Ein Mensch in einer unmenschlichen Zeit

01. Januar 1900 | von

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as er genau gemacht hat, weiß ich bis heute nicht, aber unsere Namen wurden von der Liste der zu evakuierenden Personen gestrichen. Mit er ist Hans von Dohnanyi gemeint. Und eine jener Personen, die vermutlich zur Vernichtung in ein Konzentrationslager im Osten gebracht werden sollten, ist die neunundsiebzigjährige, in Basel lebende Jüdin Dorothee Fliess.

Evakuierung ins Ghetto. Der Vorfall, von dem sie im Jahre 2000 einer Mitarbeiterin der Berliner Morgenpost berichtete, ereignete sich im Sommer 1942. Seit Anfang dieses Jahres wusste die Familie des Rechtsanwalts Julius Fliess, dass sie sich zur Evakuierung aus Berlin bereithalten sollte. Dem Familienoberhaupt sei ein Platz im Altersghetto Theresienstadt zugeteilt, wie es höhnisch in dem amtlichen Schreiben hieß. Julius Fliess, der wegen seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg auch nach Beginn des Zweiten noch als Anwalt arbeiten durfte, war klar, was sich hinter Evakuierung verbarg. Verzweifelt suchte der berühmte Jurist nach einem Ausweg.
An dieser Stelle kam Hans von Dohnanyi ins Spiel. Dieser, selbst Jurist, verehrte Julius Fliess sowohl als Anwalt als auch als Menschen.Brillanter Fluchtplan. Von Dohnanyi, zu jener Zeit gleichzeitig Vorstand der Rheinisch-Westfälischen Bodenkreditbank und Sonderführer im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht, fasste einen ebenso dreisten wie brillanten Plan. Er erklärte Fliess, dessen Frau Hildegard, Tochter Dorothee und weitere elf Juden kurzerhand zu Spionen, die, als Juden getarnt, im Ausland für die deutsche Abwehr arbeiten sollten. In der Nacht zum 30. September reiste die vierzehnköpfige Gruppe mit dem Zug unbehelligt in die Schweiz aus. Wer war jener Mensch, der unter Missachtung seines eigenen Lebens Verfolgten half?Unauffälliges Leben. Hans von Dohnanyi wurde in eine großbürgerliche Wiener Familie geboren. Seine Eltern sind musische Menschen. Vater Ernö Pianist und Dirigent, Mutter Elisabeth Pianistin. Als Hans elf Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. Der Junge wuchs in Berlin auf, wo er das liberale Grunewaldgymnasium besuchte. Dort lernte er die Brüder Dietrich und Klaus Bonhoeffer kennen, die – ebenso wie er – später im Widerstand gegen Hitler eine Rolle spielen sollten.
Zunächst jedoch verlief von Dohnanyis Leben eher unauffällig. 1924 legte er das erste juristische Staatsexamen ab, anschließend erhielt er eine Anstellung am Institut für Auswärtige Politik in Hamburg. Ein Jahr später heiratete er Christine Bonhoeffer, die Schwester seiner Freunde aus der Zeit am Grunewaldgymnasium.Jurist im Dritten Reich. Im Jahr der Machtergreifung Hitlers, 1933, kam von Dohnanyi zum ersten Mal in Berührung mit der Justiz der Dritten Reiches. Justizminister Franz Gürtner entsendet den jungen Staatsanwalt als seinen persönlichen Beobachter an das Reichsgericht nach Leipzig, an dem der Prozess gegen Marinus von der Lubbe und drei Bulgaren in Sachen Reichstagsbrand verhandelt wird. In den folgenden Jahren lernte von Dohnanyi als persönlicher Referent Gürtners mit Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler und Hermann Göring die Spitzen des Dritten Reiches kennen. Gleichzeitig hatte er Zugang zu den geheimsten Unterlagen des Justizministeriums.
Im Zuge der so genannten Röhm-Affäre 1934 verlor von Dohnanyi den Glauben an die Unabhängigkeit der Justiz, da diese den Mord an dem missliebigen SA-Führer mehr oder weniger deckte. Er suchte Kontakt zum Widerstand gegen Hitler, gleichzeitig begann er mit dem Erstellen vertraulicher Dossiers über die Verbrechen des nationalsozialistischen Regime. Diese sollten bei dessen Sturz Grundlage für eine Anklage sein.Im Widerstand. Ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges streckte von Dohnanyi die Fühler in Richtung des militärischen Widerstandes um Ludwig Beck, Erwin von Witzleben und Hans Oster aus. Diese drei planten den Sturz Hitlers mit Hilfe der Wehrmacht. Gleichzeitig lernte er Julius Leber und Wilhelm Leuschner kennen, zwei führende Köpfe des sozialdemokratischen Widerstands.
Als sich die Zeichen verdichteten, dass der Krieg unmittelbar bevorstand, forderte Hans Oster von Dohnanyi für das Amt Ausland/Abwehr des militärischen Nachrichtendienstes an. Dessen Chef war der legendäre Wilhelm Canaris, der schon allein wegen seines Amtes über Vorgänge innerhalb und außerhalb des Deutschen Reiches hervorragend Bescheid wusste. Selbstverständlich war Canaris auch über die Mitglieder des Widerstandes gegen Hitler informiert. Obwohl selbst kein Aktivist, duldete der Geheimdienstchef das Vorgehen seiner Untergebenen Oster und von Dohnanyi.Der falsche Zeitpunkt. In der Folgezeit nahmen beider Pläne zum Staatsstreich immer konkretere Formen an. Die militärischen Erfolge gegen Polen und Frankreich ließen jedoch eingeweihten Generäle wie Franz Halder vom Umsturz absehen. Halder ordnete sogar an, alle diesbezüglichen Unterlagen zu vernichten. Ein Befehl, dem von Dohnanyi nicht nachkam. Mit fatalen Folgen.
Im zweiten Kriegsjahr nahmen die Verschwörer über einen Verbindungsmann und unter Vermittlung von Papst Pius XII Kontakt mit dem Kriegsgegner England auf. Sie wollten ihre Pläne außenpolitisch absichern. Wiederum zierten sich die Generäle zu handeln. Schließlich überrannte die Wehrmacht gerade erfolgreich Dänemark und Norwegen, ein Staatsstreich erschien nicht opportun.Inhaftierung. Wegen eines angeblichen Devisenvergehens wurde von Dohnanyi, schon seit langem im Visier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), am 5. April 1943 in seinem Dienstzimmer im Berliner Bendlerblock verhaftet und in verschiedenen Gefängnissen inhaftiert. Dem Leitenden Heeresrichter Karl Sack, ebenfalls Widerständler und nach dem geplanten Staatsstreich als Justizminister vorgesehen, gelang es das Verfahren zu verschleppen. Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler in dessen ostpreußischem Hauptquartier Wolfsschanze am 20. Juli 1944 wurden von Dohnanyis Verbindungen zu den Verschwörern bekannt. Seine Lage wurde hoffnungslos, als auch noch seine geheimen Unterlagen gefunden wurden, in denen die Verbrechen des Nazi-Regimes akkurat aufgelistet sind.Hinrichtung. Kurz vor der Götterdämmerung des braunen Terrors, am 8.oder 9.April 1945 – die Quellen nennen verschiedene Daten – wurde Hans von Dohnanyi nach einem SS-Standgerichtsverfahren im Konzentrationslager Sachsenhausen gehenkt. Zeitgleich starben im Lager Flossenbürg mit Canaris, Oster, Sack und Dietrich Bonhoeffer weitere führende Männer des deutschen Widerstandes durch die Hand des Henkers.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016