Ein mühsamer, aber beherzter Aufbruch

19. August 2024 | von

Die „Fachstelle Franziskanische Forschung“ in Münster beschäftigt sich in diesem Jahr unter anderem auch mit der franziskanischen Geschichte Österreichs. Eine kleine Artikelserie wird uns in den nächsten Monaten mitnehmen in das 800-jährige Jubiläum, auch wenn der erste Beitrag mit einer offenen Frage endet…

In diesem Jahr erinnern die Minderbrüder in Österreich an ihre Anfänge in der Stadt Wien vor 800 Jahren. Das Wiener Kloster begründet nicht nur eine seit annähernd acht Jahrhunderten bestehende franziskanische Präsenz in der Stadt, sondern gilt überdies auch als Keimzelle der Ordensprovinz Austria. Ein Jubiläum, das in unserer unsteten und schnelllebigen Gegenwart aufhorchen lässt und allemal wert ist, gefeiert zu werden. Doch was weiß die Ordensgeschichte über die Anfänge des Franziskanerordens im tief in der Vergangenheit liegenden Österreich des Hochmittelalters zu berichten? Eine historische Spurensuche zum Jubiläumsjahr soll uns zu den ersten Gefährten des heiligen Franziskus von Assisi, die Österreich für seine Gemeinschaft erschlossen, führen.
Das ist nicht ganz einfach, weil sehr frühe Quellen kaum überliefert sind, dafür aber viel später schreibende Ordenschronisten mit umso mehr barocker Phantasie das Wirken ihrer Vorgänger prunkvoll beschrieben haben. Indes, was können wir gesichert über die Ankunft und Anfänge franziskanischen Lebens in der Region des römisch-deutschen Reichs, die heute die Republik Österreich bildet, sagen?

Auf dem Weg nach Österreich
Unsere Suche nach den österreichischen Anfängen der Gemeinschaft um Franziskus beginnt in Assisi. Dort hatten sich zu Pfingsten 1221 die Brüder an der Portiuncula-Kapelle zu Füßen der Stadt zu ihrem jährlichen Kapitel versammelt, um gemeinsam über die anstehenden Probleme und Pläne zu beraten und zu entscheiden. Gegen Ende der Versammlung wandte sich Franziskus mit der Bitte an seine – die Quellen sprechen von 3.000 – Brüder, es mögen sich doch einige Mutige unter ihnen bereitfinden, nach Deutschland zu gehen, um den Menschen dort in Wort und Tat das Evangelium nahe zu bringen. Und tatsächlich folgten spontan 90 Brüder freiwillig Franziskus‘ Wunsch. Mit Cäsarius von Speyer ernannte das Kapitel einen Bruder zum Provinzialminister der künftigen Provinz Theutonia, der nicht besser für diese Aufgabe hätte geeignet sein können: Seiner Herkunft nach beherrschte er die deutsche Sprache, und seine theologische Ausbildung hatte er an der Pariser Universität, der Eliteschule schlechthin für Theologen in der lateinischen Kirche in dieser Zeit, absolviert. Nach mehreren Monaten intensiver innerer Vorbereitungszeit traf Cäsarius Ende September 1221 die von ihm unmittelbar nach dem Ordenskapitel ausgewählten 12 Kleriker- und 13 Laienbrüder in Trient. Unter ihnen befand sich auch Bruder Jordan von Giano, dem in der Geschichte der österreichischen Minderbrüder eine besondere Rolle zukommt, auf die noch einzugehen ist. Vor allem aber ist Bruder Jordan der Zeitzeuge, dem wir unser Wissen über die Ankunft und Anfänge des Franziskusordens im Reich nördlich der Alpen zum allergrößten Teil verdanken. Am Ende seines ereignisreichen Lebens als Minderbruder diktierte er auf Wunsch seiner jüngeren Mitbrüder 1262 seine Geschichte, die unmittelbar mit der Ausbreitung des Ordens im Stauferreich verknüpft war. 

