DIE KIRCHE ALS GLOBAL PLAYER
Ein Szenario: Es wäre auch heute noch eine Sensation – trotz aller Globalisierungsgewöhnungen (?), trotz zig Fluglinien und Flugverbindungen, trotz Computervernetzung, trotz E-mail, Fax und Handy: eine Firma, die am Tag der Gründung in 18 Ländern, in 18 Sprachen Fuß fassen und loslegen kann. Das bedürfte einer gigantische Planung, müsste eine riesigen Vorlauf haben, eine gewaltige Organisation auf die Beine stellen.
Aber so oder ähnlich spukt das Bild in unseren Köpfen. Der beispielhafte global player ist jung, dynamisch, fit, elektronisch hochgerüstet, hat seine Anteile gut geparkt. Er ist aber kein Er, keine Sie – sondern ein Betrieb, ein Konzern, eine Holding, ein Mischkonzern. Die Fühler sind ausgestreckt in diverse Branchen, am besten in möglichst vielen Kontinenten, Ländern und Märkten. Überhaupt – der Erdball ist der vorrangige Spielball: ein Markt. Das eröffnet Chancen, aber auch Risiken ...
Fulminanter Start. Selbst wenn der Vergleich etwas halsbrecherisch und gewagt ist – im Kern ist es das, was Lukas in seiner Apostelgeschichte von der Gründung der Firma Kirche sagen will (vgl. Apg 2). Die Tradition hat das auch immer verstanden, wenn sie das Pfingstfest als das Gründungsdatum der Kirche ansieht und feiert – und auch stilisert. Mit einem Schlag, zumindest aber in kürzester Zeit – Lukas schreibt aus der Perspektive einer Erfahrung von nur wenigen Jahrzehnten mit dieser Firma Kirche – fasst Kirche, fassen junge, frische und faszinierende Gemeinden Fuß bei ganz unterschiedlichen Menschen, in ganz unterschiedlichen Kulturen: Parter, Meder, Elamiter, Mesopotamier, Ägypter, Römer und und und ...
Product placement. Der Erfolg muss einen Grund haben. Das Produkt, das diese Firma Kirche verkauft, muss gut sein. Ein Exportschlager. Die Leute müssen schnell begriffen haben, dass ihnen da keine Mogelpackung untergejubelt wird. Dass sich das Produkt (man verzeihe die Ausdrucksweise ausnahmsweise), das Evangelium von Tod und Auferstehung Jesu so schnell, so durchschlagend durchsetzen kann, ist schon auf den ersten Blick ein Wunder. Denn der Markt ist heiß umkämpft. Es gibt eine Fülle von Anbietern: Staatsreligionen wie die in Rom, Kaiser- und Königskulte, die ihre politischen Führer ohne Umschweife zu Göttern erklären, Geheimkulte, Mysterienreligionen mit oft sehr ausschweifenden Festen, Feiern und Liturgien, es gibt volle Götterhimmel in Ägypten, Griechenland und sonstwo. Es gibt altehrwürdige, ernste und tiefe Glaubenswege wie den jüdischen, aus dem Jesus ja hervorgeht, ohne den das Christentum undenkbar ist. Multikulti ist so neu nicht ...
Das genau will Lukas (besonders in der Apostelgeschichte) mit den vielen Namen sagen. Die Länder- und Völkerliste signalisiert: Es geht um die eine und ganze Welt. Der Heilige Geist erfasst alle Völker. Er führt sie trotz der kulturellen und politischen Unterschiede zusammen. Und er wirkt in der Vielfalt der Sprachen Verständigung (ein mühsames Geschäft, aber ein spannendes!).
Standort Eine Welt. Universalismus ist der Kirche in die Wiege gelegt, ins Stammbuch geschrieben. Sie ist von Pfingsten her auf alle Menschen ausgerichtet, auf alle Völker und Nationen. Vom ersten Augenblick ihres Daseins an spricht sie alle Sprachen und ist doch eins in demselben Geist. Sie ist nicht erst im Laufe der Zeit universal geworden, indem sie durch die Missionare von Stadt zu Stadt, von Land zu Land sich ausgebreitet hat; sie ist es kraft des Heiligen Geist vom Ursprung her. Unser Standort ist von Anfang an die Eine Welt. Das ist auch unser Standpunkt. Die Kirche ist der global player: Geht hinaus, verkündet allen Menschen, verkündet bis an die Grenze der Erde! Das ist das Echo des jesuanischen Auftrags. Und die Verkündigung spielt sich auch auf den Marktplätzen ab. Man erinnere sich nur Paulus‘ zwischen Agora und Areopag in Athen – Apg 17 ist in dieser Hinsicht ein hochinteressanter Text!
