Dienst, Gemeinschaft und Motivation
Aktivposten, Schnittstelle, Brückenbauer – dies sind nur einige der Begriffe, mit denen die Rolle der katholischen Verbände in Deutschland beschrieben wird. Viele dieser Gruppen engagieren sich schon seit dem 19. Jahrhundert in Kirche und Gesellschaft. Adolph Kolping, der Gründer des Katholischen Gesellenvereins, wurde vor zweihundert Jahren geboren.
Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) und Bund katholischer Unternehmer (BKU), Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und Bundesverband der katholischen Religionslehrer und -lehrerinnen, DJK-Sportverband und Pax Christi: Die Liste der katholischen Verbände ist lang und vielfältig. Der größte Zusammenschluss ist derzeit die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) mit ca. 600.000 Mitgliedern.
SIE PRÄGEN KIRCHE UND GESELLSCHAFT
Seit Jahrzehnten prägen sie Kirche und Gesellschaft mit. Bei aller Vielfalt lassen sich grundlegende Gemeinsamkeiten beschreiben. Der frühere Aachener Bischof Klaus Hemmerle († 1994) nannte drei Bestimmungen für katholische Verbände: „Dienst, Gemeinschaft, Motivation. In katholischen Verbänden geht es um einen Dienst, einen Dienst am Menschen, an der Gesellschaft, an der Kirche. Katholische Verbände sind zugleich Gemeinschaft, nicht bloßer Zweckverband. Gemeinschaft will sagen: Raum des Miteinander-Lebens, der Begegnung und der Verbindung von Mensch zu Mensch. Katholische Verbände leben aus gemeinsamer Motivation. Der Glaube an Jesus Christus, die Verbindung mit ihm in der Verbindung mit der Kirche ist für sie tragender Grund. Aus ihm wachsen ihr Dienst und ihre Gemeinschaft, ja aus ihm rechtfertigt sich die Existenz katholischer Verbände. Nur weil katholische Verbände Kirche sind und Kirche leben, ist es sinnvoll, dass es sie gibt.“ (nach www.klaus-hemmerle.de)
DIENST UND VERANTWORTUNG
Blicken wir auf die Geschichte, so war es oft nicht nur sinnvoll, sondern ausdrücklich notwendig, dass es die Verbände der unterschiedlichsten Art gab. Ihre Mitglieder übernahmen und übernehmen bis heute Dienste und Verantwortung in Kirche und Gesellschaft. Sie bilden eine Lobby für die Gruppe, die sie jeweils vertreten, und für das Anliegen, das sie sich auf die Fahnen geschrieben haben. Die kirchlichen Amtsträger und die Pfarreien übersehen manche dieser Detailfragen oder dieser Gruppen, können sich nicht um alles kümmern. Doch die Themen und die katholische Haltung dazu müssen in der Gesellschaft wachgehalten werden, wenn sie eine menschenwürdige Gesellschaft sein soll. Dabei kann es um Frieden und Gerechtigkeit oder um Arbeitsplätze und um die Unterstützung von Familien gehen.
Dies sehen auch die deutschen Bischöfe. So lobte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Dr. Robert Zollitsch, im Mai diesen Jahres: „Die Verbände (…) sind ein großer Aktivposten unserer Kirche in Deutschland. Sie sind gelebte und praktizierte Bereitschaft, Kirche, Politik und Gesellschaft mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen im Geiste Jesu Christi.“
CHRISTLICHES MENSCHENBILD
Aus den Verbänden heraus engagieren sich viele Männer und Frauen beispielsweise in Parteien und Gewerkschaften. Auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes und der katholischen Soziallehre setzen sie sich ein für friedliche Lösungen bei Konflikten, für gerechte Verteilung der Güter, für den Lebensschutz, für ein menschenwürdiges Dasein aller Menschen, auch derer, die keine Leistung (mehr) bringen können. Sie arbeiten somit in der Gesellschaft, bringen bei ihrem Dienst aber Impulse ein, die dem heutigen Denken in manchen Bereichen entgegenstehen, denn „sie bezeugen, dass Gott uns mehr verheißen hat, als wir durch menschliche Kraft herstellen und hervorbringen können. Mit dieser Hoffnung unterbrechen sie die manchmal unmenschliche Logik des Zeitlaufs“ (Zollitsch). Hier erweisen sich die Verbände als „Salz der Erde“, so wie Jesus es allen Christen aufgetragen hat (Mt 5,13).
