Ein neues Kapitel für Guarambaré

10. Juni 2024 | von

Die Mission der Franziskaner-Minoriten in der paraguay-ischen Kleinstadt ist heute Kern- und Mittelpunkt eines Projektes zur menschlichen, spirituellen und sozialen Förderung, die bei den Kindern und Jugendlichen beginnt und sich positiv auf die ganze Gemeinde auswirkt. 

Manuelito schlürft eine Spaghetti in seinen Mund, Luis versinkt fast mit seiner Nase in einem Glas Orangensaft, während Maria, die sicher noch keine acht Jahre alt ist, ihrem einjährigen Brüderchen beim Essen hilft. Um sie herum herrscht lebhaftes Treiben, ein Gewusel von Kindern – es wird geredet, gelacht und gespielt. Br. Marek Wilk, der polnische Pfarrer, der hier von allen nur Marcos genannt wird, genießt das Schauspiel rund um die vor der Mensa „Marcelino Pan y Vino“ aufgebauten und gedeckten Tische. Die 100 kleinen Gemeindemitglieder, die jeden Tag hierher kommen,  um zu essen, aber auch, um Hausaufgaben zu machen und zu spielen, sind heute in Festtagsstimmung. Ein kleines Stück Zukunft für Paraguay beginnt hier, in dieser kleinen Mensa in Guarambaré, einer Stadt in der Peripherie, 34 Kilometer von der Hauptstadt Asunción entfernt. Der Grundstein für diese Zukunft wurde schon vor langer Zeit gelegt und wird nun durch unser von den Menschen hier seit Langem ersehnten Sozial-Projekt zum Fest des hl. Antonius am 13. Juni konkrete Formen annehmen.  

Das Land
Paraguay ist ein kleines und relativ junges Land. Das Durchschnittsalter der Menschen hier liegt bei unter 32 Jahren und 22 %
der 7,4 Millionen Einwohner sind sogar jünger als 14 Jahre. 
Die ehemalige spanische Kolonie hat ihre Wurzeln in der alten Guaraní-Kultur. Im Zentrum Südamerikas gelegen, eingebettet zwischen Brasilien, Bolivien und Argentinien und durchzogen von den größten schiffbaren Flüssen des Subkontinents, hat es eine strategische Lage, die es für andere Nationen sehr interessant macht und leider auch einen regen illegalen Handel, insbesondere den Drogenhandel, anzieht. Das tropische Klima im Südosten, wo der größte Teil der Bevölkerung lebt, geht nach Westen hin in ein halbtrockenes Klima über, wo sich die große Chaco-Hochebene befindet, die 60 % des Landes ausmacht. Das verfügbare Land wird in Latifundien kultiviert, und für die einheimischen Landwirte bleibt nur wenig übrig, die Ernährung der Bevölkerung ist also nicht immer gesichert. Erschwerend kommt hinzu, dass Korruption in allen Bereichen des staatlichen Systems, welches die Armut der Bevölkerung nicht in den Griff bekommt, weit verbreitet ist. Die Kluft zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen scheint unüberbrückbar zu sein, und die Dienstleistungen von Schulen bis zur Gesundheitsversorgung sind auf ein Minimum reduziert: ein verfallenes Paradies, in dem Millionen von jungen Menschen und Kindern leben.

Die Mission der Brüder
Die Franziskaner-Minoriten kamen im Februar 2001 nach Guarambaré, um die Betreuung der Pfarrei Natividad de Maria in der Diözese San Lorenzo zu übernehmen, die sich über 17 Kirchen und Kapellen erstreckt. Im Vergleich zu Asunción ist es hier eine andere Welt. Wie in allen ländlichen Gebieten des Landesinneren ist die Armut groß, und das dadurch entstehende Unbehagen schlägt sich häufig in Drogensucht, Alkoholismus und Gewalt in den Familien nieder. Besonders schwerwiegend ist die Situation für die jungen Menschen, von denen viele eine schlechte Ausbildung und wenig Arbeitsmöglichkeiten haben, was nicht wenige dazu bringt, im Illegalen ihr Glück zu suchen. Dann gibt es noch das Problem der vielen alleinerziehenden Mütter, die ohne jegliche Mittel für ihre Kinder sorgen müssen. Dennoch haben diese Menschen eine Würde, die Br. Marcos von Anfang an sehr beeindruckt: „Guarambaré ist eine alte Stadt, die 1538 von den Franziskanern gegründet wurde. Es sind einfache, bescheidene Menschen, verwurzelt in ihren Traditionen und ihrer Kultur, die hart arbeiten und sich ihr tägliches Brot im Schweiße ihres Angesichts verdienen.“ Trotzdem ist die Arbeit knapp und wenig lukrativ: „Die Frauen arbeiten als Dienstmädchen in den Häusern der Reichen, die Männer meist auf dem Bau, aber viele verdienen ihren Unterhalt als fliegende Händler, indem sie zum Beispiel Obst auf den Straßen von Asunción verkaufen.“ Nur wenige haben eine staatliche Anstellung oder einen sicheren Job bei einem Unternehmen. 
„Es war hilfreich, dass ich Franziskaner-Minorit bin, um leicht in Kontakt zu den Menschen zu kommen und ihr Vertrauen zu gewinnen“, sagt Br. Marcos. Denn die Franziskaner und die Einheimischen haben eine lange gemeinsame Geschichte: Guarambaré ist eines von 52 franziskanischen „reducciones“, also Dörfern, die von den ersten Missionaren im 16. Jahrhundert gegründet wurden. Es waren auch die Franziskaner in Paraguay, die den ersten Katechismus der katholischen Kirche in die Guaraní-Sprache übersetzten und damit einen Grundstein legten für den tiefen Glauben der Menschen vor Ort. 

