Die unbekannte Seite des Perugino
Vor 500 Jahren starb „der beste Meister Italiens”. Pragmatisch, rigoros, dem Stil der flämischen Maler zugeneigt. Freund von Päpsten, Herrschern und Mäzenen. Mentor seiner Mitarbeiter – mit einer erklärten Leidenschaft für Thermalbäder und das Meer.
Ein unvergleichliches Genie, außergewöhnlicher Meister der Farbgebung und ausgestattet mit einem ausgeprägten Ordnungssinn, der jedes seiner Bilder zu einem Kompendium an Anmut und Harmonie macht. Was kann man dem noch hinzufügen, um Perugino zu beschreiben? Pietro di Cristoforo Vannucci (1446-1523) ist einer jener Meister der italienischen Kunst, die es nicht nötig haben, mit wissenschaftlichen Abhandlungen erklärt zu werden. Und dennoch hält er, auch dank der Ausstellung „Il meglio maestro d’Italia [Der beste Meister Italiens] – Perugino und seine Zeit”, die anlässlich seines 500. Todestages organisiert wurde, noch einige Überraschungen bereit. Kuratoren der Ausstellung sind Marco Pierini, der Direktor der Nationalgalerie von Umbrien, und die Kunsthistorikerin und Konservatorin der Galerie, Veruska Picchiarelli. Den Titel „bester Meister Italiens“ gab ihm, mitten im Rinascimento, der italienischen Renaissance, der Bankier und Mäzen Agostino Chigi. Veruska Picchiarelli erklärt: „Pietro gelang es, die Gesichter, die Hände und die Hautfarben mit einer außergewöhnlichen Virtuosität darzustellen. Außerdem hatte er ein sehr gutes Gefühl für die Komposition der Szenen, ihm gelang es, Personen, Architektur und Natur zu etwas wirklich Einzigartigem zusammenzufügen.“
Kontakte mit Leonardo da Vinci
Aufgewachsen war er in der Werkstatt des Verrocchio, wo er einen ganz besonderen „Mitschüler“ hatte – Leonardo da Vinci. Ihre Wege kreuzten sich auch nach der Zeit ihrer Ausbildung. „Das geschah, als zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Kommission ernannt wurde, die darüber zu entscheiden hatte, wo der David von Michelangelo aufgestellt werden sollte. Sowohl Perugino als auch Leonardo gehörten zu dieser Kommission. Danach schlug Leonardo seinen eigenen künstlerischen Weg ein, und Perugino seinerseits wurde zum Schöpfer einer ganz eigenen und originellen Stilrichtung.“ Beide jedoch experimentierten mit Landschaftsdarstellungen, weshalb man davon ausgehen kann, dass es sicher im Laufe der Zeit zu einem Austausch der beiden kam.
Die Details der flämischen Meister
Pietro Perugino war jedoch auch einer anderen Leidenschaft ergeben, sein Vorbild waren die flämischen Maler. Dieser Einfluss sorgte im Italien des 15. Jahrhunderts dafür, dass wieder die seit der Antike bekannten Ölfarben verwendet wurden. Diese Technik erlaubte es nicht nur, außergewöhnliche Lichteffekte zu schaffen, sondern gab den Bildern eine ganz besondere, weiche und leuchtende Farbgebung. Ölfarbe kann als dünne, lasierende Schicht aufgetragen werden, ohne dabei darunter liegende Farbschichten zu übermalen, während Temperafarben so deckend sind, dass dieses Lasieren mit ihnen nicht möglich ist. Die flämischen Künstler waren Vorreiter einer Sicht auf die Realität, die fast genüsslich jedes Details herausarbeiteten und Gegenständen und Stoffen eine materielle Konsistenz verliehen, während sich die italienische Malerei einem monumentaleren Ansatz und der Darstellung des perspektivischen Raums verschrieben hatte. Die Italiener machten sich diese Lektion von den Flamen zu eigen. Ein herausragendes Beispiel für diese Adaption sehen wir in dem Werk „Die Anbetung der Magier“. Veruska Picchiarielli sagt zu diesem