HEIMAT UND GEBORGENHEIT
Wollte man sich alleine an die Bewältigung dieser Aufgaben machen, so wäre man schlichtweg überfordert. Die Gemeinschaft innerhalb des Verbands aber – von manchen als Kaffeekränzchen oder Stammtisch belächelt – gibt Halt und Motivation für das Engagement. Und gerade diese Gemeinschaft macht die Verbände auch zu wichtigen Gestaltern der neuen, sehr großen kirchlichen Strukturen. Ein „Kirchenverband“, eine „Seelsorgseinheit“, ein „Pfarreienverbund“ weckt zumindest vom Namen her keine Gefühle von Heimat und Geborgenheit. Ganz anders eine Kolpings-„familie“. Hier kann man sich mit Gleichgesinnten austauschen und Kraft schöpfen für das Leben in Familie, Arbeit und ehrenamtlichem Engagement.
In einer Zeit, in der Christsein nicht mehr selbstverständlich ist und in der sich viele Menschen von der ‚Amtskirche‘ abgewandt haben, verliert die Kirche den Zugang zu den fernstehenden Menschen. Hier haben die Verbände eine große Chance, dem Christentum ein Gesicht zu geben, die Frohe Botschaft zu bezeugen und die Kirche erfahrbar zu machen. Auf diese Weise dienen sie nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Kirche.
BRÜCKE ZU KIRCHENFERNEN
Ein gutes Beispiel dafür ist die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg. Zu ihren Mitgliedern gehören auch viele so genannte kirchenferne Jugendliche. Aber sind sie das wirklich? Die Kirchengemeinde vor Ort besuchen sie nicht von sich aus. Doch der Einsatz der Pfadfinder bringt sie in Kontakt mit der Kirche, ihr Ideal der guten Tat ist gelebte Nächstenliebe, und die Gottesdienste, die zum Beispiel bei Zeltlagern gehalten werden, können ihnen den Glauben näher bringen. So wird der Verband zu einem Brückenbauer.
Da wundert es kaum, dass es inzwischen ein Bestreben gibt, eine eigene „Theologie der Verbände“ zu formulieren. Man erhofft sich davon: „Sie wird uns zum einen helfen, uns selbst für eine gute Zukunft in sich verändernden gesellschaftlichen und kirchlichen Realitäten neu aufzustellen (und ggf. zu verändern), zum anderen unsere Position im Dialog mit der amtlich verfassten Kirche klarer und hoffentlich auch verständlicher darzustellen“ (BDKJ 2012). Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.
ANGST VOR BINDUNG
Viele Verbände sehen sich heute mit schwindenden Mitgliedszahlen konfrontiert. Sicher gibt es dafür viele Gründe. Grundsätzlich binden sich die Menschen unserer Zeit weniger an feste Institutionen und Vereine, auch Parteien und Gewerkschaften klagen darüber. Die Zahl der aktiven Katholiken nimmt insgesamt ab. Manche Verbände mit ihren langen Traditionen erscheinen für junge Menschen unattraktiv. Es gilt somit für die Verantwortlichen, auch im Blick auf sich selber die Zeichen der Zeit zu erkennen und immer wieder zu fragen, was für heutige Menschen, für die heutige Kirche und für die heutige Gesellschaft von Bedeutung ist. Manche Ideale und Grundsätze der Anfangszeit müssen dann für unsere Zeit „übersetzt“ werden.
Ein Beispiel dafür ist das Internationale Kolpingwerk, als „Gesellenverein“ gegründet von Adolph Kolping. Er wurde vor zweihundert Jahren geboren, am 8. Dezember 1813.
KOLPINGS WEG UND IDEE
Da er als Sohn eines Schäfers in Kerpen bei Köln aufwuchs, war zunächst nicht zu erwarten, dass der schmächtige Junge einmal einer der bedeutendsten Sozialreformer seiner Zeit werden sollte. Trotz seiner Intelligenz und seiner Talente war eine akademische Ausbildung für das Kind armer Leute in weiter Ferne. Nach einer sechsjährigen Dorfschulzeit begann er mit dreizehn Jahren eine Lehre als Schuster.
Während der Gesellenzeit erlebte er am eigenen Leib die Konsequenzen, die die aufblühende Industrialisierung für die Handwerksgesellen mit sich brachte. Die Zünfte zerfielen. Die familiären Strukturen, in denen die Gesellen zuvor mit dem Meister und dessen Verwandten zusammen lebten, zerbrachen. Die jungen Männer fanden sich oft auf der Straße oder im Wirtshaus wieder. Kein Wunder, dass sie sich ohne Halt und Perspektive sahen.
Der Wandergeselle Kolping dagegen las nach getaner Arbeit Bücher und lernte Latein und Griechisch. Denn es lebte ein Wunsch in ihm: Er wollte Priester werden. Tatsächlich schaffte Kolping 1837 die Aufnahme am Kölner Marzellengymnasium. Dort saß der 24-Jährige nun zwischen Jugendlichen aus wohlhabenderen Familien. Er selber musste nebenbei für seinen Lebensunterhalt aufkommen.
