Ein Griff in die geistliche Hausapotheke

24. Mai 2012

Den Zusammenhang von Heil und Heilung kannten unsere Vorfahren sehr wohl. Da steckte die sogenannte Schulmedizin noch in den Kinderschuhen und weltweit operierende Pharmakonzerne waren unbekannt. Doch die Erkenntnis einer Beziehung von Heil und Heilung führte gelegentlich zu abergläubischen Vorstellungen.



In früheren, aber doch nicht allzu fernen Zeiten gehörten zur Hausapotheke nicht nur Kräuter, Pülverchen und Salben, sondern auch mancherlei geistliche Arzneien, denen man eine heilende Wirkung zuschrieb. Bevor die Schulmedizin und die chemische Industrie einen Pakt eingingen, betrachteten die Menschen Krankheiten zumeist als etwas Unheimliches, insbesondere, wenn die jeweiligen Ursachen nicht durchschaubar waren. So erklärt es sich, dass vor allem größere Leiden häufig auf die Einwirkung von dämonischen Mächten zurückgeführt wurden.


DER SEGEN DES ZACHARIAS

Diesen dunklen Kräften begegnete man – häufig schon prophylaktisch – nicht nur mit Fürbitten und Gebeten, sondern auch mittels allerlei Gegenständen, die geweiht wurden und in der Folge als sacra, als heilig, galten. Allerdings sah sich die Geistlichkeit immer wieder veranlasst, gegen einzelne solcher Schutzzeichen anzupredigen. Denn manche Praktiken und Gebräuche, die mit dem rechten Glauben durchaus vereinbar waren, wurden seitens des einfachen Volkes völlig falsch interpretiert.

Ein Beispiel dafür ist der ehemals auf Zetteln verbreitete Zacharias-Segen, der als probates Abwehrmittel gegen Pest, Hexerei und Sturm galt. Die Ursprünge dieses besonderen Segens liegen im Dunkeln. Angeblich soll ihn der Patriarch von Antiochien den 1547 in Trient zum Konzil versammelten Kardinälen empfohlen haben. Die Segensformel selber mutet überaus mysteriös an: † Z † DIA † BIZ † SAB † Z † HGF † BFRS. Die Kreuze stehen jeweils für einen Anruf, der mit Crux Christi (Kreuz Christi) beginnt. Die einzelnen Buchstaben beziehen sich auf die Anfänge von lateinischen Psalmversen. So verweist das Z am Anfang auf Psalm 69,10: Zelus domus tuae liberet me – die Liebe zu deinem Haus befreie mich. Die einfachen Gläubigen, denen solche Zusammenhänge fremd waren, sahen in der rätselhaften Buchstabenfolge lediglich eine Art Zauberformel. Was wiederum mit sich brachte, dass dieser Segen schon bald in Misskredit geriet und von der Geistlichkeit, die diesbezüglich selber kaum Bescheid wusste, abgelehnt wurde.

Anders verhielt es sich mit den Agathazetteln. Die wurden am Festtag der Märtyrin gesegnet und anschließend zu Hause aufbewahrt. Aufgedruckt war eine Anrufung an die Heilige in lateinischer (seltener auch in deutscher) Sprache: „Heilige Agatha, du heiliges Gemüt, das Gott die Ehre gegeben und das Vaterland errettet hat, bitte für uns!“



LÜSESÄCKLI UND SCHABMADONNEN

Fast ausschließlich in der Schweiz verbreitet waren die sogenannten ‚Lüsesäckli‘ in Form von herzförmigen Stoffbeutelchen, die in der Regel mit gesegneten Heublumen gefüllt waren. Diese in Frauenklöstern hergestellten Amulette wurden an der Wiege von Kleinkindern befestigt, um sie vor Verhexung zu schützen. Die etwas sonderbare Bezeichnung leitet sich vom Palmgras her, dessen Früchtchen an Läuse erinnern. Entsprechend dem volksmedizinischen Prinzip, dem zufolge Gleiches mit Gleichem zu kurieren ist, war der Glaube verbreitet, dass die Säcklein deren Träger und Besitzerinnen auch vor der Läuseplage bewahren würden.

In der Geistlichen Hausapotheke fanden sich vielerorts auch manche an Wallfahrtsorten erworbene Devotionalien. Besondere Wirkkraft maß man dem ‚Breverl‘ zu. Damit bezeichnete man ein kleines, mehrfach gefaltetes und mit Sprüchen und Bildern versehenes Papier oder Pergament. Dieses wiederum war in eine Stoffhülle eingenäht; der Inhalt durfte nämlich nicht bekannt sein, wenn die Schutzwirkung anhalten sollte. Bis kurz vor Mitte des letzten Jahrhunderts war es Brauch, dass Pilgernde an marianischen Wallfahrtsorten eine verkleinerte tönerne Kopie des Gnadenbildes erwarben und diese anschließend segnen ließen. Im Krankheitsfalle schabte man davon ein paar Partikel ab, die dann mit Wasser vermischt eingenommen wurden – daher der Name ‚Schabmadonna‘.



JESUS ALS APOTHEKER

Manche angeblich geistlichen Hausmittel wiesen einen eher losen Bezug zur Religion auf, weshalb manches früher gepflegte Brauchtum aus heutiger Sicht etwas sonderbar erscheinen mag. Tatsache ist, dass sich die kirchlichen Obrigkeiten immer wieder einmal veranlasst sahen, die Gläubigen vor unorthodoxen Praktiken zu warnen. Das erlaubt den Rückschluss, dass tatsächlich die Gefahr bestand, dass der Unterschied zwischen religiöser Sinndeutung und magischem Denken oft in den Hintergrund trat.

Gleichzeitig aber ist zu bedenken, dass sich in gewissen abergläubischen Aspekten mancher Bräuche, wenn oft auch nur verdunkelt, das Bewusstsein widerspiegelt, dass eine Wechselwirkung besteht zwischen seelischer Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden. Besonders anschaulich bringt das ein Bildtypus zum Ausdruck, der vor allem im 17./18 Jahrhundert verbreitet war. Diese Darstellungen zeigen Jesus als Apotheker, wie er Tugendpulver verabreicht.


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016