Die Gendarmen des Papstes
Sie bewachen den Sohn eines Gendarmen. Freundlich, aber bestimmt treten sie dabei auf. Als begehrte Objekte für Touristenfotos stehen sie ein wenig im Schatten der Schweizer Gardisten, waren aber bereits ein halbes Jahrhundert vor ihnen aufgestellt, als schlagkräftige Polizeitruppe. Der Autor, ein ausgewiesener Kenner der vatikanisch-römischen Welt, präsentiert hier das Gendarmeriekorps der Vatikanstadt und beruhigt hinsichtlich der Sicherheit des Heiligen Vaters.
Millionen von Menschen zieht es Jahr für Jahr in die Ewige Stadt. Wenn sich Touristen und Pilger auf den Petersplatz begeben und damit den Vatikan betreten, wissen viele nicht, dass sie italienisches Hoheitsgebiet verlassen haben und sich nun in einem eigenständigen Land, dem souveränen „Staat der Vatikanstadt“, befinden. Ebenso sind sie zumeist nicht darüber informiert, dass der kleinste Staat der Erde neben der weltberühmten Päpstlichen Schweizergarde auch über eine eigene Polizei verfügt, über das „Corpo della Gendarmeria dello Stato della Città del Vaticano“ (Gendarmeriekorps des Staates der Vatikanstadt).
Was ihren geschichtlichen Hintergrund betrifft, braucht sich die Gendarmerie vor der Päpstlichen Schweizergarde nicht zu verstecken. Schließlich liegen die Ursprünge des Korps sogar mehr als ein halbes Jahrhundert vor dem Gründungsjahr der helvetischen Leibwache. Denn schon im Mittelalter gab es in Rom eine eigene schlagkräftige Polizeitruppe. Unter Papst Eugen IV. (1431-1447) sorgte ein „Soldanus“ (das lateinische Wort für Sultan) mit einer unbekannten Zahl bewaffneter Männer für Gesetz und Recht in Rom. Diese frühen Polizisten wurden von der Bevölkerung als „sbirri“ tituliert – Wörterbücher geben als Übersetzung die Bezeichnung „Häscher“ an. In der Mitte des 16. Jahrhunderts gab es in der Ewigen Stadt zeitweise an die zweihundert Sbirren, die unter dem Kommando eines Hauptmanns, des „Barigèllo“ (Hauptmann), standen.
KAMPF GEGEN BANDITEN
Reichten unter dem gestrengen Sixtus V. (1585-1590), einem Papst aus dem Minoritenorden, der mit eiserner Hand dem Banditentum in seinem Herrschaftsgebiet den Garaus gemachte hatte, sechzig Sbirren zum Schutze Roms und weniger als hundert für den Kirchenstaat, so musste schon sein Nachfolger Gregor XIV. (1590-1591) die Zahl der Sbirren wieder beträchtlich erhöhen. Die Sbirren standen für hohe Effizienz. Ihr Vorgehen zeichnete sich durch Härte und Entschiedenheit aus. Aufgrund eines ausgeklügelten Informationswesens verstanden sie es, viele verbrecherische Vorhaben im Keim zu ersticken. Nach der Französischen Revolution wurden sie verstärkt zur Bekämpfung revolutionärer und anarchischer Bewegungen im päpstlichen Herrschaftsgebiet eingesetzt. Giacomo Puccini (1858-1924) setzte den Sbirren in seiner Oper „Tosca“ ein Denkmal – ein jedoch wenig schmeichelhaftes. Baron Scarpia und seine Mannen werden dem Publikum als gewissenlose Büttel einer absoluten Monarchie präsentiert. Puccinis negative Darstellung der päpstlichen Polizei erklärt sich aus der Bewunderung des Komponisten für das Risorgimento, die italienische Einheitsbewegung, die 1870 mit dem Ende des alten Kirchenstaates zu ihrem Ziel kam.
CARABINIERI PONTIFICI
Als eigentliches Gründungsdatum der Päpstlichen Gendarmerie gilt der 14. Juli 1816. Damals wurde sie unter dem Namen „Carabinieri Pontifici“ aus der Taufe gehoben. Fußabteilungen und Reiterschwadronen taten Dienst in Rom und allen Provinzen des Kirchenstaates. Die Polizisten des Papstes hatten den Auftrag, die Aufrechterhaltung der Öffentlichen Ordnung in allen Provinzen des Kirchenstaates zu gewährleisten und die Grenzen des päpstlichen Territoriums zu schützen. Hohen ausländischen Würdenträgern und Staatsgästen wurde bei der Durchreise des Kirchenstaates eine Ehren- und Sicherheitseskorte der Gendarmerie gestellt. Eine der wichtigsten Verpflichtungen der Gendarmerie blieb der Kampf gegen das „Brigantaggio“ (Räuberunwesen), in dem sie sich bravourös und unter großen Opfern bewährte. Als Erfolg konnte sie unter anderem die Ergreifung des legendären Briganten Antonio Gasparone verbuchen.
