Die Heilige Familie zum Anfassen
Die Weihnachtskrippe inszeniert dreidimensional ein uraltes theologisches Programm: Ecce homo – ecce deo (seht der Mensch – seht Gott). Sie holt es mit einfachen Mitteln in das Alltagsleben hinein und wurde deshalb im Laufe vieler Jahrhunderte fester Bestandteil des Glaubens – weniger über das Hirn als über das Herz.
„Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all! Zur Krippe her kommet in Bethlehems Stall. Und seht was in dieser hochheiligen Nacht der Vater im Himmel für Freude uns macht.“ Im deutschsprachigen Raum kennt jeder diese erste Strophe eines Weihnachtsliedklassikers. Den Text schrieb Ende des 18. Jahrhunderts der Kaplan Christoph von Schmid, der als Seelsorger und Schuldirektor im bayrischen Dorf Tannhausen wirkte.
Kindlich sehen! Ein Kinderlied und doch enthüllt es uns Erwachsenen den Kern des Krippenbrauches. „Ihr Kinderlein kommet…“ Die Krippe sei kindlich und stehe dem Glauben im Wege, argumentierten die Aufklärer und lehnten sie ab. Damit widersprachen sie Jesu ermahnendem Wort an die Jünger „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Matth. 18,3). Und tatsächlich ist die Krippendarstellung in ihrer idyllischen Veranschaulichung des Weihnachtsmysteriums kindlich-naiv zu nennen, aber gerade darin liegt ihre Stärke und Absicht. „Und seht, was in dieser hochheiligen Nacht…“ Nicht das Sehen mit den Augen, sondern das innere Sehen, die Erkenntnis des Wunders der Gottesgeburt ist gemeint. Auf diesen kindlichen Weg der Ergründung des an sich unfassbaren Wunders machen sich Krippenschaffende seit Anfang an.
Krippenfeier in Greccio. Ein wichtiger Markstein auf diesem Weg war die Weihnachtsfeier, die Franz von Assisi 1223 in einem Wäldchen bei Greccio nahe Rieti inszenierte. Er stellte eine reale figürliche Krippe mit lebenden Personen und Tieren auf: In einer Felshöhle das Kind auf Heu, daneben Ochs und Esel. Maria, Joseph und Engel mit goldenen Flügeln, Hirten und Volk mit brennenden Fackeln bildeten das Personal. Franziskus gruppierte es um einen Altar, an dem er über die Bedeutung der Weihnacht predigte. Das Große im Kleinen und Unscheinbaren entdecken, die Liebe Gottes zu den Menschen begreifbar machen, das war die Absicht des Heiligen. Eine wahrhaft zündende Idee und ein mächtiger Impuls für die weltweite Krippenentwicklung. Die gläubigen Zuschauer waren begeistert – und so wurde das Bergdorf Greccio die Keimzelle des Krippenbrauches.
Keimzelle in Italien. Das arme Volk begann das Geschaute mit einfachsten Materialien nachzubauen. Den Einzug in den Kirchenraum nahm seine plastische Umsetzung 70 Jahre später: 1291 schuf der Florentiner Bildhauer Arnolfo di Cambio für die römische Kirche S. Maria Maggiore eine theatralische Rekonstruktion der Christgeburt mit verstellbaren Alabasterfiguren – die älteste erhaltene Krippe der Christenheit.
Eher eine Ausnahme, denn diese Kirche hat eine besondere Krippentradition: Seit dem 7. Jahrhundert werden in ihr Bretter vom Futtertrog aufbewahrt, in der Jesu gelegen haben soll.
Den Auftakt zu ihrer tatsächlichen Verbreitung erlebte die Krippe 1384: Damals wurde im italienischen Fabriano der Vertrag zur Lieferung einer Krippe mit hölzernen, farbig gefassten Figuren für eine Kirche abgeschlossen. Der Auftrag umfasste eine liegende Maria mit Kind, Joseph, zwei Engel, einen Hirten, der zwei Schafe trägt, ein Lamm und die Köpfe von Ochs und Esel - der wesentliche Figurenkanon der Krippe ist damit schon vorhanden. Seine Wurzeln hat er in den Darstellungen der Christgeburt auf frühchristlichen Sarkophagen, in der mittelalterlichen Buchmalerei, auf romanischen Fresken und in gotischen Skulpturen.
Später wurde die heilige Familie durch Gabenbringer und Symbolträger ergänzt: Hirten in ihrer Armut, Könige, die den Glanz bringen und biblische Personen, die in der Heilsgeschichte eine Rolle spielen wie beispielsweise der Prophet Jesaja.
Siegeszug. Seit dem 15. Jahrhundert ist die Idyllenkrippe voll ausgestaltet und erfährt seitdem nur mehr Variationen. In ihr wird das Weihnachtsgeschehen szenisch ausgebreitet, inmitten eines größeren Landschafts- und Figurenkontextes. Sie spricht das Gemüt durch den Charakter ihrer Landschaft, besondere Stallbauten, den Stil der Figuren, Lichtwirkung und andere emotionale Elemente der Darstellung an. Diese populäre Form breitete sich in Italien aus und tauchte im 16. Jahrhundert in einzelnen Kirchen Bayerns und Böhmens auf. Einen kräftigen Schub brachten im 17. Jahrhundert Franziskaner und Jesuiten, die zum Unterricht des Volkes und zur Missionierung eine Schaukrippe verwendeten. Von da an verbreitete sich das Krippenbrauchtum mit rasanter Geschwindigkeit, kam an mehreren Stellen Italiens, vor allem in Neapel, zu hoher Blüte. Im Barockzeitalter eroberte die Weihnachtsdarstellung im Zuge der stark angewachsenen Volksfrömmigkeit die Stuben der Gläubigen. Ihren endgültigen Siegeszug verdankt sie der Aufklärung im 18. Jahrhundert, die alles, was nicht rational und real war, bekämpfte, also auch die Krippe. Sie wurde aus den Kirchenräumen verbannt. Das aber traf den Nerv der kleinen Leute. Sie begannen selber Krippen zu bauen und stellten sich diese zu Hause auf.
Kostbare Blüten. Eine Entwicklungsgeschichte die mannigfache Darstellungsformen hervorbrachte. Sie trieb kostbare Blüten wie die napoletanische Prunkkrippe. Diese breitete mit überbordender Phantasie eine Fülle von biblischen und volkstümlichen Szenen in freier Komposition rund um das Geschehen der Geburt aus. In den Palästen der Hocharistokratie entbrannte im 18. Jahrhundert ein regelrechter Wettbewerb, wer die schönste, größte, raffinierteste Krippe besäße. König Karl III. forcierte die üppigsten Auswüchse: Er engagierte Handwerker, Bühnenbilder, Theaterschneider und Krippenkünstler um mehrere Säle mit einem perspektivisch inszenierten Welttheater zu füllen. Im Kontrast dazu stehen einfache, dafür umso ergreifendere Bauernkrippen, die durch Hervorhebung des heimatlich oder idyllisch verstandenen Bauernstalles und einfach gehaltener Figuren ihren Charakter erhalten.
Das Ewige kommt ins Kleine. Mag sie nun bescheiden oder prunkvoll sein, die Krippe verrät mehr als die großen Kathedralen und festlichsten Gottesdienste, was wir als Menschen nötig haben - und was Gott uns schenkt: die Zuwendung des Ewigen inmitten unseres kleinen Lebens mit all seinen Nöten. Sie führen uns zu dem Geheimnis des Daseins zurück und richten uns daran auf. Nie waren Krippendarstellungen wichtiger als heute.