Ein Leben des Leids

28. Juni 2010 | von

 „Der Weg zur Heiligkeit war für Schwester Alphonsa der Weg des Kreuzes, der Krankheit und des Leidens", betonte Papst Johannes Paul II. im Februar 1986 bei der Seligsprechung der indischen Franziskanerin. Zwölf Jahre später wurde sie durch Benedikt XVI. kanonisiert und zur ersten Heiligen Indiens. Der Geburtstag der Frau aus vornehmer Familie, deren kurzes Leben durch schwere körperliche Schmerzen und seelische Qualen bestimmt war, jährt sich am 19. August zum 100. Mal. An diesem Tag ist ihr Heiligtum in Bharananganam, im südindischen Bundesstaat Kerala, Ziel eines nicht abreißenden Pilgerstroms.



Bei meinen bisher vier Indienbesuchen habe ich immer gerne am Grab der damals seligen Schwester Alphonsa zelebriert. Geboren wird sie am 19. August 1910 in Kudamalur-Arpukara als fünftes Kind ihrer Eltern Maria Puthukari und Joseph Muttathupadathu. Ihre edle Abkunft zeigt eine Familienlegende, die bis ins Jahr 1125 zurückreicht. Ein Brahmanenjunge mit einem Goldreif kommt vor sowie böse Geister, die einen Frevel am Hindutempel von Kumaranallor rächen wollen. Auf den Rat von Astrologen hin ruft der König den syrischen Christen Avira Chacko (= Jakobus) ins Land, der im geschändeten Tempel ein Kreuz errichtet, damit die bösen Geister vertreibt und in Kudamalur eine Kirche bauen darf. Diese christliche Familie pflegte die Ayurvedatradition und nannte sich Muttathupadathu. Noch der Großvater von Schwester Alphonsa war Ayurveda-Arzt.



Am 28. August 1910 auf den Namen Annakutty (kleine Anna) getauft, wird Schwester Alphonsa am 19. Mai 1946 ihrem Seelenführer schreiben, sie habe die Taufgnade nie verloren. Warum sie einen Monat zu früh auf die Welt gekommen ist, erwähnt sogar die offizielle Lebensbeschreibung des Vatikans: Ihre Mutter war beim Mittagsschlaf auf der Veranda aufgeschreckt, weil sich eine an sich harmlose Schlange um ihre Beine gewickelt hatte. Die Mutter starb drei Monate später.



Gott versprochen



Annakutty wurde zehn Jahre lang von ihren Großeltern in Elumparambil erzogen und war mit fünf Jahren bereits Vorbeterin bei der abendlichen Andachtsstunde, die noch heute in jeder christlichen Familie in Kerala gepflegt wird. Zu ihrer Erstkommunion am 11. November 1917 schreibt sie am 30. November 1943 ihrem Seelenführer: „Bereits seit meinem siebten Lebensjahr gehöre ich nicht mehr mir selber, weil ich mich total meinem himmlischen Bräutigam versprochen habe."



Ab 1920 übernimmt die strenge Tante Anna Murickal in Muttuchira die Erziehungsverantwortung und will eine standesgemäße Heirat einfädeln. „Als ich 13 Jahre alt war, wurde eine Ehe arrangiert. Was konnte ich dagegen tun? Ich betete die ganze Nacht hindurch. Dann kam mir eine Idee. Wenn mein Körper etwas entstellt wäre, würde mich niemand mehr haben wollen." Um ihre Ordensberufung zu retten, steckt sie ihren Fuß in einen Haufen glühender Kohlen. Ihr Beichtvater, Fr. James Muricken, vermittelt sie am 24. Mai 1927 als interne Studentin an die Franziskaner-Klarissen (Franciscan Clarist Congregation, F.C.C.) nach Bharananganam, wo sie am 2. August 1928 als Postulantin den Namen Alphonsa von der Unbefleckten Empfängnis annimmt und am 19. Mai 1930 durch Bischof James Kalacherry eingekleidet wird. Die restlichen 16 Ordensjahre sind von schwerer Krankheit und seelischem Leiden gezeichnet. Eine Woche nach der Zulassung zum Noviziat am 12. August 1935 erleidet sie einen Blutsturz aus Nase und Augen, eine schwere Organschwäche, an den Oberschenkeln öffnen sich eiternde Wunden. Nach einer Novene zum Diener Gottes, dem Karmelitenpater Kuriakose Elia Chavara – mit ihm zusammen wird sie von Papst Johannes Paul II. am 8. Februar 1986 im Stadion von Kottayam selig gesprochen –, erfolgt eine wunderbare und augenblickliche Heilung.



Ihre Ewige Profess am 12. August 1936 ist für sie ein Tag unaussprechlicher geistlicher Freude. Es war erreicht, was sie als 12-Jährige ihrer Schwester Elisabeth anvertraut hatte: „Jesus ist mein einziger Bräutigam, und kein anderer." Doch Jesus führt seine Braut durch ein Leben des Leids zur Vollkommenheit. Eine schmerzliche Krankheit folgt der anderen: Typhusfieber, doppelte Lungenentzündung, dramatischer Nervenschock, verursacht durch den Schreck, als ein Dieb in der Nacht des 18. Oktober 1940 in ihr Schlafzimmer eindringt. Ein Jahr lang kann sie weder lesen noch schreiben.



Freudig leidend



Eine Tumorerkrankung verwandelt ihr letztes Lebensjahr in eine Daueragonie, mit heftigen Würge- und Brechanfällen infolge der Schleimhautentzündung von Magen und Dünndarm: „Ich spüre, dass der Herr mich zum Opfer des Leidens bestimmt hat. Ich betrachte einen Tag, an dem ich nicht zu leiden habe, als einen verlorenen Tag."



Mit dieser Einstellung, ein Opfer der Liebe für den Herrn zu bringen, bleibt sie bis zum letzten Moment ihres Lebens glücklich. Immer trägt sie ein unschuldiges Lächeln auf ihren Lippen. Ruhig und froh endet ihr 36-jähriges irdisches Leben im Konvent von Bharananganam am 28. Juli 1946 um 12.30 Uhr. Es ist ein Sonntag. Kinder rufen es auf den Straßen: „Eine Heilige ist gestorben. Sie war eine Heilige. Sr. Alphonsa ist heilig." Ein Hindu-Mädchen mit einem Geschwür am Bein legt Kerzen an ihr Grab und ist am nächsten Morgen vollständig geheilt. Heiliggesprochen wurde

Sr. Alphonsa von Papst Benedikt am 12. Oktober 2008.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016