UNTER GELBWEISSER FLAGGE
Aufgrund ihres halbmilitärischen Charakters war die Gendarmerie auch in die Verteidigung des Kirchenstaates eingebunden. Als der Papst im September 1870 Rom und den Kirchenstaat an das Königreich Italien abtreten musste, behielt er weniger als hundert Gendarmen in seinem Dienst – nunmehr nur zu seinem Schutz und dem des Vatikans. Als sich der Heilige Stuhl 1929 mit Italien versöhnte und der souveräne Vatikanstaat entstand, wurde auch der Sollbestand der Gendarmerie wieder erhöht; gut hundertfünfzig Gendarmen sorgten unter der gelbweißen Flagge des Papstes für Sicherheit und Ordnung. Am 14. September 1970 „rüstete“ Paul VI. in seinem weltlichen Herrschaftsgebiet ab.
NOBELGARDE UND BÜRGERMILIZ
Bis dahin stellte die Gendarmerie gemeinsam mit der siebzigköpfigen, aus Aristokraten bestehenden Nobelgarde, der Palatingarde, einer 500 Mann starken Bürgermiliz, und der altehrwürdigen Schweizergarde die „Armee“ des Vatikanstaates. Bei zahlreichen Feierlichkeiten sorgte ein Großaufgebot des päpstlichen Militärs für ein farbenprächtiges Schauspiel. Kaum ein Auftritt des Papstes geschah ohne seine Soldaten. Paul VI. entschied sich – nicht zuletzt unter dem Eindruck des II. Vatikanischen Konzils – zu einer einschneidenden Reform. Das Korps der Schweizer behielt er bei, Nobelgarde und Palatingarde wurden aufgelöst und die Umwandlung der Gendarmerie in eine zivile Polizeieinheit angeordnet.
STAATS-, JUSTIZ- UND VERKEHRSPOLIZEI
Es entstand das „Ufficio Centrale di Vigilanza“ als Polizeibehörde der Regierung des Staates der Vatikanstadt. Das neue Wachkorps erhielt für das Territorium der Vatikanstadt und die exterritorialen Besitzungen des Heiligen Stuhles die Funktionen einer Staats-, Justiz- und Verkehrspolizei. Ferner hatten Angehörige des Korps den Papst auf seinen Auslandsreisen und bei den Pastoralbesuchen in der Ewigen Stadt zu begleiten. Die 130 „Vigili“ (Wachmänner) wurden einem Generalinspektor unterstellt. Am 1. Februar 2002 benannte man die „Vigilanza“ in „Corpo della Gendarmeria dello Stato della Città del Vaticano“ (Gendarmeriekorps des Staates der Vatikanstadt) um. Als Begründung hieß es, dass in der Benennung des Korps dessen „Natur und hoheitliche Aufgaben“ deutlich zum Ausdruck kommen müssen.
FREUNDLICH MIT DURCHSETZUNGSKRAFT
Ihren Ruf, „unerbittliche“ Ordnungshüter zu sein, haben die Gendarmen aus den vergangenen Jahrhunderten in die heutige Zeit hinübergerettet. „Wir stehen nicht so sehr im Fokus der Fernsehkameras und der Gläubigen wie die Päpstliche Schweizergarde. Die Garde hat, so wollen es auch die zuständigen Autoritäten, ein Sympathieträger des Vatikans zu sein. Freundlichkeit ist auch für uns Verpflichtung und Tugend, aber an erster Stelle steht die Erfüllung unserer Aufgaben, die nicht immer sehr populär sind, aber getan werden müssen“, heißt es bei der Gendarmerie. Vor allem beim Schutz des Heiligen Vaters verweigert man sich nicht der notwendigen Durchsetzungskraft. „Wir haben Verständnis für den Enthusiasmus der Gläubigen“, heißt es aus den Kreisen der Gendarmerie, „aber wir müssen Grenzen setzen, wenn es um die Sicherheit des Heiligen Vaters geht.“ So fand sich vor einigen Jahren ein Prälat, der den Ärmel des Papstes nicht loslassen wollte, unversehens auf dem Boden wieder!
PRÄLATEN UND TEMPOLIMIT
Bei der Verkehrsüberwachung im Vatikan erweisen sich die Gendarmen als unbestechlich. Violett gesäumte Soutanen und Ordensgewänder beeindrucken bei Verstößen nicht im Geringsten. „Rang oder Stand sind kein Freibrief“, kommentiert ein Gendarm. Die vatikanischen Ordnungshüter sorgen dafür, dass auch Prälaten und ehrwürdige Schwestern das im Kirchenstaat seit dem 1. September 1970 geltende Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde beachten und kein Bischof mit einem leicht ramponierten Fiat den Zugang zum vatikanischen Supermarkt versperrt. 2002 wurde den Gendarmen des Papstes eine weitere, äußerst unpopuläre Aufgabe übertragen. An diesem Tag erließ die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt ein Gesetz, mit dem im Vatikan ein umfassendes Rauchverbot in Kraft trat. Die Gendarmerie wurde angewiesen, die Einhaltung des Verbotes zu überwachen. Die Übertretung des Gesetzes soll in der Regel mit 30 Euro geahndet werden. Die „multa“ (Geldstrafe) muss innerhalb von fünf Tagen in einem der Wachbüros der Gendarmerie beglichen werden. Säumigen „Tätern“ und solchen, die sich weigern, die Geldstrafe zu entrichten, droht die Vorladung vor das Gericht des Stadtstaates.
