Die Mutter ist müde, die Tochter tanzt

16. Dezember 2011


Gezielt ausgewählte Brüder aus dem Minoritenorden nahmen im Juli 2011 an einem Kongress in Nairobi / Kenia teil zum Thema: „Interkultureller Orden?! – (Aus-)Bildung zum Teilen und zur Solidarität.“ Pater Josef hat sich jeden Tag sorgfältig Notizen gemacht. So profitieren unsere Leser an Hand der Tagebuchaufzeichnungen von seinen Erlebnissen. Besonders überrascht war Pater Josef von der Vitalität Schwarzafrikas. Müde Augen der Europäer lernen in Afrika das Staunen – eine Einladung auch an unsere Leser.







Kurz vor Heiligabend 2010 überreichte mir Provinzial Pater Leo Beck mein „Christkind“, die persönliche Einladung unseres Generalministers Pater Marco Tasca zum Ordenskongress in Nairobi für Sommer 2011. Das Thema: „Interkultureller Orden?! – (Aus)Bildung zum Teilen und zur Solidarität.“ Von Jugend an war ich gebannt von den drahtigen Läufern bei Olympiaden, den Bildern einer Safari, polnischen Missionaren, gestandenen Ordensfrauen auf Heimaturlaub! In dieser ganz anderen und fremden Welt wurde mir ein geschwisterliches Abenteuer geschenkt.



8. Juli – Aufbruch. In Würzburg feiert man die Frankenapostel. Was hatten die iro-schottischen Mönche Kilian, Kolonat und Totnan wohl in ihrem Reisegepäck? Die erste Malariaprophylaxe hat durchschlagende Wirkung, das kann ja heiter werden. Am Bahnhof in Markt Bibart fühle ich mich allein unter dem einen Himmel Gottes. Wie die Schwalben sich im Herbst zum Flug nach Afrika sammeln, so treffe ich mich in Fribourg / Schweiz mit Pater Vincenzo Cosatti, Generaldelegat der Mitbrüder in der Schweiz, Präsident der mitteleuropäischen Ordenskonferenz und Kongressteilnehmer. Der Wecker wird auf 4 Uhr gestellt.



9. Juli – Geduldsprobe. Beim Flug am frühen Morgen von Genf nach Rom blendet mich das gleißende Licht über den Wolken. Der Rest des Tages kostet Nerven. Am Flughafen erfahren wir: Kenya Airlines startet erst um 19.30 Uhr. Neun Stunden ‚Warteschleife‘ im Flughafengebäude. Wir treffen die ersten Kongressteilnehmer, lesen Dokumente des Kongresses, debattieren über Licht und Schatten internationaler Erfahrungen im Orden. Es geht um die Bedeutung von Sprache, kulturellen Eigenheiten und ums Geld.

Beim Einchecken stehen wir Schlange mit Menschen aus aller Welt. Julia, das kenianische Au-Pair-Mädchen, trägt ihr italienisches Pflegekind Cassandra auf dem Arm. Afrika trägt Europa – ein Vorzeichen?

In der Boeing 767 („Stolz Afrikas“) sitze ich neben David, einem Lehrer, der von Berlin aus in sein Heimatland fliegt. Von ihm lerne ich die ersten Worte Kiswahili: Asante sana – Danke sehr! Beim Aufsetzen des Fliegers auf der Rollbahn begrüßt er mich als erster auf dem fremden Kontinent mit einem herzlichen Karibu! Das Wort kommt mir bekannt vor. So hieß die Jugendbegegnungsstätte bei den Würzburger Erlöserschwestern, über die unser Neupriester Steffen Behr zu uns kam.

Bei der Passkontrolle spreche ich mit Monsignore Barthélemy Adoukonou aus Benin, Sekretär des Päpstlichen Rates für Kultur im Vatikan, der den ersten Vortrag in der Aula halten wird. Herzlich begrüßen uns polnische Patres und afrikanische Ordensstudenten – mit Wollmützen, denn es ist Winterzeit bei 15-25 Grad und auf 1.800 Metern Höhe. Gegen 6 Uhr erreichen wir mit Minibussen unsere Unterkunft, eine Mütze voll Schlaf muss heute genügen. Ich liege zum ersten Mal in meinem Leben unter einem Moskitonetz.



10. Juli – Schwungvoller Sonntag. Vor der Fahrt in unsere Pfarrei Limuru lasse ich mir die erste Banane schmecken – klein, aber fein, eben reif! Überwältigender Empfang: Tanzgruppen aus allen Generationen, staunende Kinder, eine bewegende Prozession mit der Bibel in einem Korb, eine bodenständige Gabenprozession mit Früchten, Hühnern, Säcken voll Mehl für den Konvent. Nach zwei Stunden Sonntagsmesse im Freien wird unser Generalminister zum Ehrenstammesfürsten gekürt. Wir 62 Kongressteilnehmer bekommen alle ein Stück vom Festtagskuchen in die Hand gedrückt.



