Ein amerikanischer Traum auf zwei Rädern
Eine Harley-Davidson ist nicht nur eine Maschine, sie steht auch für einen Lebensstil, für das Gefühl von Freiheit und Individualität. In diesem Jahr feiert die Kultmarke, deren erstes Exemplar in einer amerikanischen Bretterbude zusammengeschraubt wurde, ihren 100. Geburtstag.
“Es war schon immer mein Traum, eine Harley-Davidson zu besitzen“, bekennt Sonja Schwald. Jetzt hat sich die 35-jährige Krankenschwester aus dem Schwäbischen ihren Traum erfüllt: Seit ein paar Wochen fährt sie eine dunkel lackierte 883 Sporty mit 54 Pferdestärken, die sie gebraucht für 6 000 Euro bei Peter Schädel gekauft hat.
Der 52-jährige Motorradhändler aus Randersacker bei Würzburg ist ein Harley-Davidson-Besessener. Ihm gehören mehrere der amerikanischen Legenden, darunter eine blaue Electra- Glide-Classic mit Beiwagen, die ihn runde 50 000 Euro gekostet hat.
Leidenschaft seit Kindertagen. Schädel wurde die Leidenschaft für die amerikanische Maschine gleichsam in die Wiege gelegt. Schon sein Vater betrieb einen Motorradhandel und fuhr Rennen für NSU. Frühzeitig kam der Bub mit Schmierlappen, Schraubenschlüssel und Ölkanne in Berührung, half dem Vater, bis er sich selbst mit dem Innenleben von BMW, NSU und Co. auskannte. In jener Zeit bestaunte er die Harley-Davidson-Motorräder mit V-Motor, mit dem die amerikanischen Militärpolizisten damals Streife fuhren. Er selbst buk zunächst jedoch kleine Brötchen: Schädel juniors erstes motorbetriebenes Zweirad war eine Hercules. Es folgten Motorräder japanischer Provenienz. 1969 machte der Film “Easy Rider“ mit Peter Fonda, Dennis Hopper und dem damals noch weithin unbekannten Jack Nicholson Furore. Er erzählt die Abenteuer zweier junger Männer, die auf zwei Harleys in den Vereinigten Staaten unterwegs sind.
Der Film schlug ein wie eine Bombe. Tausende junger Männer träumten fürderhin von dem Motorrad, das spätestens jetzt Kultstatus erlangte. Peter Schädel erging es ebenso, auch wenn er bis Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts warten musste. Doch dann stand eine 1000er Sporty vor der Tür. Weitere zehn Jahre später machte Schädel aus seiner Leidenschaft seinen Beruf. Seither ist sein Betrieb an der Ochsenfurter Straße, der aussieht als wäre er einem amerikanischen Film entsprungen, Anlaufstelle für Motorradbegeisterte im Allgemeinen und Harley-Davidson-Enthusiasten im Besonderen.
Ur-Harley aus Fahrradrahmen. Was ist dran an dem Motorrad, das den einen ein Funkeln in die Augen treibt, von dem andere behaupten, sein Ruf sei besser als das gute Stück selbst?
Seine Geschichte beginnt vor rund 100 Jahren in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin. William S. Harley, geboren 1880 als Sohn englischer und Arthur Davidson, 1881 als Sohn schottischer Einwanderer geboren, kennen sich seit Kindesbeinen als Nachbarsjungen und Schulkollegen. Harley ist ein begabter Tüftler, der nach der Schulzeit eine Stelle als Mechaniker bei einer Fahrradfabrik antritt. Davidson ist nicht ganz so begabt, hat aber einen großen Vorteil auf seiner Seite: nämlich seine Brüder Walter und William. Beide werden ihm und der jungen Firma bald mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Das erste Fahrzeug, das die beiden Freunde samt Familie in einer Hinterhof-Bretterbude zusammenbasteln, ist die Kopie eines französischen De-Dion-Motors auf einem Fahrradrahmen. Das Motörchen schafft es regelmäßig, den dafür nicht vorgesehenen, weil viel zu schwachen Rahmen, in alle Bestandteile zu zerrütteln. Im Frühjahr 1903, mithin vor rund 100 Jahren, stellen die beiden Jungunternehmer einen selbstentwickelten Motor vor, den sie auf einen robusten Rahmen setzen. Er hat knapp 400 Kubikzentimeter Hubraum und drei PS. Das Gefährt verfügt über eine massive Schwungscheibe, deren Drehmoment es auch Steigungen bewältigen lässt. Versuchsfahrer ist Walter Davidson, den die Maschine rundum überzeugt. Jene erste “waschechte“ Harley-Davidson wird mehrmals verkauft, hat insgesamt fünf Besitzer, und, als sie verschrottet wird, rund 160 000 Kilometer zurückgelegt, ohne größere Pannen. Damit ist die Zuverlässigkeit der Maschine unter Beweis gestellt.
