Die Einsamkeit der Insel
Auch die Isola Maggiore (größere Insel) im Trasimener See nutzte Franziskus als Einsiedelei auf Zeit. Dieser See ist der größte des italienischen Stiefels, mit einer anmutigen Umgebung und einem Schilfgürtel am seichten Ufer. Leicht gewellte Hügel mit Olivenbäumen, Weingärten und einige bewohnte Flecken bilden ein harmonisches Ganzes. Diese Insel im nördlichen Teil des Sees erreicht man mit dem Schiff von Tuoro oder von Passignano aus. Der große Hügel (308 Meter über Meereshöhe) ist mit Olivenbäumen, Steineichen, Zypressen, Pinien und Pappeln bewachsen. Der Rundweg um die Insel ist gut zwei Kilometer lang. Die knapp hundert Menschen ernähren sich vom Tourismus und Fischfang. Die Frauen pflegen die Kunst des Spitzenhäkelns, in die eine Lehrerin aus Irland die Inselbewohnerinnen um die vorletzte Jahrhundertwende eingeführt hat.
Geschichtlicher Rundblick. Die Insel blickt auf eine lange, bewegte Geschichte zurück. Im Jahr 217 vor Christus wird am Nordufer des Sees der römische Feldherr Flaminius von Hannibal, dem Heerführer der Karthager, vernichtend geschlagen. An die Schlacht von Cannae im Jahr darauf erinnern moderne Steinplastiken am Seeufer von Tuoro. 817 verschenkt Kaiser Ludwig der Fromme die Stadt Perugia, den Trasimener See samt den drei Inseln an Papst Paschalis I. Nach dem Jahr 1300 leben auf der Insel etwa zweihundert Familien. Um diese Zeit wird eine Franziskuskirche zur Erinnerung an den Aufenthalt des Heiligen auf der Insel gebaut. 1887 wird das verstaatlichte Kloster und die dazugehörige Kirche an den Marquis Giacinto Gugliemi verkauft. Franziskus kam zum Fasten und Beten auf die Isola Maggiore. 1211 hatte er in der Stadt Cortona gepredigt, pilgerte dann an den Trasimener See und ließ sich in der Nacht zum Aschermittwoch (damit es niemand gewahr würde) von einem befreundeten Fischer auf die Isola Maggiore übersetzen, um in der Einsamkeit der Insel die Zeit bis Ostern mit Gebet und Fasten zu verbringen.
Aschermittwoch bis Ostern. Die Fioretti (VII) erzählen: „Der heilige Franziskus nahm nichts mit außer zwei kleinen Broten. Als sie auf der Insel ankamen und der Freund wieder nach Hause zurückkehrte, bat ihn der heilige Franziskus inständig, niemandem davon zu verraten, dass er hier sei und dass er ihn erst wieder am Gründonnerstag abhole. So fuhr der Freund wieder ans Land, und der heilige Franziskus blieb allein zurück. Hier begann er, sich ins Gebet zu versenken und über himmlische Dinge nachzusinnen. Er blieb da die ganze Fastenzeit über, ohne Speise und Trank zu sich zu nehmen, bis auf die eine Hälfte der beiden Brote, nach dem zu berichten, was sein Freund vorfand, als er am Gründonnerstag wieder zu ihm zurückkehrte; denn dieser fand von den beiden Broten das eine noch ganz und das andere zur Hälfte. Die andere Hälfte, so glaubt man, hat der heilige Franziskus zu Ehren der Fasten Christi, des Gebenedeiten, verzehrt, der vierzig Tage und vierzig Nächte fastete, ohne irgendeine leibliche Speise zu sich zu nehmen. Mit diesem halben Brot vertrieb er von sich das Gift der Selbstüberheblichkeit und fastete nach dem Vorbild Christi auch vierzig Tage und vierzig Nächte. Danach ließ Gott auf dieser Insel, auf der der heilige Franziskus so wunderbare Enthaltsamkeit geübt hatte, viele Wunder für dessen Verdienste geschehen."
Fasten als Waffe. Franziskus fastete oft. Er tat es zur Ehre des Herrn, aber auch, um Maria, den Engeln und Heiligen einen Lobpreis zu bringen und seine Verbundenheit zu bezeugen. Fasten ist für ihn Lobpreis Gottes. Er will aber auch ganz durchlässig werden für das, was Gott mit ihm vorhat. Er hat erfahren, dass durch das Fasten die Sinne freier und für das Empfinden der geistlichen Welt geschärft werden. Nicht übersehen dürfen wir, dass der Heilige und seine Brüder im Fasten eine entscheidende Waffe im Kampf gegen ungeordnete Gelüste und den widergöttlichen Geist entdeckt haben.