Global – ein Fremdwort? Als Christen sind wir nicht zuerst Kroaten oder Polen oder Deutsche und dann katholisch, sondern wir sind zuallererst katholisch, und dann sind wir eben auch kroatisch oder polnisch oder deutsch. Das ist ein riesengroßer Unterschied. Christentum ist mit Nationalismus nicht zu vereinen. Nationalkirchen sind Katholiken fremd. Die christliche Vision vom Miteinander der Völker ist alles andere als selbstverständlich. Sie ist nicht angeboren, sitzt nicht in Fleisch und Blut. Im Blut sitzt uns etwas ganz anderes: Blut und Boden (oder die dumpfe Gewalt, in die die Angst vor dem Fremden so leicht umschlägt!). Da müssen wir hellwach sein. Christen suchen ihre Identität nicht im Blut, sondern im Geist. Das will gelernt und erlebt werden.
Die Kirche erfüllt nur dann ihre Sendung, wenn sie allen Völkern in gleicher Weise zugewandt ist, auch allen Märkten, Marktplätzen, Lebensräumen und Lebenswelten, wenn sie Anknüpfungspunkte an die Wirklichkeitserfahrungen von höchst unterschiedlichen Menschen sucht. Wir haben nicht eine Kirche in der sogenannten Dritten Welt (als hätten wir dort Kolonien oder Ableger), wir sind Weltkirche. Wenn die Kirche in allen Völkern lebt und alle Sprachen spricht, wird sie von selbst farbig, bunt (und auch ein wenig unübersichtlich!). Sie darf sich nicht auf einen Staat oder eine bestimmte Kultur festlegen. Sie darf nicht nach den Erfahrungen und Vorstellungen, dem Kirchenmodell eines Landes ausgerichtet werden, auch nicht allein auf Europa. Der Weg, der uns heute aufgetragen ist, führt von der Westkirche zur Weltkirche. Es ist ein mühsamer Weg. Und das hat auch damit zu tun, dass wir nicht zuerst Hardware anbieten (Autos, Technik, konkrete Konsumgüter), sondern weiche Ware, nicht so leicht zu fassen, nicht so leicht zu beschrieben: Sinn und Deutungsmuster für die endlosen Fragen nach dem Woher und Wohin, dem Wie, dem Warum. Für den global player, den weltweiten Mitspieler Kirche stellt sich, so scheint mir, die Aufgabe, diese Fragen lebendig zu halten, immer dringlicher – und zwar nicht nur für die Befriedigung individueller Heilssehnsüchte (das macht Esoterik erheblich geschickter, marktgängiger, aber auch um so viel verkürzter: Kennzeichen der Esoterik ist die Auslöschung der sozialethischen Dimension. Da gibt es fast nur die eigenen Bedürfnisbefriedigung, aber nirgends die Wahrnehmung der Verantwortung für andere, für die in den anderen Ländern, Kontinenten, Schichten ...).
Ethische Aufgaben, Maßstäbe. Eine Globalisierung, die allein unter dem Diktat des technischen Fortschritts und des ökonomischen Nutzens steht, gerät in einen Teufelskreis: Wachsender Gewinn der einen geht in aller Regel auf Kosten anderer, und derzeit nicht zuletzt auf Kosten der Erde und ihrer Atmosphäre. Was Not tut, ist eine soziale Globalisierung, eine Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins. Das Weltenhaus muss noch andere Räume haben als Küche, Vorratskammer und Tresor, wenn Menschen auf Dauer darin leben wollen. Hier sind wir gefordert mitzugestalten – mitzuspielen ...
Was kennzeichnet das zu Ende gehende zwanzigste Jahrhundert? Ich meine, ganz typisch ist der Blick des Weltraumfahrers auf die Erde. Wir kennen das Bild: Unser blauer Planet mitten im schwarzen All. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte haben wir die ganze Welt vor Augen, nicht nur in unseren Träumen und Phantasien, sondern real. Ungeheuerlich: Der Blick von außerhalb auf den Globus. (so Bischof Franz Kamphaus). Das hat unsere Perspektive von Grund auf verändert. Globalisierung, sagen wir, nicht von ungefähr. Die Entfernungen zwischen den entlegensten Enden der Erde spielen kaum noch eine Rolle: globale Kommunikation, globale Wirtschaftsbeziehungen, globale Finanzmärkte. Eine Welt! Nur durch den Markt? Nur durch die harte Währung? An einem Punkt stehen wir mit der Globalisierung noch ganz am Anfang. Ohne eine religiöse und moralische Globalisierung hat die Eine Welt keine Zukunft. Gerade an diesem Punkt sind wir Christen herausgefordert.
