Die Franziskaner-Minoriten in Kanada

13. Mai 2018 | von

Kanada hat fast 40 Millionen Einwohner, wovon etwa 40% Katholiken sind. Die Französischsprachigen leben größtenteils in Québec, die Englischsprachigen verteilt im Rest des Landes. Daneben gibt es viele Nachfahren von Immigranten aus aller Welt. 
Der uns nun schon vertraute Generalassistent Jude Winkler gibt uns einen Einblick in die Präsenz der Franziskaner-Minoriten in Kanada. 

Die ersten Franziskaner-Minoriten, die nach Kanada kamen, gingen vor allem dorthin, um für die Immigranten da zu sein. Dabei kamen die Minderbrüder selbst auch aus verschiedenen Ländern: Einige Brüder zogen aus der (ehemaligen) amerikanischen Immaculata-Provinz, die von Deutschland aus gegründet worden war, nach Kanada, um für die deutschen Einwanderer in der Region von Montreal da zu sein. Zusätzlich kamen Brüder aus Polen, um den ebenfalls dort lebenden polnischen Einwanderern seelsorglich beizustehen. Und schließlich wurden auch amerikanische Brüder geschickt, die in englischer Sprache rund um Toronto, Kingston, Burlington, Montreal etc. tätig wurden. Sie alle übernahmen Seelsorgsaufgaben für ihren jeweiligen Sprachraum. 
Heute: zwei Gruppen von Brüdern
Diese unterschiedlichen Anfänge haben bis heute die Folge, dass es verschiedene „Gruppen“ von Brüdern in Kanada gibt. Da gibt es zum einen rund um Montreal die Provinzkustodie, die zur Danziger Provinz gehört, zum anderen eine Reihe von Pfarreien, die in den Verantwortungsbereich der amerikanischen Provinz „Our Lady of Angels“ gehören. 

Die Kustodie von Montreal
Um das Jahr 1930 bat der damalige Erzbischof von Montreal den Provinzialminister der amerikanischen Antonius-Provinz, die sich damals schwerpunktmäßig der Seelsorge für Polen in Amerika widmete, einige Brüder in die Gegend von Montreal zu schicken, um sich um die dortigen Immigranten zu kümmern. Einige Brüder, die dorthin gingen, waren gebürtig aus Polen, andere waren Kinder oder sogar schon Enkelkinder von Einwanderern, die bereits sehr viel früher in die USA übersiedelt waren.
Die Brüder übernahmen die Seelsorge in drei Pfarreien, nämlich St. Mary of Czestochowa, St. Michael und Holy Trinity. Die der Muttergottes von Tschenstochau gewidmete Pfarrei ist berühmt für ihre außergewöhnliche Kunstausstattung. Der für die Kirche beauftragte Künstler hatte einige Fresken geschaffen, die bis heute das Gotteshaus schmücken. Zur Pfarrei St. Michael gehört eine sehr große Kirche, die wie eine byzantinische Basilika oder fast wie eine riesige Moschee aussieht. In den ersten Jahren waren die Brüder vor allem für die Polen der ersten Immigrationsbewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des 1. Weltkriegs da – und schließlich für die zweite Einwandererwelle in Folge des 2. Weltkriegs. Diese Menschen kamen damals direkt aus Polen und fühlten sich im nordamerikanischen Kanada irgendwie fehl am Platz und orientierungslos. Die Brüder kümmerten sich also nicht nur um Sakramente und Seelenheil, sondern halfen oft bei den alltäglichen bürokratischen Schwierigkeiten, die einem in einem neuen Land begegnen. Da war die Muttersprache ein wichtiges Hilfsmittel!
In den 1970er Jahren wurde es den Brüdern aus den USA mehr und mehr bewusst, wie schwierig es geworden war, den Bedürfnissen der Pfarreien gerecht zu werden: Die dort tätigen Brüder waren nun Kinder oder Enkel von Immigranten. Sie sprachen ein anderes Polnisch als Muttersprachler. Mit ihrem unzeitgemäßen Polnisch hörten sie sich reichlich unbeholfen an. Das fiel dadurch noch stärker auf, dass die neuen Immigranten aus dieser Zeit oft hoch qualifizierte Personen waren, die vor dem Kommunismus in Polen flohen. Die Vorfahren der amerikanischen Brüder aber waren zumeist Bauern, deren Polnisch von einem starken regionalen Akzent geprägt war... 
Deshalb fragten die amerikanischen Brüder im Jahr 1973 die Brüder von Danzig, die drei bislang ihnen anvertrauten Pfarreien zu übernehmen. Die dortige Provinz hatte die Möglichkeit, junge, gut ausgebildete Priester zu schicken, die den Bedürfnissen der Gemeindemitglieder gerecht werden konnten. Mit der Zeit entstand daraus eine Provinzkustodie – ein rechtlicher Status, der bis heute fortbesteht. Interessant ist dabei, dass einige Brüder, die heute in Kanada leben, ursprünglich als Missionare in Kenia tätig waren. Es ist nicht ungewöhnlich für Missionare, dass ihnen irgendwann die Kraft fehlt – verständlich, wenn man ihren Einsatz unter nicht immer einfachen Bedingungen bedenkt. Statt in ihr Heimatland Polen zurückzukehren, haben viele Kenia-Missionare aber entschieden, gerne weiter im Ausland tätig zu sein, aber eben nicht unbedingt in einem „klassischen Missionsland“. Einige von ihnen leben nun also in Kanada als Seelsorger für ihre Landsleute.

