Ein Schweizer Bischof in Arabien
Bischof Paul Hinder OFM Cap., Apostolischer Vikar von Arabien, leitet die flächenmäßig größte Diözese der Welt. Kein leichtes Amt, denn ihm ist ein kompliziertes Kirchengebilde anvertraut.
In dem sechs Staaten umfassenden Bistum leben nahezu 3 MillionenChristen, fast ausschließlich Gastarbeiter aus aller Welt und mit unterschiedlicher Rituszugehörigkeit.
Manche Gläubige in Europa mögen sich fragen, was denn ein Bischof in Arabien zu tun habe, wo es doch dort keine Christen gebe. Dieses häufig anzutreffende Vorurteil ist schlichtweg falsch. Auf der arabischen Halbinsel leben allein 2 Millionen Katholiken, und sie werden durchaus nicht daran gehindert, ihrem Glauben nachzugehen. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begann in Aden, im heutigen Jemen, zuerst mit den Serviten und bald danach mit den Kapuzinern, eine missionarische Präsenz. Trotz mancherlei Schwierigkeiten im Laufe ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte dauert sie an und trägt ihre Früchte.
Aus aller Herren Länder. Wer allerdings erwartet, es seien in dieser Zeit viele Muslime Christen geworden, wird den sozio-politischen Gegebenheiten in der Heimat Mohammeds nicht gerecht. Wegen der Gesetzgebung in den muslimischen Ländern dieser Region zögen Konversionen soziale Ausgliederung und die Gefährdung der pastoralen Arbeit der Kirche vor Ort nach sich. Der wirtschaftliche Aufschwung in der Region des persischen Golfes während der letzten Jahrzehnte brachte Millionen von ausländischen Arbeitskräften in die Region. Im Apostolischen Vikariat von Arabien – bestehend aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Katar, Oman, Saudi Arabien und Jemen – leben unter den 60 Millionen Einwohnern schätzungsweise 15 Millionen Ausländer. Davon sind rund 2 Millionen Gläubige katholischen Bekenntnisses. In Kuwait, das 1954 als selbständiges apostolisches Vikariat errichtet wurde, leben unter den insgesamt 3,5 Millionen Einwohnern rund 400.000 Katholiken aus aller Herren Länder. Unsere Christen stammen mehrheitlich aus den Philippinen und dem indischen Subkontinent. In den prosperierenden Golfstaaten kann man in den Großpfarreien von Dubai, Abu Dhabi oder Doha Gläubige aus 80 und mehr Ländern der Erde finden. Obwohl es keine einheimischen Christen gibt, ist die Zahl der arabisch sprechenden Gläubigen dennoch ansehnlich. Sie stammen vor allem aus dem Libanon, Syrien, Palästina, Jordanien, Irak und anderen Ländern, wo es seit vorislamischer Zeit überlebende christliche Minderheiten gibt. Auch die Zahl der Christen aus westlichen Ländern ist nicht zu unterschätzen.
Vielfalt der Riten. Die Apostolischen Vikariate von Arabien und Kuwait unterstehen direkt dem Papst, beziehungsweise der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Kraft einer Entscheidung des Heiligen Stuhles im Jahre 2003 steht deren beiden Bischöfen exklusiv die Jurisdiktion für alle katholischen Gläubigen zu, also auch für diejenigen, welche den katholischen Ostkirchen angehören. Wir haben dabei die Pflicht, in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Patriarchen oder Großerzbischöfen, die pastorale Sorge auch für diese Gläubigen in ihrem Ritus zu garantieren. Das betrifft vor allem die zahlenmäßig am stärksten vertretenen Katholiken des syro-malabarischen und syro-malankarischen Ritus (beheimatet in Kerala, Indien) sowie der maronitischen Kirche (Libanon). Die einzelnen Riten- und Sprachgruppen bilden dabei trotz einer gewissen „Eigenversorgung" jeweils eine einzige Pfarrei unter der Verantwortung des zuständigen Pfarrers.
Gedränge im Gotteshaus. Die rund 20 Pfarreien des Apostolischen Vikariates von Arabien weisen je nach Land eine unterschiedliche Struktur auf. Die Mega-Pfarreien in den großen Städten am Persischen Golf unterscheiden sich stark von den vier Kleingemeinden im Jemen. Je größer die Pfarrei, desto bunter ist die Gemeinschaft, was die soziale Schichtung, die Sprach- und Nationalitätengruppen oder die Rituszugehörigkeit betrifft. Die meisten Gläubigen arbeiten auf den riesigen Baustellen der Region, als Hausangestellte, als Verkaufspersonal oder im Hotelgewerbe.