Meisterwerk: „Zu dieser Zeit – Perugino war ungefähr 25 Jahre alt – erhielt er seinen wahrscheinlich ersten wichtigen öffentlichen Auftrag für ein großformatiges Altarbild. Perugino versuchte, alles, was er gelernt hatte, in diesem Werk anzuwenden. Das Ergebnis ist ein ‚Mischlingswerk‘, in dem sich Anlehnungen an Verrocchio und die Stilrichtung von Florenz aus den frühen Siebzigerjahren des 15. Jahrhunderts mit den Ideen von Piero della Francesca und den von den flämischen Meistern übernommenen Techniken vermischen. Perugino beginnt mit der Arbeit an jenen menschlichen und physiognomischen Typen, die später zum Erkennungsmerkmal seiner Kunst werden sollten.“ Dabei verzichtete er nicht auf ein Selbstporträt (der erste Mann links), mit den Zeichen der Krankheit Lupus im Gesicht, an der er litt, und einem deutlich sichtbaren IO (ICH) auf dem Kragen, um zweifelsfrei seine Autorenschaft an diesem Werk hervorzuheben. Das hat weniger mit einem ausgeprägten Narzissmus zu tun als vielmehr mit der Notwendigkeit, als Künstler sein „Copyright“ gegenüber Nachahmern zu verteidigen.
Von Papst Sixtus IV. nach Rom berufen
Der erste Wendepunkt im Leben des Perugino ging mit dem Auftrag aus Rom seitens Papst Sixtus IV. einher, die Kapelle der Empfängnis im Petersdom und die Wände der Sixtinischen Kapelle zu gestalten. Dort arbeitete er zusammen mit Ghirlandaio, Botticelli, Cosimo Rosselli und später Luca Signorelli und Bartolomeo della Gatta. Leider sind die Fresken in der Kapelle der Empfängnis bei der Erneuerung des Petersdoms im 17. Jahrhundert verloren gegangen. In der Sixtinischen Kapelle hingegen malte Perugino außer den Werken, die man heute noch bewundern kann, drei weitere Bilder auf der hinteren Wand, die zerstört wurden, um Platz zu schaffen für Michelangelos Jüngstes Gericht. Für die Sixtinische Kapelle hatte Perugino ein Projekt entwickelt, an dem auch die anderen Meister, die dort mit ihm arbeiteten, mitwirkten. Pietro hatte die Komposition und die perspektivische Horizontlinie vorgegeben, an der sich alle Werke mit den Geschichten von Jesus und Moses, die die Wände schmücken, orientierten und wodurch er die Szenen in einen bestimmten Zusammenhang setzte. Man kann fast sicher davon ausgehen, dass die Papstporträts in den Nischen über den Geschichten aus Jesu und Moses Leben auf ihn zurückgehen. Perugino gelang es, eine umfangreiche Dekoration zu entwerfen. Er verstand es, die Figuren harmonisch mit dem Hintergrund, mit dem Umfeld, in denen sich die Szenen abspielen, zu verbinden. Die „Himmelfahrt der Jungfrau Maria“, das zentrale Element auf der Rückwand, ehrte diejenige, der die Kapelle geweiht war, eben die in den Himmel aufgenommene Madonna, war aber auch gleichzeitig Zeichen der Verehrung der Madonna seitens Sixtus IV., der sich zu Füßen von Maria inmitten der Apostel darstellen ließ. Die von Perugino gemalten Menschen sehen nie besorgt oder verstört aus, sondern scheinen eher von einer Ruhe und einer fast schon metaphysischen Ausgeglichenheit durchdrungen. Der Künstler kombiniert die ideale Schönheit der Figuren, als wäre sie eine Klangfarbe der Stimme. Er schafft Gesichter von einer solchen Sanftheit, dass er einen Stil definiert, auf den sein Schüler Raffael seine Physiognomien stützt und der auch in der Zukunft ein dominierendes Modell sein wird. Peruginos Proto-Klassizismus zeigt sich in der Art und Weise, wie er die Farben aufträgt, als Einheit, miteinander verschmelzend und sehr weich, und in der strengen, ausgewogenen und harmonischen Komposition.