Wer die wirtschaftliche Globalisierung bejaht und forciert, öffnet damit ausdrücklich den Raum des wirtschaftlichen Handelns auf die ganze Welt hin. Der Handelnde übernimmt dort, wo er tätig wird, immer auch Verantwortung - unmittelbar für die Folgen seines Handelns vor allem für die Menschen, mittelbar für die Umwelt. Ist der Raum des wirtschaftlichen Handelns global, wird auch die Verantwortung global. In einer Weltgesellschaft darf das Gemeinwohl nicht auf die engen nationalen Grenzen beschränkt bleiben. Gemeinwohl können wir heute nicht ohne die Länder der Dritten Welt definieren, schon gar nicht mit dem Rücken gegen sie. Das bedeutet, dass zur Wahrnehmung unserer Verantwortung nicht nur individualethische Maßstäbe gefragt sind (Tugenden), sondern auch sozialethische Normen (wie ja auch die Menschenrechte nicht nur individuelle Schutzrechte sind, sondern auch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Rechte beinhalten).
Glaube als Gegenbewegung. In den vergangenen Jahren ist der Zweifel gewachsen, ob das Christentum so, wie es geworden ist, die Moderne überleben wird. Der große Zusammenbruch ist in der westlichen Welt und in Deutschland ausgeblieben. Doch den schleichenden Auszug von ungefähr 250 000 Menschen im Jahr aus den Kirchen kann keine noch so pfiffige PR-Kampagne stoppen; nicht nur im Osten, auch in Hamburg gibt es mittlerweile mehr Nichtchristen als Christen. Wer bleibt, zählt häufig zu den treuen Fernstehenden, die eine schöne Hochzeit wünschen und eine tröstliche Grabesrede, aber näher mit ihrer Kirche nichts zu tun haben wollen.
Diese Säkularisierung wird fortschreiten, unabwendbar. Es wird nicht weniger Religiosität geben, wohl aber werden die traditionellen Handlungs- und Deutungsmuster der Kirche für weniger Menschen maßgeblich sein. Ihr politischer und gesellschaftlicher Einfluss wird sinken. Indizien dafür gibt es genug. Die Kirchen werden trotzdem die größten Institutionen im Land bleiben und weiter ihre Kirchensteuer erhalten; einflussreiche Kirchengegner gibt es ohnehin kaum noch. Den leise schrumpfenden Institutionen droht vielmehr Gefahr durch ängstlich-hilflose Einflusssicherung, durch die Larmoyanz angesichts vergangener Herrlichkeit. Kurz: Der Kirche droht die Marginalisierung durch selbst verordnete Mittelmäßigkeit. Wenn sie dem entgehen will, muss sie lernen, sich auf die neue Situation einzustellen – darauf, dass sie weniger Mitglieder, weniger Geld, weniger Einfluss haben wird. Sie darf sich dabei nicht einfach auf das einlassen, was gerade als besonders zeitgeistig vorkommt – über die Wir-auch-Pastoren in ihrem merkwürdigen Mühen, auch irgendwie modern auszusehen, hat schon Kurt Tucholsky seine Witze gemacht. Und sie muss der fundamentalistischen Versuchung des Rückzugs auf den Heiligen Rest der hundertprozentig Gläubigen widerstehen, die in der jüngsten Zeit verstärkt spürbar geworden ist.
Zu-Mut-ungen. Lernt, zum Eigenen zu stehen, riet vor einigen Jahren die Unternehmensberatung McKinsey dem evangelischen Dekanat München. Das ist eine richtige Erkenntnis. Die Kirche ist eben kein Wohlfahrtsverband unter vielen, keine Sinn-Agentur, die zufällig Christentum in Angebot hat, aber auch kein Verein zur Erhaltung von Tradition und Folklore. Sie hat dann Zukunft, wenn sie die Zumutung des Glaubens ernst nimmt: Der Gott der Christen ist um der Menschen willen radikal bis zum tiefstmöglichen Punkt gegangen, bis zum Tod am Kreuz. Der Platz der Christen ist demnach dort, wo sonst keiner hingeht. Ihre Rede ist der Einspruch, ihre Grundhaltung quer zum allzu Einfachen, zum Machbarkeitsdenken, zur Vergötzung der Leistung, des Erfolges, des Reichtums. Das ist nicht einfach links und nicht einfach rechts. Dazu gehört, Anwalt von Flüchtlingen zu sein, für die sonst niemand spricht – aber auch der Schutz des ungeborenen Lebens, das Engagement gegen Abtreibungen, wobei über die Wege und Methoden zu diskutieren ist. Es gibt eine Grundhaltung des zumutenden Christentums: Seine Anhänger müssen Einspruch erheben, wenn der Mensch zum Objekt wird, seine Funktion, sein Marktwert zum Maßstab wird, wenn ihm die Orte genommen werden, wo er Mensch sein kann und sonst nichts weiter, wenn Armut und Alter, Krankheit und Tod verdrängt werden.
