Ein Schiff, eine Gedenksäule, ein Dogma
Eine Glaubenswahrheit wird oft als ein trockener Lehrsatz betrachtet. Die Kirche aber hat sich immer bemüht, Dogmen im Leben der Gläubigen auf vielfältige Weise präsent werden zu lassen, wie das der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria.
Im Sommer des Jahres 1859 lief in einer englischen Schiffswerft eine Dampfkorvette vom Stapel. Das von den „Thames Iron Works“ in Blackwall erbaute Schiff besaß eine Wasserverdrängung von 652 Tonnen und verfügte über drei Maste (Kreuzmast, Besanmast und Bugspriet) und einen modernen Propellerantrieb (150 HP). Niemand geringerer als Pius IX. (Giovanni Maria Mastai Ferretti, 1846-1878), das Oberhaupt der katholischen Kirche und Souverän des Kirchenstaates, hatte den Bau der imposanten Korvette in Auftrag gegeben. Sie war vom Papst zum Flaggschiff der kleinen, aber historisch bedeutsamen päpstlichen Marine bestimmt worden. Ende August trat es die Fahrt ins Mittelmeer an und ging dann im Hafen von Civitavecchia vor Anker. Im Marienmonat Oktober taufte es der Pontifex auf den Namen „Immacolata Concezione – Unbefleckte Empfängnis”. Die ungewöhnliche Namenswahl bezeugte die besondere Verehrung, die der selige Pius IX. gegenüber der Muttergottes pflegte, und sollte an ein Ereignis erinnern, das erst knapp fünf Jahre zurücklag.
Am 8. Dezember 1854 hatte der Papst in Anwesenheit von 500 Bischöfen und 42 Kardinälen in Sankt Peter das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens definiert. Mit der Apostolischen Bulle „Ineffabilis Deus“ bekräftigte der Papst eine alte Glaubensüberzeugung der Kirche: „Wir verkünden und bestimmen in der Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und in Unserer eigenen: Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb.“ Das Dogma wurde in der ganzen katholischen Welt mit Freude aufgenommen. Die marianische Volksfrömmigkeit erfuhr eine Belebung und Stärkung. In Rom und überall auf dem Erdball wurden Kirchen und Kapellen, Altäre, Denkmäler, Statuen und fromme Anstalten zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis gestiftet; neue Ordensgemeinschaften und fromme Vereinigungen entstanden, die die Glaubenswahrheit in ihrem Namen trugen.
Monument illustriert Dogma
In der Ewigen Stadt ließ der Papst auf der Piazza di Spagna eine Gedenksäule mit einer Marienstatue errichten. Die antike, fast zwölf Meter hohe Marmorsäule war 1777 bei Grabungen auf dem Campo Marzio in der Nähe des Klosters S. Maria della Concezione gefunden worden. Die Bronzefigur von Giuseppe Obici, die das Säulenmonument schmückt, zeigt die Muttergottes auf einer Erdkugel stehend, unter ihren Füßen die Schlange. Die Statue fertigte man nach der Beschreibung der heiligen Catherine Labouré (1806-1876) an. Die französische Seherin hatte im Jahre 1830 eine Vision von der Glaubenswahrheit der Unbefleckten Empfängnis Mariens erhalten.
Unter der Mithilfe von 220 römischen Feuerwehrleuten wurde die Säule im Dezember 1856 aufgerichtet (bis zum heutigen Tag besorgen die „Vigili del Fuoco“ alljährlich den Blumenschmuck zum 8. Dezember). Ein Jahr später begab sich der selige Pius IX. mit einer großen Schar kirchlicher Würdenträger und dem beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps zur Piazza di Spagna und nahm in eigener Person die feierliche Weihe des Monuments vor.
Die Mariensäule besitzt noch einen weiteren historischen Hintergrund. Das Königreich beider Sizilien war seit Jahrhunderten ein Lehen der Kirche gewesen und zeichnete dem Heiligen Stuhl gegenüber tributpflichtig. Der Tribut wurde zwar seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts verweigert, aber vom Heiligen Stuhl Jahr für Jahr am Fest der Apostelfürsten noch immer symbolisch eingefordert. König Ferdinand II. von Neapel bot dem Papst 1855 eine „Abfertigungssumme“ von 10.000 Scudi an – zur Finanzierung der Mariensäule auf dem Spanischen Platz. Der Papst antwortete auf das Angebot des Monarchen mit einem Lächeln, nahm es höchstbefriedigt an und erklärte im Namen der Gottesmutter den „Konflikt“ zwischen dem Königreich und dem Heiligen Stuhl für beendet.
Blumen für Maria
Seit 1953 pflegen die Päpste den Brauch, sich am Nachmittag des 8. Dezembers zur Säule der Unbefleckten Empfängnis zu begeben. Nach der Übergabe eines Blumengebindes wenden sie sich dann im Gebet vertrauensvoll an die Jungfrau und Mutter des Herrn. Bisher vermochten nur Krankheiten die römischen Oberhirten von diesem Besuch abzuhalten. Als die Ölkrise von 1973 der Ewigen Stadt ein Fahrverbot für Autos bescherte, ließ Paul VI. am Hochfest der Muttergottes einen alten Einspänner aus den Magazinen des Apostolischen Palastes hervorholen und fuhr mit ihm zur Piazza di Spagna.