Strapaziöse Reise
Von Trient aus schickte Cäsarius von Speyer die Brüder in Zweier- und Dreiergruppen nach Bozen, wo sie sich erneut sammelten, mit Erlaubnis des Trienter Bischofs predigten und alsbald wiederum in Kleinstgruppen weiter nach Brixen wanderten, wo sie aufs Neue vom Ortsbischof gütig aufgenommen wurden. Diese von Jordan geschilderte Vorgehensweise erwies sich in der Folgezeit bei der Erschließung des Reichs als äußert vorteilhaft für die Brüder, da eine kleine Gruppe eine leichtere Versorgung und Unterbringung versprach als eine Großgruppe. Schließlich blieben die Minderbrüder aufgrund ihrer freiwillig gelebten Armut doch stets auf Almosen und Gastfreundschaft der Menschen auf ihrem Weg angewiesen. Anschaulich schildert der Chronist Jordan die Strapazen und Unsicherheiten, denen die Brüder besonders bei der Alpenüberquerung ausgesetzt waren: „Von Brixen stiegen sie in die Berge und erreichten nach dem Mittagessen der Leute Sterzing. Die Leute hatten gerade kein Brot zur Hand, und die Brüder verstanden nicht zu betteln. Denn sie hofften, abends an einen Ort zu kommen, wo man sie menschlich mildtätig stärken würde. So kamen sie nach Mittenwalde (mittelalterlicher Namen für den Brennerpass), wo sie in großer Notlage mit zwei Bissen Brot und sieben Rüben ihren Hunger und ihren Durst erbärmlich stillten.“ Und weiter berichtet Jordan: „Um nach der Anstrengung von sieben Meilen eine ruhige Nacht zu verbringen, beschlossen sie, vom Wasser des vorbeifließenden klaren Bachs zu trinken, damit der leere Bauch nicht knurre. Am Morgen aber standen sie mit Hunger und Leeregefühl auf und nahmen ihre Wanderung wieder auf.“ Was Jordan nicht eigens erwähnt, weil es für die Brüder selbstverständlich war: Sie liefen barfuß nach Deutschland, wo man ihnen vielerorts wegen dieser Gewohnheit bald den Namen „Barfüßer-Brüder“ verlieh. Angesichts dieser äußerst entbehrungsreichen Reise ist es umso erstaunlicher, dass sich ihnen weitere Männer spontan anschlossen, denn als sie Augsburg Mitte Oktober 2021 erreichten, war die Schar auf 31 Brüder angewachsen. In der Bischofsstadt sammelten sich die Brüder zu ihrem ersten Provinzkapitel, auf dem sie sich über das weitere buchstäbliche Vorgehen abstimmten. 

Kurzaufenthalt in Salzburg
Wiederum in kleine Gruppen aufgeteilt, zogen sie auf Geheiß ihres Provinzials Cäsarius alsbald in alle Himmelsrichtungen weiter. Unter der Führung des Jordan von Giano liefen der aus Ungarn stammende Bruder Abraham sowie ein nicht weiter bekannter Bruder namens Konstantin nach Salzburg, wo sie vom dortigen Ortsbischof freundlich aufgenommen wurden, wie Jordan lapidar bemerkt. Eine dauerhafte Ansiedlung gelang ihnen freilich nicht. Als die Salzburger Brüder im Folgejahr nicht auf dem Provinzkapitel erschienen waren, ließ der Provinzial ihnen ausrichten: „Sie sollten zu ihm kommen, wenn sie wollten.“ Im Gehorsam machten sich die Brüder auf den Weg, kehrten aber nicht nach Salzburg zurück, was für die erste Phase der franziskanischen Ausbreitung im Reich durchaus nicht ungewöhnlich war, hingegen aber schon, dass es während des gesamten Spätmittelalters in dieser wichtigen Bischofsstadt nicht zu einer erfolgreichen Gründung kam. Erst sehr viel später, 1583, gelang es den Franziskanern, dort einen Konvent zu etablieren. Bleibt die einstweilen offene Frage: Wann und wo konnten sich die Minderbrüder denn in Österreich festsetzen?

Zuletzt aktualisiert: 19. August 2024
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