner ersten Frau scheidet, vergießt sogar der Altar
Tränen.
 
Ehe in der Krise. Sicher ist der Wille zur Treue am Hochzeitstag selbstverständlich. Aber jeder weiß um die Schwierigkeiten, die kommen können. Viele gescheiterte Ehen haben anscheinend auch ideal begonnen. Das Eheversprechen, das gegenseitige Ja, unter den Segen Gottes gestellt, besitzt auch eine Zusage Gottes. Eheleute müssten immer wieder den Glauben daran erneuern, dass Gott über ihre Liebe wacht. Allzu oft wird leider die Voraussetzung übersehen, dass nur der das Sakrament Ehe leben kann, der sein Christentum ernst nimmt. Heiraten nicht zu viele Paare in der Kirche ohne diese Voraussetzung mitzubringen? Wenn ich so kritisch frage, so will ich keineswegs unkirchlichen Menschen das Gelingen ihrer Ehe absprechen. Ich will nur ganz stark betonen, dass das Ehesakrament christlichen Glauben voraussetzt. Die Anwesenheit Gottes in einer gläubigen Familie will nicht besagen, dass es dort keine gegensätzlichen Charaktere, Fehler in der Partnerwahl, Unglück mit Kindern, Nervosität und Krankheit geben könnte. Es heißt aber wohl, dass für den Gläubigen immer dieser Dritte da ist: Christus, der stärkt, tröstet, Hoffnung gibt und der uns daran erinnert, dass es seliger ist zu geben als zu nehmen.
Die Scheidungsziffern lassen die Augen davor nicht verschließen, dass die Ehe heute in eine Krise geraten ist. Nach dem Wegfall vieler Stützen rechtlicher und gesellschaftlicher Art sind die Partner fast ausschließlich auf ihre persönlichen Kräfte angewiesen. Viele Ehen auf Probe oder Ehen ohne Trauschein werden keineswegs aus Leichtsinn unverbindlich gehalten, sondern aus mangelndem Vertrauen in die eigene Fähigkeit zur Treue. Diese Bindungsangst stellt sicher eine der großen Nöte unserer Zeit dar. Das Prinzip der unauflöslichen Ehe, an das sich die Kirche durch das Wort Jesu was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen (Mk 10) gebunden weiß, erscheint vielen als menschliche Überforderung.

Nicht immer gültig. Viel zu wenig bekannt ist, dass auch in der Kirche geschlossene Ehen nicht unbedingt vor Gott Gültigkeit haben müssen, dass also nicht alle Partner Gott verbunden hat. Eheschließungen können von einem kirchlichen Gericht für nichtig erklärt werden, wenn überzeugend nachgewiesen werden kann, dass ganz wesentliche Bedingungen, die zum Ehesakrament gehören, von einem oder beiden Partnern schon vor der Eheschließung nicht erfüllt wurden. Gründe, die eine Ehe ungültig machen können: Bewusste Täuschung des Partners, Zwang, bestimmte Formen der Partnerschaftsunfähigkeit, der bewusste Ausschluss von Nachkommenschaft, das schon zu Beginn der Ehe nicht ernst genommene Treueversprechen.

Gescheitert – und dann? Schon die frühchristlichen Gemeinden mussten sich mit Eheproblemen beschäftigen. Eine Wiederverheiratung der Christen, von denen sich der heidnische Partner getrennt hat, erlaubt Paulus und begründet seine Weisung damit, dass die Christen zu einem Leben in Freiheit und Frieden berufen sind. Ausdrücklich bemerkt er dazu, dass er diese Entscheidung allein verantwortet und sich nicht auf ein Herrenwort berufen kann (1Kor 7,12-16).
Viele Fragen, die sich heute angesichts vieler gescheiterter Ehen stellen, treten nicht ins Blickfeld des Neuen Testamentes. Hätten nicht andere Einsichten, etwa Erkenntnisse der Psychologie und der Soziologie, wie wir sie auch erst seit kurzem haben, Paulus veranlasst, in manchen Fällen einem Christen zu sagen: zu einem Leben in Freiheit und Frieden hat dich Gott berufen.
Könnte nicht auch in unserer Kirche, ähnlich der Praxis in der Ostkirche, nach einer Zeit der Aufarbeitung der Schuld und einem Bußverfahren wiederverheirateten Geschiedenen, der Empfang der Sakramente erlaubt sein, gerade wenn sie als gläubige Menschen auf den Segen zur Gestaltung ihrer Partnerschaft und Familie vertrauen?
Sicher ist die Kirche an die Weisung Jesu und an die Tradition gebunden: Das Ehesakrament ist unauflöslich, weil es ein Bild des Bundes Gottes mit uns Menschen sein soll. Auch in den Ostkirchen gilt die Zweitehe nicht mehr als Sakrament, ihre Segnung in einfacher Form gilt als Zugeständnis aus Barmherzigkeit.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016