KAPLAN IN ELBERFELD
Dann hatte er Glück: Nach bestandenem Abitur bot ihm die Tochter eines reichen Kerpener Bauern an, ihm das Theologiestudium zu bezahlen. Er studierte in München und Bonn. Auch dort wurde man auf seine Begabung aufmerksam. Schließlich wurde er am 13. April 1845 zum Priester geweiht. Die erste Kaplansstelle führte ihn nach Elberfeld, heute ein Stadtteil von Wuppertal.
In Elberfeld, der aufstrebenden Industriestadt, stieß er wieder auf ein Problem, das er aus eigener Erfahrung kannte: die schwierigen, teils unsozialen Lebensumstände der Gesellen. Kolping traf auf den Lehrer Johann Gregor Breuer, der das Problem ebenfalls erkannt hatte und den Gesellen eine Heimat im „Katholischen Jünglingsverein“ (gegründet 1846) gab. Er bot ihnen Bildung, Gemeinschaft und religiösen Halt. Die Idee begeisterte Kolping, und er verbrachte immer mehr Zeit mit den jungen Männern, wurde ihr geistlicher Vorsitzender.
DER GESELLENVATER
Einige Jahre später stand ein Stellenwechsel an. Gerne hätte Kolping eine akademische Kariere eingeschlagen. Gleichzeitig ließen ihn das Schicksal der Handwerksgesellen und die Idee Johann Gregor Breuers nicht los. Hören auf die Zeichen der Zeit und auf die ganz eigene Berufung war gefragt. Kolping entschied sich gegen die Universität, ging als Domvikar nach Köln und gründete 1849 den Katholischen Gesellenverein. Immer klarer hatte er erkannt: „Tätige Liebe heilt alle Wunden, bloße Worte mehren nur den Schmerz.“
Wie sehr er damit ein drängendes Problem anpackte, zeigt die weitere Entwicklung: Bis zu seinem Tod am 4. Dezember 1865 hatte sich die Idee in Deutschland und Westeuropa ausgebreitet, sogar in den USA gab es erste Gesellenvereine. Insgesamt waren es bereits über vierhundert. Viele tausend junge Handwerker hatten schon zu Lebzeiten Kolpings vom Gesellenverein für ihr Leben Orientierung bekommen. Der „Gesellenvater“ hatte dafür unermüdlich gearbeitet, hatte Statuten geschrieben, Neugründungen und den Bau von Gesellenhäusern motiviert, unzählige Predigten, Artikel und Reden in diesem Anliegen verfasst.
FAMILIE UND DIE EINE WELT
Als Mitglieder wurden in der Anfangszeit ausschließlich ledige männliche Handwerksgesellen aufgenommen. Seit 1966 dürfen auch Frauen eintreten, inzwischen stellen sie etwa ein Drittel aller Mitglieder. Das ist nur eine von vielen Änderungen seit Kolpings Tod. Denn es war im Laufe der etwa 150 Jahre immer wieder die Aufgabe der Verantwortlichen, die Ursprungsidee an die jeweils aktuellen Gegebenheiten anzupassen.
Das heutige Kolpingwerk beschreibt sich in seinem Leitbild von 2000 so: „Wir sind ein Verband von engagierten Christen, offen für alle Menschen, die auf der Grundlage des Evangeliums und der katholischen Soziallehre / christlichen Gesellschaftslehre Verantwortung übernehmen wollen. Bei uns geben und erfahren Menschen Orientierung und Lebenshilfe. Im Sinne Adolph Kolpings wollen wir Bewusstsein für verantwortliches Leben und solidarisches Handeln fördern. Dabei verstehen wir uns als
Weg-, Glaubens-, Bildungs- und Aktionsgemeinschaft. (…) Schwerpunkte unseres Handelns sind: die Arbeit mit und für junge Menschen, unser Engagement in der Arbeitswelt, mit und für die Familie und für die Eine Welt.“
ENGAGIERT IN ÄMTERN UND GREMIEN
Aus diesem Selbstverständnis heraus gestalten heute „Kolpinger“ das kirchliche Leben vor Ort in den „Kolpingsfamilien“, aber auch die gesamte Gesellschaft durch ihr Engagement in vielen verschiedenen Ämtern und Gremien, und das nicht nur in Deutschland, sondern in über sechzig Ländern der Erde. Das Internationale Kolpingwerk hat inzwischen mehr als 400.000 Mitglieder.
Das Beispiel Kolping zeigt uns konkret, was Bischof Hemmerle meinte, als er die Verbände mit den Begriffen Dienst, Gemeinschaft und Motivation beschrieb, und warum Erzbischof Zollitsch den Einsatz der Verbände in Geschichte und Gegenwart so sehr lobt. Ohne das Kolpingwerk, aber auch ohne die vielen anderen Verbände, würde der Kirche und auch der Gesellschaft etwas Wichtiges fehlen!