Franziskus sieht die Gefahr, dass Fasten stolz macht und dass man durch „Fastenerfolge" andere beschämen kann. Wie sein Fasten auf der Insel zeigt, war er hierin sehr sorgfältig und vermittelte diese Sensibilität auch seinen Brüdern.
Es wird erzählt, dass während seiner Überfahrt ein schweres Unwetter herrschte. Der Franziskanerchronist Wadding versichert, es sei wahr, dass Franziskus bei dieser Fahrt den vom Sturm aufgewühlten See mit der ausgestreckten Hand beruhigte.
Sehenswertes. Den Rundgang um die Insel beginnen wir im Westen am Schiffsdamm und gelangen geradewegs in die kleine alte Ansiedlung mit einer breiten Straße, der Via Guglielmi. Die Architektur stammt aus der Zeit zwischen dem
14. und 17. Jahrhundert. Nach Norden hin treffen wir gleich linker Hand auf die Kirche „Buon Gesu". An der nordwestlichen Ecke der Insel steht die älteste Kirche: San Salvatore, mit drei Schiffen und einer Apsis. An ihrer Fassade trägt sie das Bild des Kaisers Friedrich Barbarossa, der sich auch im päpstlichen Staat seine kaiserliche Macht bestätigen ließ. So mussten die Kirchen mit seinem Abbild versehen werden.
Im Osten der Insel liegt der Felsen, bei dem der heilige Franziskus seine Fastenzeit verbrachte. Noch heute steht dort eine schlichte Kapelle. Ganz in der Nähe liegt der Ort, an dem er 1211 an Land ging. Hier ist auch eine Quelle, über der eine zweite kleine Kapelle steht. An diesem östlichen Ufer steht eine Bronzestatue des heiligen Franziskus aus unserer Zeit. Sie wurde von den Eltern des Franziskaner-Minoriten Felice Rosetti aus Florenz gestiftet.
Vergangener Ruhm. Am Südhang des Inselhügels liegt das ehemalige Kloster der Franziskaner mit der Kirche des heiligen Franziskus. Gäbe es nicht den Kirchturm, würde man sie nicht mehr erkennen, denn ein zerfallener Schlossbau ummantelt das alte Heiligtum. Leider gleicht heute die Kirche einer Ruine. Der Marquis Guglielmi hatte das verstaatlichte Klosterensemble mit Inventar gekauft und Kloster und Kirche in den Schlossbereich einbezogen. Für kurze Zeit wurde die Insel durch diese aristokratische Familie zu einem Modeort zwischen Rom und Florenz. Durch die Außenarbeiten hatte das Kloster das Aussehen eines typischen Schlosses bekommen. Die Innenarbeiten hatten es in eine luxuriöse Villa verwandelt. Die Kirche des heiligen Franziskus wurde zwar noch einmal im letzten Jahrhundert feierlich eingeweiht, doch als die Erben Guglielmis das Schloss nach 1960 verkauften, begann der Untergang. Man steht traurig vor den Ruinen, die einmal franziskanisches Heiligtum waren. Es ist ein Ruf zurück zum Ursprung, zur frühen Schlichtheit und Demut. Sic transit gloria mundi (So vergeht der Ruhm der Welt). In diesem Kloster waren einst berühmte Besucher zu Gast, unter anderem Berhardin von Siena, Papst Julius II. und Papst Pius II.
Nach Norden hin steigen wir auf den Scheitelpunkt des Inselhügels zum Heiligtum des Erzengels Michael. Es stammt aus dem 12. oder
13. Jahrhundert, mit bemerkenswerten Malereien und einem eindrucksvollen Kreuz über dem Altar, das an den vier Balkenenden großartige Tafelbilder hat. Rechts und links Maria und Johannes, oben am Kreuzende den heiligen Hieronymus, den heiligen Leonhard und den Erzengel Michael und unten am Kreuzende den heiligen Franziskus und die heilige Magdalena.
Dem franziskanischen Pilger fällt sicher das Fresko mit Franziskus und der heiligen Klara auf, und er wird auch schnell den heiligen Bernhardin von Siena zwischen einem byzantinischen Bischof und dem heiligen Sebastian erkennen.