Junge Menschen im Mittelpunkt
Br. Marcos, der heute mit Br. Marcos Dubanik, der ebenfalls aus Polen stammt, und Br. Carlos Jara aus Paraguay zusammenarbeitet, war einer der ersten Minoriten vor Ort. Die Arbeit ist sehr umfangreich, aber die Brüder fangen nicht bei Null an, denn vor ihnen hatten die Franziskaner (OFM), die bis 1989 hier lebten, einige soziale Werke begonnen. Die neue Leitung der Pfarrei zielte von Anfang an darauf ab, die Zukunft der Kinder und Jugendlichen zu verändern, und zwar mit einem starken Bildungsangebot, der Verbesserung und Erweiterung der schulischen Infrastruktur und sogar mit dem Versuch, vor etwa 15 Jahren eine Zweigstelle der Katholischen Universität von Asunción nach Guarambaré zu bringen: „Das Bildungs-system in Paraguay gehört zu den schlechtesten der Welt“, erklärt Br. Marcos, „sowohl was die Strukturen als auch die Organisation angeht, aufgrund von schlechtem Management und weit verbreiteter Korruption. Die Zahl der Schulabbrecher ist sehr hoch, und selbst für diejenigen, die die Schule besuchen, ist das Niveau der Vorbereitung schlecht. Heute haben wir in der Pfarrei eine Schule und ein Internat, in denen 1.200 Kinder und Jugendliche lernen, während weitere 700 die Universität besuchen können. Es ist erwähnenswert, dass die Caritas Antoniana uns auch bei diesem Vorhaben in unserer Pfarrei unterstützt hat, indem sie uns 2013 beim Bau von drei Klassenzimmern für die Grundschule geholfen hat.“ 

Die Entstehung des „Comedor“
Im gleichen Zeitraum werden die karitativen Aktivitäten in mehreren Bereichen ausgebaut. Im Jahr 2006 wird eine örtliche Einrichtung der Caritas ins Leben gerufen, hauptsächlich, um die Grundversorgung zu garantieren: Nahrung, Kleidung, Medikamente. Aber erst die Einrichtung einer kleinen Mensa im Jahr 2016 bringt eine unerwartete Veränderung im Leben der Pfarrgemeinde. Am 28. Dezember jenes Jahres, nicht ohne Grund dem Tag der Unschuldigen Kinder, eröffnen die Brüder das „Comedor“, das Sozialzentrum „Marcelino Pan y Vino“, für die 60 ärmsten Kinder der Gemeinde, diejenigen, die in den „asentamientos“, einer Art improvisierten Hüttendörfern, leben. 
„Wir wollten sie nicht nur ernähren, sondern auch vor den vielen Gefahren der Slums bewahren.“ Und in der Tat war die Mensa bald auch nachmittags für eine Vielzahl von Aktivitäten geöffnet, nicht nur nach der Schule und für den Katechismus, sondern auch für Gesundheits- und Zahnpflegeerziehung, Impfungen, Spiele und Feste. „Gerade bei den Festen lernten wir die Eltern kennen und verstanden die vielen familiären Probleme, die von Ernährung bis zu rechtlichen Fragen reichten. Glücklicherweise hatten wir immer viele Freiwillige, die es uns ermöglichten, Dienste auf verschiedenen Ebenen zu organisieren und Lebensmittel und wichtige Materialien zur Verfügung zu stellen. In den letzten Jahren konnten wir dank der Anwesenheit unserer jungen Leute an der Universität auch spezialisierte Dienste einrichten, z. B. juristische oder psychologische Dienste.“ All dies geschieht in Zusammenarbeit mit der diözesanen Caritas rund um diese kleine Mensa herum. 