Die Zumutung der Kreuzes-Religion – das klingt düster. Aber zu dieser Zumutung gehört die lebensfrohe Seite: Die Kirchen können Ort der Freiheit und der Würde werden, wo der Mensch Subjekt sein kann: als Gläubiger und Zweifler, Arbeitsloser und Arbeitsbesitzer, als Mystiker und politisch Engagierter, als junger und als alter Mensch. Schließlich gehören für den Christen die Zumutung des Kreuzestodes Christi und die Auferstehung zusammen.
Grenzenlos. Diese Zumutungen des Glaubens haben noch nie vor irgendwelchen nationalen Grenzen halt gemacht. Man mag sich mit Recht streiten, ob der christliche Missionsauftrag in der Geschichte immer auf eine wirklich christliche Weise umgesetzt worden ist. Der Kampf um religiöse Marktanteile in der einen Welt ist da dem rein wirtschaftlichen Kampf der global players um weltweite Märkte oft zu ähnlich gewesen. Das darf aber nicht verdecken, dass die Ur-Intention des Katholischen geradezu ein Niederreißen von Grenzen markiert (und zwar von sehr verschiedenen, vgl. Gal 3,28). Das bekennen wir, sofern wir katholisch (also weltumfassend, also allgemein, so die exakte Übersetzung des griechischen Worten katholikos) sind.
Die Spielregeln moderner Globalität und Multikulturalität kennenlernen, bleibt deswegen eine dringliche Aufgabe für dieses Spiel, in das Glaube und Kirche auch und gerade heute verwickelt sind. Aber diese Regeln sind nicht einfach blind zu übernehmen, sondern vor der biblischen Devise: Prüft alles, das Gute behaltet! (1Thess 5,21). Dass es hier Möglichkeiten gibt, die von Bedeutung sind, sei an drei Beispielen erläutert: Wenn sich – erstens – beispielsweise Ordensgemeinschaften fast wie selbstverständlich neuester Medien bedienen, dann optimiert diese Vernetzung die Arbeit und den Einsatz für die Menschen vor Ort erheblich, dann stärkt dies auch den inneren Zusammenhalt. Selbst der Missionar in den Anden ist heute schnell verbunden mit seiner römischen Ordenskurie, mit Mitbrüdern, die schnell informiert eben schneller handeln können. Wenn sich – zweitens – Franziskaner und Franziskanerinnen verschiedenster Gemeinschaften zu einer sogenannten Nicht-Regierungs-Organisation mit Sitz und Stimme bei der UNO zusammenschließen, dann nutzen sie moderne globale politische Strukturen, um ihrem Evangelisationsauftrag nachzukommen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen auf dem großen Markt der Möglichkeiten.
Von anderem Zuschnitt ist das dritte Beispiel. Nie hat ein Papst derartige Medienpräsenz gehabt wie Johannes Paul II. – für die Nichtchristen unserer Zeit ist er die Symbolfigur des Christlichen überhaupt. Man mag überrascht oder verwirrt davon sein. Der unbefangene und offene Umgang mit weltweiten Medien haben gerade diesem Pontifikat Wirkung verliehen, die ansonsten kaum zu realisieren gewesen wäre. Das Treffen der Religionen in Assisi 1986, die Papstreisen gerade heuer im Heiligen Jahr nach Israel und Palästina – sie sind weit mehr als nur globale Medienereignisse, aber sie sind es eben auch.
Im Schlagschatten der säkularen Globalisierung gibt es neben den kritikablen Dimensionen also auch Entwicklungen zu entdecken, die an die Grunddimensionen des Katholischen neu erinnern ... – der Blick geht über die Tellerränder hinaus. Freilich geht es nicht allein darum, bloß mitzuspielen in der einen, der vernetzten, der globalen Welt. Der global player Kirche hat seinen Auftrag darin für den global prayer zu sorgen, für die Möglichkeit des grenzenlosen Gebetes ...