Es gibt aber auch eine recht große Zahl von Gläubigen, die in den Unternehmen, den Schulen, den Spitälern, im Bankgewerbe oder in freien Berufen eine bessere Stellung haben. Abgesehen davon, dass die Religions- und Kultusfreiheit in den einzelnen Ländern unterschiedlich begrenzt ist, können viele Männer und Frauen auch deshalb nicht zum Gottesdienst kommen, weil sie an den betreffenden Tagen arbeiten müssen oder sich die Transportkosten zur nächsten Kirche nicht leisten können. Der islamischen Wochenordnung wegen feiern wir die allgemeinen Pfarrgottesdienste außer an den Randzeiten am Sonntag, der hier ein normaler Arbeitstag ist, vor allem noch am Freitag. Die wenigen Kirchen sind an diesen Tagen in praktisch allen Gottesdiensten überfüllt. Nicht wenige Gläubige kommen gar nicht mehr zur Messe, weil sie das Gedränge nicht aushalten.
Laien hoch motiviert. Die stark sakramental geprägte Seelsorge in den sechs Ländern des Vikariates liegt in den Händen von rund 55 Priestern, von denen etwa zwei Drittel dem Kapuzinerorden angehören. Diesem ist der riesige Kirchensprengel schon vor 140 Jahren anvertraut worden. Um der vielschichtigen Realität so gerecht wie nur möglich zu werden, stammen die Priester aus verschiedenen Ländern und Sprachgebieten. Zudem gehören einige den oben erwähnten Riten-Kirchen an. Im babylonischen Sprachengewirr dient das Englische auch als Kirchensprache. Es werden aber – je nach Herkunft oder Sprachbegabung der Priester – Gottesdienste auch in anderen Sprachen gefeiert: Tagalog (Philippinen), Malayalam (Kerala), Arabisch, Konkani (Goa und Mangalore), Tamilisch (Tamil Nadu), Singalisch (Sri Lanka), um nur einige wichtige zu nennen.
Die ganze Pastoral wäre undenkbar, wenn nicht unzählige Frauen und Männer in den Gemeinden Freiwilligenarbeit leisten würden. Das betrifft die Animation der vielen Gebetsgruppen und Vereine, die in manchen Fällen so etwas wie die Rolle von Basisgemeinden übernehmen. Auch die Katechese der über 20.000 Kinder und Jugendlichen liegt fast ausschließlich in den Händen von Laien, die freitags und samstags ihre freie Zeit in den Dienst der religiösen Unterweisung stellen. Dasselbe gilt für viele praktische Aufgaben im Dienst der Gemeinden: von der Kirchenreinigung über die Verkehrsregelung auf den Parkplätzen bis hin zur Kommunionspende. Das Ganze ist getragen von einem tiefen Glauben und einer intensiven Frömmigkeit. Auch unsere Gemeinden bestehen nicht nur aus heiligmäßigen Menschen. Dennoch bin ich vom Engagement unserer Gläubigen immer wieder tief beeindruckt und persönlich bestärkt.
Soziales Engagement. In Bahrain und in den Vereinigten Arabischen Emiraten haben wir insgesamt acht Schulen, die Angehörigen aller Religionen offen stehen. Gegenwärtig besuchen über 18.000 Kinder und Jugendliche diese Schulen bis zur Universitätsreife. Deren Leitung liegt hauptsächlich in den Händen von Ordensschwestern. Im Jemen wirken zudem die „Missionarinnen der Liebe" (gegr. von der sel. Teresa von Kalkutta) in vier Heimen für körperlich und geistig behinderte Menschen sehr segensreich. Insgesamt leben und arbeiten über 70 Ordensschwestern im Vikariat.
Die Golfregion schwimmt im Geld. Doch ist dieses auch hier sehr einseitig verteilt. Von Leuten, die in einem unvorstellbaren Luxus leben, bis zu Gastarbeitern, die sich am Rand des Existenzminimums durchkämpfen, gibt es alle Stufungen. Der Aufbau einer organisierten kirchlichen Sozialarbeit wäre deshalb mehr als angezeigt. In der Praxis erweist sich dies allerdings als schwierig, weil wir sofort mit Bestimmungen zu tun haben, die dem muslimischen Recht folgen, oder eine mindestens 51-prozentige Einbindung von Staatsbürgern verlangen. Das ist für eine kirchliche Institution nur unter Vorbehalten annehmbar. Deshalb läuft die Sozialhilfe über die privaten Kanäle der Pfarreien, in denen neben den Priestern vor allem engagierte Laien aus verschiedenen Nationalitäten oft hervorragende Arbeit leisten.