Zuverlässiger “Grauer Kumpel“. Erstes Kaufargument für Kunden, deren Bestellungen die kleine Hinterhoffirma schnell an die Kapazitätsgrenze bringen. Dass die Firmeninhaber immer noch die gutmütigen Nachbarsjungen von einst sind, belegt eine Begebenheit am Rand: Arthur und Walter Davidson verstecken die Verkaufserlöse in einem Medizinschränkchen, wo sie von einer diebischen Putzfrau entdeckt werden, die sich prompt “bedient“. Für die Finanzkraft des kleinen Unternehmens hat dies glücklicherweise keine Folgen.
1906 errichten Harley und Davidson an der späteren Juneau Ave ein Holzgebäude für die Produktion, heute noch Sitz der Verwaltung. Die Firma hat 18 Angestellte und ist ein echter Familienbetrieb. Denn nach Arthur steigt nun auch William Davidson ganz ein. Neben den Verwandten in persona arbeitet auch deren Geld in dem Jungunternehmen.
Rasch geht es aufwärts mit Harley-Davidson. Arthur Davidson gründet Niederlassungen in den USA, knüpft erste Auslandskontakte und wirbt Händler an, die seine Motorräder vertreiben. Bald bestellen Polizei- und Postbehörden Motorräder in Milwaukee. Das Modell “Silent Grey Fellow”, welches übersetzt etwa “Leiser Grauer Kumpel” bedeutet, erobert als Streifen-, Postzustellungs- oder Kundendienstmotorrad für Überlandtelefonleitungen die Weiten der Staaten.
Expansion. 1908 gewinnt Walter Davidson zwei Wettrennen und macht mit einem Schlag die Marke im ganzen Land bekannt. Die Bestellzahlen passen sich dem Bekanntheitsgrad an. 1911 verlassen 5.625 Maschinen die Werkhalle, 1912 sind es 9.500, 1913 werden 13.000 auf die Straße geschickt. Zwischenzeitlich baut Harley-Davidson Zweizylindermotoren, die in V-Stellung zueinander stehen und erheblich mehr Leistung erbringen als bis dato der Einzylinder. Jetzt wagt sich Arthur Davidson auch an den Export. England ist sein Experimentierfeld. Die Expansion der Firma in die Welt wird 1914 jäh unterbrochen. Für die kommenden vier Jahre kommt die Harley-Davidson in Olivgrün daher und wird in Europa an allen Fronten mit amerikanischer Truppenbeteiligung eingesetzt.
Der Krieg ist nur ein kurzes Intermezzo. Mit neuer Technik und neuen Modellen steigt Harley-Davidson zur größten Motorradschmiede der Welt auf. Die Maschinen werden während der Prohibition von Alkoholschmugglern ebenso gefahren wie von Polizisten. Der Zweite Weltkrieg sieht die Maschinen wieder auf den Kriegsschauplätzen der Welt. Bald jedoch wird das Einheitsgrau wieder von gewohnter Buntheit abgelöst, das Motorrad erlebt in den Nachkriegsjahren eine weltweite Renaissance, mit ihm auch die amerikanische Nobelmarke. Dabei ist es bis heute geblieben. Der Mythos Harley-Davidson lebt, trotz Insolvenz und Qualitätsproblemen in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die der Firma fast das Genick gebrochen hätten. Doch dies ist Schnee von gestern.
Also dann, auf die nächsten 100 Jahre!