Die Pandemie
Ein weiterer Wendepunkt ist die Corona-Pandemie: Im März 2020 muss das Sozialzentrum „Marcelino Pan y Vino“ seine Pforten schließen, was die Menschen, die inzwischen auch ihre prekären Arbeitsplätze verloren haben, fast in die Verzweiflung treibt. Die Brüder bitten die Behörden um Erlaubnis, und im April wird das Zentrum wieder in Betrieb genommen. Dank der Hilfe der Schwestern von St. Isabel wird außerhalb des Gebäudes ein Kantinendienst eingerichtet, der bis heute für die Armen der Gemeinde in Betrieb ist, während im Sozialzentrum nicht mehr nur 60, sondern 100 Kinder Zugang zu ihrem Essen und ihrem gestalteten Nachmittag haben, der immer reicher an Anreizen, Aktivitäten und Möglichkeiten wird. Zur Zeit der Pandemie wird die Pfarrei zusammen mit den städtischen Behörden auch zum Sitz des Notfallkomitees, in ihren Räumlichkeiten werden Lebensmittel und Materialien für die Verteilung gesammelt, während die Freiwilligen der Pfarrei die Hilfsgesuche entgegennehmen und die Waren sortieren. Ein Zeichen dafür, dass die Pfarrei ein Bezugspunkt im Leben der Stadt geworden ist.

Das Projekt
„Tag für Tag steigt die Zahl der Anfragen nach Hilfe“, sagt Br. Marcos, „und es ist jetzt klar, dass wir einen Quantensprung machen müssen. Unser Traum ist ein größeres Gebäude mit einer Küche und einer größeren Mensa, in der alle Kinder untergebracht werden können, die es brauchen. Eine Einrichtung, die auch mit Büros und Praxen ausgestattet ist, in denen wir die zahlreichen Dienstleistungen organisieren können, die wir der Gemeinschaft schon heute, allerdings auf informelle und eher improvisierte Weise, anbieten. Ein multifunktionales Zentrum, in dem die Gemeinschaft zusammenkommen kann, um in größeren Dimensionen zu denken. Zu Ehren dieser ersten Keimzelle der Gemeindearbeit, dem „Comedor“, werden wir den Namen beibehalten und es „Sozialzentrum Marcelino Pan y Vino“ nennen. Das ist der Traum, den wir gemeinsam mit Ihnen zum Fest des Heiligen Antonius verwirklichen möchten.“
Br. Marcos hat viele gute Erinnerungen an seine Gemeindemitglieder. Einige haben sein Leben verändert. „Ninfa war ein Teenager voller Glauben und Leben. Sie hatte viele Pläne und glaubte an die Zukunft, so sehr, dass sie Leiterin einer Jugendgruppe wurde. Dann wurde sie schwerkrank. Wenige Tage vor ihrem Tod besuchte ich sie, und während wir über ihre Genesung sprachen, über all die Dinge, die wir gemeinsam tun wollten, begrüßte sie mich mit den Worten des Psalms: ‚Was du mit Tränen säst, wirst du mit Gesang ernten.‘ Worte, die mich geprägt haben.“ Aber Hoffnung findet man dort, wo man sie am wenigsten erwartet: „Eines Tages, als ich in Asunción einige Dinge zu erledigen hatte, kam ein junger Mann auf mich zu und fragte mich, ob ich ihn wiedererkennen würde. Er war Schüler an unserem Internat. Ich fragte ihn, was er dort mache. Er erzählte mir aufrichtig, dass er frühmorgens mit seinem Vater gekommen sei, um auf der Straße Obst zu verkaufen, und dass sie mittags aufhörten, um rechtzeitig nach Hause zu kommen, damit er sich für das Internat fertig  machen und abends lernen kann. Jeden Tag lerne ich von ihnen, sich von sinnlosen Problemen zu distanzieren und das Beste aus dem Leben zu machen, das ein kostbares Geschenk ist. Alles, was wir mit selbstlosem Herzen für andere tun, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, hat seine Daseinsberechtigung, weil es über uns hinausgeht, uns transzendiert und uns zu demjenigen zurückführt, der allen Dingen einen Sinn gibt.“

 

Das Projekt Sozialzentrum „Marcelino Pan y Vino“
Notwendige Arbeiten/Leistungen:
–    Bau, Einrichtung aller Strom- und Wasserleitungssysteme und Ausstattung des Zentrums
–    Möbel und sonstige Ausstattung
Gesamtkosten: 
Bau    € 142.350
Möbel    € 6.300
Örtliche Zuschüsse    € 14.250
Angefragte Hilfe    € 134.400
Voraussichtliche Bauzeit: 5 Monate  

Zuletzt aktualisiert: 10. Juni 2024
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