Dunkle Linien im Sonnenspektrum
Der gelernte Glasschleifer Fraunhofer, 1824 geadelt, war kein Akademiker. Vor zweihundert Jahren entdeckte er die Absorbtions-
linien im Sonnenspektrum. Mit seinem Namen verknüpfen sich bahnbrechende Erfindungen und Entwicklungen.
Die Atmosphäre der Sonne besteht aus Wasserstoff, Helium, Sauerstoff, Eisen und einigen anderen Elementen. Woher man das weiß, wo doch noch nie jemand auf der Sonnenoberfläche war und wegen der Hitze wohl auch niemand dort hinkommen wird? Die Fraunhoferschen Linien, vor zweihundert Jahren entdeckt, verraten es uns.
PHOTONEN SCHUBSEN ELEKTRONEN
Ein Exkurs in die Physik: Um etwas so Großes wie die Sonne zu verstehen, müssen wir uns zunächst etwas sehr Kleinem zuwenden, den Atomen. Ein Atom ist aufgebaut aus einem Kern, in dem sich Protonen und Neutronen befinden, und einer Elektronenhülle. Um diese Elektronen geht es. Wenn ein Elektron von einem Lichtstrahl getroffen wird, wird es ein wenig „angeschubst“ und dadurch auf ein höheres Energieniveau gehoben. Man kann es sich in etwa so vorstellen, als ob man unten an einer Treppe steht und ein Paket hinaufhebt. Je nach persönlicher Kraft kann man das Paket auf die erste, zweite oder dritte Stufe schaffen und es dort abstellen. Ebenso wird das Elektron je nach Energie des Lichtstrahls – in der Physik spricht man von Lichtteilchen, sogenannten Photonen – um eine, zwei oder drei Stufen im Energieniveau angehoben.
In unserem Beispiel mit dem Paket braucht es genau die richtige Energie, um dieses exakt auf einer Stufe abzustellen und es nicht etwa auf halber Höhe fallen zu lassen. So ist es auch bei den Elektronen. Nur die Photonen, die genau die richtige Energiemenge haben, sind in der Lage, ein Elektron auf die nächste Stufe zu befördern. Sie geben ihre Energie an das Elektron ab und heben es dabei an.
LICHTCODE DER ELEMENTE
Zwei Dinge sind dabei wichtig: Licht verschiedener Energie hat unterschiedliche Farben. Rotes Licht hat die wenigste, violettes die meiste Energie. Und wie bei verschiedenen Treppen, ist auch bei verschiedenen Elementen die Höhe der Stufen unterschiedlich. Wir können also bei jedem Element bestimmen, welches Licht es braucht, um die Elektronen anzuheben.
Als Josef von Fraunhofer 1814 das weißgelbe Sonnenlicht mit einem Spektroskop in seine verschiedenfarbigen Bestandteile zerlegte, bemerkte er, dass in dem dabei entstehenden Farbspektrum, das wir vom Regenbogen her kennen, einige dunkle Linien auftauchten. Der britische Arzt, Chemiker und Physiker William Hyde Wollaston hatte zwar bereits 1802 dunkle Linien im Sonnenspektrum beobachtet, seine Entdeckung war Fraunhofer jedoch nicht bekannt. So machte sich der Münchener Optiker unabhängig davon an eine systematische Analyse. Durch Messungen der Wellenlänge verzeichnete er insgesamt 570 Linien, die er unter anderem durch ein Buchstabensystem ordnete. Ihm zu Ehren heißen sie heute Fraunhofersche Linien.
Woher kommen nun diese Linien? Wenn dunkle Leerstellen zu sehen sind, heißt es zuerst einmal nichts anderes, als dass es kein Licht genau dieser Energie im Spektrum gibt. Aber wo ist es hin? Das fragte sich damals auch Josef von Fraunhofer, fand jedoch zu Lebzeiten keine Erklärung dafür. Erst die Chemiker Robert Bunsen und Gustav Kirchhoff konnten 1860 die Frage beantworten. Von ihnen stammt die Erkenntnis, dass jedes Atom Licht ganz bestimmter Energie (ganz bestimmter Farben) aussenden kann. Diese Farben sind charakteristisch für das sendende Atom. Umgekehrt kann das Atom nur Licht genau dieser Farben auch wieder aufnehmen (absorbieren), um seine Elektronen anzuheben. Die Lage der dunklen Linien, also der fehlenden Farben, sind sozusagen die Spuren, die die Elemente hinterlassen, und an diesem „Lichtcode“ können sie identifiziert werden.
FERNROHRBAU UND RITTERSCHLAG
Durch diese Erkenntnis war nun klar, dass bestimmte Teile des Sonnenlichts nicht auf der Erde ankommen. Und weil zwischen Sonne und Erde nichts ist als leerer Raum, muss dieses Licht in der Sonnenatmosphäre absorbiert worden sein. So kann man von den Fraunhoferschen Linien auf die Zusammensetzung der Sonnenatmosphäre schließen. Eine bahnbrechende Entdeckung, die den Astronomen auch nach zweihundert Jahren immer noch hilft, die Elemente, die in Sternen vorkommen, zu bestimmen, und so das Universum besser zu verstehen. Dem nimmermüden Bemühen des Optikers Josef von Fraunhofer ist außerdem der wissenschaftliche Fernrohrbau zu verdanken, der die moderne Astronomie erst möglich machte.
Dabei wäre er beinahe schon als Jugendlicher gestorben. Josef wurde am 6. März 1787 als elftes Kind eines Straubinger Glasermeisters geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern gab sein Vormund den gerade 11-Jährigen nach München in eine Spiegelschleiferlehre. 1801 überlebte er als Vierzehnjähriger den Zusammenbruch des Hauses seines Lehrherrn nur knapp. Er hatte doppelt Glück, denn bei seiner Rettung waren Kurfürst Maximilian IV. und der Geheime Rat Joseph von Utzschneider anwesend. Der Kurfürst schenkte ihm 18 Golddukaten und Utzschneider förderte ihn fortan und verschaffte ihm auch Zugang zu mathematischer und optischer Fachliteratur, so wie eine Anstellung als Werkmeister in seinem optischen Institut. Dort erfand Fraunhofer 1814 das Spektroskop. Trotz eines fehlenden Schulabschlusses wurde er 1823 in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und 1824 für seine Entdeckung zum Ritter geschlagen. Kurz darauf verstarb er mit nur 39 Jahren, am 7. Juni 1826, an Lungentuberkulose.