11. Juli – Veränderungen in Kirche und Welt. Morgenlob und Eucharistie stehen am Anfang eines jeden Kongresstages. Pater Jude Winkler, der freundliche Amerikaner mit dem Schnauzbart, gibt nach dem Evangelium einen Impuls. Dann ein Vortragsmarathon. Sechs Referenten beleuchten Veränderungsprozesse in Kirche und Welt, sowie deren Bedeutung für unser Ordensleben. Mir tun sich Fragen auf: Wie finden wir als Kirche die Mitte zwischen Abschottung und Gleichförmigkeit mit Zeittrends? Nehmen wir das Zeugnis der Kirche und Kultur in Afrika an, mit ihrem ausgeprägten Sinn für Gemeinschaft und Religion? Welche Konsequenzen kommen auf uns zu, wenn im Jahr 2025 immerhin 70 Prozent der Christenheit auf der südlichen Hemisphäre leben? Bereits heute finden wir dort knapp die Hälfte unserer Franziskaner-Minoriten (derzeit 4.302 Mitbrüder). Die Beiträge von Pater Fermino Giacometti, dem wohl letzten Graphologen im Orden und Seraphicumskollegen von unserem Pater Anselm, und Pater Valentino Rotondo aus Spanien zum Minderbrudersein zeigen mir persönlich, auf welchen Schultern wir Jüngeren stehen. Eine gute Theorie ist wichtig für eine gute Praxis.



12. Juli – Erfahrungsberichte. Mein Fieber macht mir heute Mühe, den elf interkulturellen Erfahrungsberichten zu folgen. In der Sitzungspause erzählen mir afrikanische Mitbrüder von unserem christlichen Heilungsauftrag in Auseinandersetzung mit der starken Konkurrenz der einheimischen Heiler. Unter den Berichten spricht mich das Modell Cholet / Frankreich an. 12 Kilometer von der Grabstätte von Margareta M. Alacoque entfernt setzen Brüder aus verschiedenen Nationen auf das gemeinsame Gebet, den Austausch, einen einfachen Lebensstil und eine engagierte Jugendseelsorge. Pater Daniel Thévenet betont immer wieder die Vorsehung Gottes.

Übrigens: Bundeskanzlerin Angela Merkel war heute in Nairobi. Der Regierung soll sie in puncto Korruption deutlich ins Gewissen geredet haben.



13. Juli – Unterbrechung. Nach dem Vormittag in der Aula führt uns der Nachmittagsausflug zu graziösen Giraffen und weniger ansehnlichen Warzenschweinen. So vielfältig ist Gottes Schöpfung! Danach der Blick auf einen Slum mit 1 Million Menschen unweit von einem feinen Lokal mit afrikanischen Delikatessen. Der Kontrast könnte fast nicht größer sein.



14. Juli – Kamillus-Gedenktag. In der Aula wird Andreas Fieback gedankt, unserem deutschen Mitbruder an der Generalkurie. Er hat hinsichtlich Statistik und Übersetzungen viel an Zuarbeit geleistet. Pater Cesar Essayan legt ein leidenschaftliches Zeugnis für eine glaubwürdige Präsenz im Nahen Osten ab, besonders in der Türkei und im Libanon (bald vier Novizen in Assisi). Sein Anknüpfungspunkt ist das Zeugnis der Mönche von Algerien, die 1996 ermordet wurden (vgl. den ausgezeichneten Film „Von Menschen und von Göttern“). Heute sind mir unsere ehemaligen Sambia-Missionare besonders nahe: Sigisbert Hanß, Franz-Josef März, Kamil und Gerhard Wenzel, Franz-Ernst Kowol.



15. Juli – Frage der Berufung. In der Aula wird ein Kolbe-Film von ca. 5 Minuten gezeigt. Unser Heiliger der Nächstenliebe und „Kreativapostel“ ist nur kurz mit Bart (nach der Japanmission) vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu sehen. In den Gruppenarbeiten taucht immer wieder die Frage auf, wie man die eigene Berufung lebendig erhalten kann, damit sie nicht verflacht und uns andere Formen der „Erfüllung“ in Beschlag nehmen. Die Schicksale von Mitbrüdern, die durch Bequemlichkeit und Gefangensein in der virtuellen Welt kein gutes Zeugnis ablegen, beschäftigen uns.



16. Juli – Schlussdokument. In der Frühmesse bringt der quirlige Bruder Jorge Fernandez, Generalassistent für Lateinamerika, einen USB-Stick mit allen Dokumenten des Kongresses bei der Gabenbereitung zum Altar. Der Generalminister kommentiert: die Frucht unserer Arbeit. Im Plenum wird das Schlussdokument verlesen: Statt multikulturellem Nebeneinanderher die interkulturelle Begegnung und ein Miteinander. Dem Austausch der Personen und ökonomischen Mittel, sowie der Wertschätzung der Arbeit kommt besondere Bedeutung zu. Ein Jahrestag der Solidarität mit dem Gesamtorden wird angestrebt.

Persönlich traue ich mich in der Aula zu einem Dankwort: „Die Mutter (Europa) ist müde, die Tochter (Afrika) tanzt. Die Woche ist eine brüderliche und musikalische Auffrischungstherapie für mein Konventualsein geworden.“



17. Juli – Abschied. In unserem nahegelegenen Ordensseminar Langata fällt mir der Tabernakel bei den Dimesse Sisters ins Auge. Der Auferstandene sitzt bei seinen Freunden am Tisch und bricht das Brot. Diese Szene erinnert mich an die Emmausdarstellung im Caritas-Altenheim Maximilian Kolbe Scheinfeld. Dort hat Schwester Ludgera aus Reute einen wunderbar hellen Wandbehang hinter dem Altar gestaltet. Nur ein brennendes Herz vermag gerne zu teilen. In diesem Sinne: „Asante, Buana – Danke, Herr!“


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016