Ein Ort der Begegnung in Umbrien
Die Portiunkula-Kapelle, die sich heute in der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi befindet, war der Ort, an dem sich Antonius und Franziskus im Jahr 1221 beim Mattenkapitel zum ersten Mal begegneten.
Kein Heiligtum entsteht grundlos an einem bestimmten Ort, sondern wird an Stellen errichtet, an denen bestimmte Ereignisse oder Begegnungen stattfanden. An diese soll dann durch eine Kirche, Kapelle oder gar Basilika erinnert werden. Jedes Heiligtum, jeder Wallfahrtsort ist deshalb auch ein Zeichen für die Gegenwart Gottes, der sich an diesem Ort ganz konkret gezeigt hat. Das gilt auch für die Portiunkula-Kapelle, das winzige Kirchlein, das man heute im Innern der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi bewundern kann. Klein und kompakt, fast schmucklos ist die Portiunkula im Vergleich zu der pompösen Basilika, die auf den Wunsch von Papst Pius V. extra dafür erbaut wurde, um in ihrem Inneren diese kleine Kapelle wie „eine kostbare Perle“ zu beherbergen (ebenso wie die Kapelle des Heimgangs und die des Rosengartens).
Geschichtsträchtiger Ort
Ihren Namen hat das Kapellchen von dem Ort, an dem sie erbaut wurde, eben Portiuncula, wörtlich übersetzt „kleines Landstückchen“. Errichtet wurde sie im 4. Jahrhundert von Eremiten aus Palästina, und man erzählt, dass sie im Jahr 516 vom heiligen Benedikt und seinen Mönchen in Besitz genommen wurde. Aber von der Geschichte und der dichten Spiritualität dieses winzigen Landkirchleins, das damals in einem Waldgebiet lag, sprechen auch die einfachen Steine, die von Franziskus und seinen ersten Gefährten von Hand vom Monte Subasio herunter transportiert wurden, als sie versuchten, das ursprüngliche Kirchlein zu restaurieren, das viele Jahre lang verlassen und ziemlich verfallen war.
Franziskanische Ursprünge
Die Portiunkula ist ein weniger wichtiger Ort, wenn man sie als Teil eines Ganzen sieht. Aber sie ist ein Ort, der eben gerade wegen dieser „Unwichtigkeit“ das Herz der franziskanischen Bewegung birgt. Hier kommt alles zur Vollendung. Und hier hat alles seinen Ursprung.
Als Franziskus zur Portiunkula kam, war er in jener Phase, die auf seine erste Bekehrung (gekennzeichnet durch die Begegnung mit dem Aussätzigen, den Dialog mit dem Kreuz von San Damiano und den Verzicht auf die väterlichen Güter) folgte und in der er als Büßer unter dem Schutz des Bischofs und im Dienst der Kirche lebte, kleine Landkirchen restaurierte und sich um die Leprosen kümmerte. Die Portiunkula ist auch einer der drei Orte, die Franziskus im Auftrag des Kreuzes von San Damiano reparierte: „Franziskus, geh und baue meine Kirche wieder auf, die ganz verfallen ist.“ Mehr noch: Es war genau an diesem Ort, wo Franziskus durch aufmerksames und gehorsames Hören auf das Wort Gottes die wahre Bedeutung seiner Berufung in der Kirche bewusst wurde. In diesen ärmlichen Mauern gründete Franziskus im Jahr 1209 den Orden der Minderen Brüder, den er dem Schutz der Jungfrau Maria empfahl, der das Kirchlein geweiht ist. Und eben dort erhielt am 28. März 1211 Chiara di Favarone di Offreduccio von dem Heiligen ihren Habit – das war der Beginn des Ordens der Armen Frauen (Klarissen). Und ebenfalls hier erhielt Franziskus im Jahr 1216 von Jesus, der ihm in einer Vision erschienen war, den von Papst Honorius III. genehmigten sogenannten „Portiunkula-Ablass“, der jedem, der diesen Ort besuchte, unter bestimmten Voraussetzungen den Ablass seiner Sünden gewährte. Und letztlich endete hier auch das weltliche Leben des heiligen Franziskus, der hier, nackt auf dem bloßen Steinboden liegend, am 3. Oktober 1226 singend Schwester Tod erwartete.
„Das erste Mal, als ich dieses Kirchlein sah, war ich noch ein Jugendlicher,“ vertraut mir Br. Massimo Travascio OFM an, der Kustos der Portiunkula, „ich war zu einem Gebetstreffen nach Assisi gekommen und hätte nie im Leben gedacht, dass ein auf den ersten Blick doch recht anonymer Ort mich so verzaubern und in seinen Bann ziehen könnte. Die Portiunkula enthält in sich die gesamte Bedeutung der Person und der Werke des Franziskus.“
Antonius trifft Franziskus
In diesem Kirchlein vereinte der Mann aus Assisi jedes Jahr seine Brüder zum Kapitel, jenen Zusammenkünften, bei denen alle gemeinsam die Regel diskutierten und von denen aus sie dann, gestärkt und neu motiviert, loszogen, um das Evangelium zu verkünden. Während eines dieser Kapitel, zwischen dem 30. Mai und dem 8. Juni 1221, traf Antonius den heiligen Franziskus: „Um diese Zeit wurde entschieden, das Generalkapitel in Assisi zu vereinen. Antonius, der davon von den Brüdern in Messina erfuhr, erreichte, da er sich kräftiger zeigte, als er in Wirklichkeit war, irgendwie den Ort des Kapitels“ (aus der Assidua). Und wieder einmal wird die Portiunkula zum Ort des Beginns, der Neuerung. Hier sah und hörte Antonius Franziskus zum ersten Mal. „Es ist nicht sicher, ob sich Franziskus und Antonius wirklich persönlich begegnet sind“, erklärt Br. Massimo, „Antonius war ja schließlich nur einer von Vielen. Sicher ist, dass Antonius Franziskus sah und ihn sprechen hörte und sich am Ende des Kapitels Bruder Graziano von Bagnocavallo und anderen Brüdern aus der Romagna anschloss, die ihn baten, mit ihnen in die Einsiedelei von Montepaolo auf den Hügeln von Forlì zu kommen, nachdem sie erfahren hatten, dass er Priester und Theologe war.“
Franziskus und Antonius, zwei spirituelle Leben im Zeichen von Predigt und Gehorsam. Alles hat einen Beginn und einen Abschluss und verwirklicht sich sozusagen in einer spirituellen Umarmung an dem Ort ihrer Begegnung, eben der Portiunkula. Wie kann man da nicht, damals wie heute, der Einladung des Franziskus folgen, diesen Ort zu schützen: „Meine Kinder, hütet euch davor, diesen Ort jemals zu verlassen. Solltet ihr an einer Stelle verjagt werden, kommt an einer anderen wieder zurück, denn dieser Ort ist wahrhaft heilig und hier wohnt Gott […]. Deshalb, meine Kinder, schätzt diesen Ort, das Haus Gottes, mit allen Ehren und eurem ganzen Herzen, singt mit jubelnder Stimme hier das Lob des Herrn.“