HOCHMODERNE ÜBERWACHUNGSANLAGE
Die Anschläge vom 11. September 2001 haben auch im Vatikan zu neuen Sicherheitskonzepten geführt, so zu einer „Unità Antisabotaggio“ (Antiterroreinheit) und einem „Intervento Rapido“ (Schnelle Eingreiftruppe). Das Quartier der Vatikanpolizei beim Sankt-Anna-Tor birgt nun eine hochmoderne Überwachungszentrale. Auf über fünfzig Monitoren können die Beamten fast jeden Winkel des Kirchenstaates beobachten; Videokameras erfassen alle Personen, die den Vatikanstaat betreten oder verlassen. Die Anlage ist fähig, Verdächtige in Echtzeit zu scannen und von ihnen umgehend digitale Bilder anzufertigen. Die vatikanischen Ordnungshüter wurden zudem mit einem der modernsten tragbaren digitalen Kommunikationssysteme ausgestattet. Um sich gegen den internationalen Terrorismus zu schützen, gab der Vatikan bekannt, sich dem „Schengen-Abkommen“ anzuschließen, das nicht nur die Grenzkontrollpraxis regelt, sondern auch einen intensiveren Informations- und Planungsaustausch über polizeiliche Erkenntnisse und Personenschutz behandelt. Dr. Domenico
Gianni, der Generalinspektor des Gendarmeriekorps, wurde mit dem neugeschaffenen Amt des Direktors für die Sicherheitsdienste und den Zivilschutz im Vatikan betraut.
MITGLIED VON INTERPOL
Die 77. Generalversammlung von Interpol, die vom 7. bis zum 10. Oktober 2008 in St. Petersburg (Russland) tagte, hatte mit einer kleinen Sensation begonnen. Dem Ansuchen des vatikanischen Gendarmeriekorps um Aufnahme in die weltweit agierende Polizeiorganisation war einstimmig entsprochen worden – ein bisher einmaliges Abstimmungsergebnis in der Geschichte der Organisation. Der Vatikan war damit der 187. Staat, der Interpol beitrat. Dass der 40 Hektar große Vatikanstaat mit seinem Gendarmeriekorps über eine professionelle, international geschätzte Polizei verfügt, hatte wenige Wochen zuvor Robert S. Mueller, der Direktor der US-amerikanischen Bundespolizei F.B.I., bei einem Besuch im Vatikan verlauten lassen. Dass man das Wohlwollen des Papstes besitzt, dessen ist man sich bei der vatikanischen Gendarmerie sicher. Der Heilige Vater, selbst Sohn eines Gendarmen, hatte am Silvestertag 2005 das Korps in Audienz empfangen und den Ordnungshütern für das gedankt, „was ihr zusammen mit der Schweizergarde jeden Tag voll Hochherzigkeit und Treue tut, um dem Papst und seinen Mitarbeitern zu dienen, um Frieden und Ordnung in der Vatikanstadt zu gewährleisten und die Pilger zu empfangen, die die Gräber der Apostel besuchen oder dem Nachfolger Petri begegnen wollen ... Ihr leistet eine schwierige und höchst notwendige Arbeit, die Hingabe, Umsicht und große Hilfsbereitschaft erfordert“.
SCHWEIZERGARDE UND GENDARMERIE
Das notwendige Zusammenspiel von Schweizergarde und Gendarmerie ließ in der Vergangenheit zu wünschen übrig. Das Verhältnis zueinander ist auch in unseren Tagen nicht ganz ungetrübt. Gründe dafür sind in der Geschichte zu finden oder erklären sich durch Kompetenzstreitigkeiten. Nicht vergessen darf man, dass beide Korps verschiedene „Dienstherren“ haben: Die Päpstliche Schweizergarde ist eine Institution des Heiligen Stuhles und vom Staatssekretariat abhängig, das Gendarmeriekorps ist eine Einrichtung des Vatikanstaates und untersteht der Päpstlichen Kommission für den Staat der Vatikanstadt. Im Wissen um die gemeinsame Verantwortung für den Schutz des Heiligen Vaters und des Vatikans bemühen sich heute Schweizergarde und Gendarmerie um eine konstruktive Zusammenarbeit. Auch im kleinen weltlichen Herrschaftsgebiet des Papstes weiß man, dass die Sicherheitslage in aller Welt immer unsicherer zu werden scheint, dass mit Attentaten und Terroranschlägen gerechnet werden muss. „Sicherheit kann man nur im Verbund, im Team generieren“, bekräftigt Oberst Daniel Rolf Anrig, der Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde.