Die Minoriten gründen ein neues Kloster

16. November 2020 | von

63 Jahre ist es her, dass die Franziskaner-Minoriten der deutschen Ordensprovinz St. Elisabeth ein neues Kloster gegründet haben: 1957 wurde der Konvent in Bonn wiedergegründet. Ende September haben sich die Brüder entschlossen, auf Lage in Rieste im Bistum Osnabrück einen Neuanfang zu wagen. Unser Beitrag holt ein wenig aus und berichtet von dem neuen minoritischen Ort auf der Landkarte.

Wir schreiben das Jahr 1990. Für die kontemplativen Dominikanerinnen in Klausen bei Trier stellt sich die Frage nun drängender als je zuvor: Wie geht es weiter mit ihrer Gemeinschaft? Die personelle Situation ist mehr als angespannt, die bauliche Verfassung des „Klosters“ ist in denkbar schlechtem Zustand – so schlecht, dass ein Visitator des Ordens einmal festgehalten hatte: „In diesem dunklen Kasten kann niemand wirklich vernünftig leben, schon gar nicht kontemplativ!“ – und letztlich stellt sich die Frage, ob die Gemeinschaft nicht sogar aufgelöst werden muss. Man wehrt sich gegen diesen finalen Schritt, findet eine Oberin aus einem anderen Kloster und stellt noch einmal neu die Frage, wie sich das Charisma einer kontemplativen Dominikanerinnengemeinschaft heute leben lässt. Und womit niemand mehr wirklich gerechnet hatte: Bald treten junge Frauen in die Gemeinschaft ein. 

20 Jahre Dominikanerinnen
Im Jahr 2000 kommt dann eine weitere unerwartete Wende. Der Bischof von Osnabrück, Franz-Josef Bode, lädt die Schwestern in seine Diözese ein. Auf Lage in Rieste bekommen sie eine neue Heimat – ein „Jahrhundertereignis“, wie die damalige Oberin Sr. Susanna Mander es nennt: „Das gesamte Kloster in Klausen wurde ausgeräumt und alle Schwestern, sowie alles, was beweglich war, von der lieblichen, hügeligen Mosellandschaft in den flachen, nüchternen Norden Deutschlands transportiert. Keine der Schwestern hatte auch nur die geringste Ahnung, was sie dort erwartete. Es war ja ein anderes Bistum, ein anderes Bundesland, eine andere Umgebung und ein völlig anderer Menschenschlag als jener lebenslustige und durch den Wein geprägte der Moselaner. Man sagte nicht mehr ‚Guten Morgen‘ oder ‚Grüß Gott‘, sondern ‚Moin‘. Das reizte zum Lachen, denn wir wussten nicht, was es bedeutete. Wir dachten: ‚Die sind schon ein wenig komisch; sie sagen am Abend Morgen.‘ Doch in kürzester Zeit fühlten sich alle Schwestern zu Hause. Die Älteste, die fast 50 Jahre in Klausen gelebt hatte, sagte: ‚Meine schönste Zeit im Orden ist die hier auf Lage.‘“
Die Schwestern pflegen ihr kontemplatives Leben, begleiten Menschen in ihren Sorgen und Nöten, nehmen immer wieder Gäste zu Exerzitien und zur geistlichen Begleitung auf. Immer wieder klopfen junge Frauen an, um das Leben der Schwestern als Nonne zu teilen. Todesfälle und Austritte scheinen das Schicksal der Gemeinschaft schließlich aber unausweichlich zu machen: Die Schwestern beschließen die Auflösung ihrer Gemeinschaft. Ende Juni 2020 ist die letzte Schwester in einen anderen Dominikanerinnenkonvent umgezogen – und das Bistum Osnabrück sucht nun wieder eine neue Gemeinschaft für Lage-Rieste. 

Die Suche beginnt von vorn
In den internen Mitteilungen der Deutschen Ordensobernkonferenz „inseriert“ das Bistum Osnabrück: „Für unser Kloster Lage suchen wir eine Gemeinschaft, die es mit neuem Leben erfüllt.“ Der damalige Generalvikar Theo Paul beschreibt weiter: „Nördlich von Osnabrück befindet sich in ländlicher Umgebung der Jahrhunderte alte Wallfahrtsort Lage-Rieste. Das Besondere an diesem Ort und dem dortigen Kloster ist die über 800-jährige Tradition der Kreuzverehrung. Immer wieder kommen Familien und Nachbarschaften zur ‚Kreuztracht‘, zum Kreuztragen und zum Gebet, zumeist zum Bittgebet für einen erkrankten Angehörigen. Auch in der Fastenzeit kommen Gruppen aus den Gemeinden des Bistums. Zum Fest Kreuzerhöhung findet in jedem Jahr eine Krankenwallfahrt mit dem Bischof statt.... Lage ist ein zutiefst geistlicher Ort, ein Ort der stillen Zuwendung zu Gott und den Menschen. Die restaurierten historischen Gebäude geben dem Kloster einen einmaligen Charakter, und der wunderbare Garten ist geradezu ein missionarischer Ausweis kreativer Schöpfungsverantwortung.“

Wenn eine Idee nicht mehr loslässt
Auch wenn Klosterneugründungen heute eher nicht zum „Alltagsgeschäft“ eines Provinzialministers gehören: Irgendwie lässt Br. Andreas Murk der Gedanke nicht mehr los, ob der Ort nicht etwas für die Franziskaner-Minoriten wäre. Klar ist ihm von Beginn an: „Wenn wir unsere bisherigen Klöster halten wollen und auch für die nächsten Jahre keine Schließung andenken, können wir ein neues Kloster nur dann übernehmen, wenn wir andere Provinzen mit ins Boot bekommen.“ Nach dem grünen Licht aus der Provinzleitung macht er sich daran, bei anderen Provinzen zu werben. Die drei polnischen Provinzen, die in Deutschland schon eigene Niederlassungen haben, zeigen sich interessiert, haben momentan aber selbst nicht genügend Brüder, um ein neues Projekt zu starten. Die rumänische Provinz zeigt ebenfalls Interesse – eine personelle Zusage gibt es aber zunächst vor allem aus der indischen Ordensprovinz. Und nachdem der Anfang gemacht ist, entwickelt die Idee eine Dynamik. Man wird beim Bistum vorstellig, spricht sich in der Provinzleitung einstimmig für das Projekt aus – und nachdem das Bistum mitgeteilt hat, dass es sich von den interessierten Gemeinschaften für die Franziskaner-Minoriten entschieden hat, stimmt ein „Außerordentliches Provinzkapitel“ am 20. September 2020 schließlich einstimmig für die offizielle Errichtung eines neuen Konvents. 

Lange Tradition, neue Impulse
Einige Monate wird es nun noch dauern, bis Br. Bernhardin M. Seither, Br. Jesmond Panapparambil und ein dritter Mitbruder den Anfang auf Lage-Rieste machen werden, doch erste Ideen nehmen schon Gestalt an. Wie mit dem Bistum vereinbart, werden sich die Brüder in der Pfarr- und Wallfahrtsseelsorge engagieren. Vor allem für die Wallfahrt zum „Lager Kreuz“ erwartet man sich neue Impulse. Die Krankenseelsorge soll verstärkt in den Blickpunkt rücken. Es wird aber künftig auch möglich sein, im Kloster selbst mehr Gäste zu empfangen. Sieben Gästezimmer sind bereits bezugsfertig. Der zum Konvent gehörige Turm soll so ausgebaut werden, dass darin zwei Ferienwohnungen entstehen. Das große Anliegen ist dabei, die Schätze, die der traditionsreiche geistliche Ort birgt, zu heben und für das Leben möglichst vieler Menschen fruchtbar zu machen. Gute Synergieeffekte versprechen sich die Brüder von einem boomenden Fahrradtourismus in der Region. Und schon heute lässt sich beobachten, wie viele Menschen in der Kirche Halt machen. Ab dem 2. Februar 2021 werden sie dann wohl auch ganz regelmäßig Brüder der Franziskaner-Minoriten auf dem Gelände antreffen und vielleicht mit ihnen ins Gespräch kommen über Gott und die Welt – oder die traditionsreiche Geschichte der „Kommende Lage“.

Die Geschichte der Kommende Lage

Die Geschichte der Kommende bzw. des Klosters Lage-Rieste ist eng mit dem im 11. Jahrhundert gegründeten Malteserorden verbunden. Die unter der ursprünglichen Bezeichnung „Johanniterorden“ gegründete Ordensgemeinschaft entwickelte sich mit den Kreuzzügen des Mittelalters zu einem geistlichen Ritterorden, der seit seiner Präsenz auf Malta ab dem Jahr 1530 auch als „Malteserorden“ bekannt ist. Als Kurfürst Joachim II. von Brandenburg sich der lutherischen Kirche anschließt, wird ein Zweig des Malteserordens im Jahr 1538 protestantisch. Beide Ordensteile, Malteser wie Johanniter, werden während der Säkularisation aufgelöst und enteignet – beiden gelingt aber auch nach einigen Jahren eine Wiederbelebung. Die Malteser zählen heute 13.500 Mitglieder weltweit und kümmern sich vor allem um die caritative Unterstützung von alten und behinderten Menschen, Flüchtlingen und Leprakranken. 

Als „Kommende“ wurden in den Ritterorden die Niederlassungen (Konvente) innerhalb einer „Ballei“ (Provinz) bezeichnet. Graf Otto I. von Tecklenburg stellte Mitte des 13. Jahrhundert seinen Hof auf Lage für einen solchen Zweck zur Verfügung. Ab 1260 sind die Johanniter vor Ort urkundlich belegt. Bis zum Jahr 1341 steigt die Zahl der auf Lage lebenden Mitglieder auf 45 an. Zahlreiche Besitzungen im Umland gewährleisten die wirtschaftliche Existenz der Gemeinschaft, die bald die Zeit ihrer Blüte erreicht. Das 14. Jahrhundert markiert den Beginn der Wallfahrt zum „Lager Kreuz“ – aber auch einen folgenträchtigen Überfall im Jahr 1384, von dem sich die Kommende nur mühsam erholen wird. Der Osnabrücker Fürstbischof Dietrich von Horne, der von 1376 bis 1402 amtiert, verlangt hohe Abgaben, die man sich zu zahlen weigert. Daraufhin lässt er die Gebäude verwüsten, was er später vermutlich bitter bereut: Denn nach einem langen Streit muss er schließlich für sein unrechtmäßiges Handeln den Schaden erstatten. Trotzdem kann die neue Kirche erst 1426 geweiht werden. 1491 sind dann nur noch 6 Mitglieder des Malteserordens in der Kommende. Nach der Reformation stellen sie eine kleine katholische Enklave inmitten eines überwiegend protestantisch gewordenen Umfelds dar. Der 30-jährige Krieg mit zeitweiliger Besetzung durch schwedische Truppen hinterlässt erneut schwere Schäden. 1648 müssen die Gebäude neu errichtet werden. Ab diesem Zeitpunkt fungiert die Kirche St. Johannes auch als Pfarrkirche für Lage-Rieste. 1810 wird die Kommende im Zuge der Säkularisation schließlich aufgehoben. 

Die Kommende Lage gelangt in den Besitz der Klosterkammer Hannover, einer Sonderbehörde des Landes Niedersachsen zur Verwaltung ehemaligen Kirchenguts. Diese verkauft die Anlage im Jahr 1964 an einen Privatmann, der auf Lage ein Hotel mit Restaurant errichtet. 1999 erwirbt das Bistum Osnabrück die Liegenschaft und siedelt dort nach einer umfassenden Renovierung eine Gemeinschaft von kontemplativen Dominikanerinnen an. Nach zwei Jahrzehnten löst sich diese Gemeinschaft im Sommer 2020 auf – zum 02.02.2021 werden die Franziskaner-Minoriten aus der Provinz St. Elisabeth das Kloster übernehmen. 
 

 

Zuletzt aktualisiert: 16. November 2020
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