Demografischer Wandel
Allerdings: In den letzten Jahren hat der demografische Wandel die drei Pfarreien sehr geprägt. Zunächst kommen natürlich weniger Immigranten aus Polen. Denn wenn heute ein Pole auf der Suche nach Arbeit ist, dann viel eher in einem Land der Europäischen Union. Obendrein gibt es heute rund um Toronto bessere Arbeitsmöglichkeiten als in der Gegend von Montreal. Dort spricht man hauptsächlich Französisch, und die Wirtschaft stockt ein wenig, wohingegen Toronto im Blick auf Bevölkerung und Wirtschaft boomt. Jüngst haben die Brüder der Kustodie nun drei amerikanische Pfarreien übernommen, die die Brüder der Provinz „Our Lady of Angels“ in den USA nicht mehr besetzen konnten: Boston, Bridgeport und Clifton. Gerade die letztere ist sehr aktiv und hat eine verheißungsvolle Zukunft.

Brüder in Ontario
Neben der geschilderten Provinzkustodie gibt es weitere Brüder in der kanadischen Provinz Ontario. Sie kümmern sich um englischsprachige Gemeinden. 
Zu nennen ist hier die Pfarrei St. Bonaventura in Don Mills bei Toronto. Ihre Mitglieder stammen aus vielen verschiedenen Ländern und pflegen ein lebendiges Pfarrleben. Dort befindet sich auch das „Tobias House“, eine Einrichtung für körperlich Behinderte, die auf eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung angewiesen sind. Die Brüder haben bei der Gründung geholfen und sitzen nach wie vor im Stiftungsrat und haben somit teil an diesem wichtigen Werk!
Die Brüder dort haben auch die englischsprachge Ausgabe des Sendboten, den „Messenger of St. Anthony“, unterstützt. Ein Verein in Toronto verteilt Spenden, die von Lesern der Zeitschrift gesammelt wurden. 
Eine zweiter Konvent befindet sich in Kingston. Auch wenn es dort nicht viele Katholiken gibt, ist Kingston ein Erzbistum. Die Brüder arbeiten in der Pfarrei „St. John the Apostle“ und haben verschiedene Kaplansstellen, zum Besipiel in der Schule, im Krankenhaus und bei einer Schwesterngemeinschaft.
Eine dritte Niederlassung wurde erst jüngst in Ottawa, der Hauptstadt Kanadas, errichtet. Einer der Brüder, Br. Jobe Abbass, hat viele Jahre lang Kanonisches Recht an der dortigen Universität unterrichtet. Er ist übrigens einer der weltweit nur wenigen Experten für das Kanonische Recht der Ostkirchen! Sein Aufenthalt dort war eigentlich der Beginn von etwas Größerem. Denn irgendwann fragte Erzbischof Prendergast Br. Jobe, ob er nicht darauf hinarbeiten könne, dass die Brüder nach Ottawa kommen. Br. Jobe schlug eine Kommunität aus Brüdern verschiedener Herkunftsländer vor, fand genug Minoriten, die dazu bereit waren, und so konnte im Herbst letzten Jahres ein Konvent gegründet werden. Vier Brüder gehören ihm mittlerweile an: neben dem gebürtigen Kanadier Br. Jobe noch Br. Jeremiah aus Rumänien, Br. Dominic von den Philippinen und Br. Savior aus Kerala in Indien. Sie sind als Pfarrer bzw. als Krankenhauskaplan tätig. 
Interessant ist auch, was Br. Mark Steed einige Jahre lang gemacht hat. Er war als Priester in der Diözese von Yellowknife nahe Alaska tätig. Dort gibt es nur wenige Geistliche – oft hatte der Bischof nicht mehr als fünf Priester zur Verfügung! Br. Mark arbeitete dort mit den Ureinwohnern und ist heute noch sehr bewegt von deren tiefer Spiritualität und ihrer Fähigkeit, in diesem rauen Klima zu leben. Wie wohl alle echten Seelsorger sagt auch er: „Ich selbst habe von den Leuten mehr gelernt als ich ihnen beigebracht habe...“

Ein Blick in die Zukunft
Nachdem die amerikanische Provinz „Our Lady of Angels“ nun drei Konvente in Kanada hat, hofft man, dass sie bald zur Provinzdelegation erhoben werden können. Das würde zwar keine totale Autonomie bedeuten, aber die Rechte der Brüder vor Ort stärken. Es wäre auch ein Zeichen dafür, dass der Orden seine Präsenz in Kanada ausbauen möchte...

Zuletzt aktualisiert: 13. Mai 2018
Kommentar