Am Hof des Lorenzo il Magnifico
Nach der Begegnung mit Papst Sixtus IV. war die andere entscheidende Begegnung in Peruginos Leben jene mit Lorenzo dem Prächtigen, dem Herrscher von Florenz, einem Mann von großer Kultur, der Philosophie, Literatur und Kunst liebte. Pietros unnachgiebige Malerei, in der alles auf Gleichgewicht und Maß ausgerichtet ist, machte ihn zu einem Protegé von Lorenzo de‘ Medici.
Zeugnisse der Aufträge, die Perugino für Lorenzo de‘ Medici ausführte, sind vor allem die Fresken, die er zusammen mit Botticelli, Ghirlandaio und Filippo Lippi in der Villa dello Spedaletto, einer der Lieblingswohnsitze von Lorenzo in der Nähe von Pisa, geschaffen hat. Perugino beteiligte sich auch an anderen Projekten, die von Lorenzo angeregt wurden, wie dem Wettbewerb für die Verkleidung der Fassade des Doms von Florenz und die Ausschmückung der Kirche Santa Maria Maddalena al Cestello, die auch als „Kirche der Verrückten“ bekannt ist. Außerdem nimmt man an, dass er für Lorenzo den Prächtigen auch das kleine, im Louvre aufbewahrte Tafelbild, das Apollo und den Hirten Daphnis darstellt, gemalt hat.
Nach Rom und Florenz konnte Venedig nicht fehlen. In der Lagunenstadt wurde Perugino vielleicht schon 1493 für eines der Gemälde mit den Wundern des Wahren Kreuzes für die „Sala dell‘Albergo“ der Scuola Grande di San Giovanni Evangelista engagiert, das im 16. Jahrhundert bei einem Brand zerstört wurde. Ein weiteres großformatiges Bild mit einem militärischen Thema für den Saal des Großen Rates im Dogenpalast blieb unvollendet. Man darf auch eines der wichtigsten Porträts nicht unerwähnt lassen, das von Francesco delle Opere. Venedig hat in Perugino tiefe Spuren hinterlassen: hinsichtlich der Verschmelzung der Farben, der Weichheit des Auftragens der Farben, in der Ausrichtung der Kompositionselemente von unten nach oben. Sicherlich war er fasziniert von der spektakulären Atmosphäre der Stadt und ihrem ganz unglaublichen Licht. Vielleicht verstärkte seine Zeit in Venedig auch seine Vorliebe für Wasser, und nicht nur für das Meer. Aus dem Bild einer Verkündigung in der Kirche Santa Maria Nuova in Fano (Pesaro-Urbino) in der Region Marken, das er für die Brüder des örtlichen Minoritenklosters geschaffen hatte, kann man schließen, dass er sich öfter an der Adriaküste aufgehalten hat. Veruska Picchiarelli weist darauf hin, dass Perugino in Fano und in Senigallia Werke von großem Ausmaß geschaffen hat, an denen er lange Zeit gearbeitet haben muss. Allerdings seien die ‚Bäder‘, von denen in einem Dokument aus jener Zeit die Rede ist, als ‚Thermalbäder‘ zu deuten, die Perugino womöglich aufgesucht hat, um die Effekte des Lupus, an dem er litt, zu mildern.
Wohl auch, weil seine unermüdliche Tätigkeit ihn ganz fordert, bezieht Perugino seine Mitarbeiter mit in sein Schaffen ein. Und: Ein Talent wie das seine konnte nicht umhin, Generationen von Künstlern zu beeinflussen. „Diese Neigung Peruginos zu höchster Anmut und Harmonie, zu einer Kunst, die nach der idealen Schönheit strebt“, schließt Veruska Picchiarelli, „begründete eine Tradition, die die Jahrhunderte überdauern und sich in ganz Europa verbreiten sollte.“