Begrenzte Freiheit. In den Ländern der Arabischen Halbinsel ist der Islam Staatsreligion. Das hat zur Folge, dass die Religions- und Kultusfreiheit mehr oder weniger begrenzt ist. In den meisten Ländern des Vikariates gibt es aber zum Teil schon seit vielen Jahren Kirchen. Das dafür notwendige Land stellten die jeweiligen Herrscher zur Verfügung. Allerdings sind dabei spezifische Bauvorschriften zu beachten. Kirchtürme oder von außen sichtbare religiöse Darstellungen und Symbole sind nicht statthaft. Die Innenausstattung unterliegt aber keinerlei Beschränkungen. Auf dem jeweiligen Kirchenareal sind wir innerhalb der Umfassungsmauern in der Ausübung unseres Glaubens frei. Wir können daher etwa an Weihnachten oder in der Karwoche und an Ostern, wenn der Andrang der Gläubigen alle Vorstellungen sprengt, auch im Freien Gottesdienst feiern. Da kann es schon vorkommen, dass sich in Abu Dhabi oder Dubai 10.000 und mehr Gläubige zur Weihnachtsmette oder zur Osternachtfeier einfinden.
Eines der großen Probleme, die wir hinsichtlich der Kultusfreiheit haben, besteht darin, dass wir grundsätzlich verpflichtet sind, öffentliche Gottesdienste nur an den uns zugewiesenen Plätzen zu feiern. Diese zu erreichen, ist vor allem für Zehntausende von Arbeitern in den so genannten Labour-Camps oder für die Gläubigen in weit entfernten Städten schwierig. In einzelnen Fällen erlauben die Behörden, dass ein Priester an solche Orte gehen kann.
Abgesehen von Saudi Arabien und Oman unterhalten gegenwärtig alle Länder der arabischen Halbinsel diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan. Der zuständige Apostolische Nuntius residiert in Kuwait. Gleichzeitig muss aber auch der Bischof in den Ländern seiner Zuständigkeit die Beziehungen zu den Regierungen pflegen.
Beziehungspflege. Gerade in der arabischen Kultur steht und fällt vieles mit den persönlichen Beziehungen. Diese zu pflegen, ist oft wegen der Größe und Komplexität des Gebietes fast nicht möglich. Grußbotschaften an den hohen islamischen Feiertagen, Teilnahme an Empfängen oder Besuche bei staatlichen und religiösen Autoritäten gehören gewissermaßen zu den Amtspflichten. Die Beziehungen auf der menschlichen Ebene sind in der Regel hervorragend. Das bedeutet aber nicht, dass deswegen Verhandlungen über dringend neue Kirchenbauten und andere Geschäfte schnell über die Bühne gehen. Wer in Arabien arbeitet, muss Geduld haben und sich diplomatisches Geschick aneignen.
Die Beziehungen unter den Angehörigen der verschiedenen Religionen sind insgesamt gut. Allerdings gibt es eine klare „Hackordnung": Bestimmend ist im öffentlichen Leben der Islam. Die Christen genießen Respekt und in vielen Belangen auch besonderes Vertrauen.
Etwas schwerer haben es die Angehörigen der nicht-monotheistischen Religionen. Gespräche zwischen den Religionen, konkret zwischen Muslimen und Christen, gibt es auch in verschiedenen Ländern von Arabien. Dabei geht es vor allem darum, die Religion und die gesellschaftlichen Bräuche der anderen kennen und respektieren zu lernen, auch wenn auf den ersten Blick vieles schwer verständlich erscheint. Wir dürfen nie vergessen, dass die grundlegende menschliche Sehnsucht nach Beheimatung in der Familie, nach Gerechtigkeit, Frieden, Anerkennung und Liebe unabhängig von der jeweiligen Religion alle Menschen beseelt. Wir dürfen uns diese Erkenntnis nicht verdunkeln lassen durch gewalttätige Minderheiten, die unter religiösem Vorwand das Lebens- und Existenzrecht anderer mit Füßen treten.
Geistgeleitet. Für mich als Sohn des heiligen Franz von Assisi gilt deshalb immer wieder neu die Herausforderung, die er uns Minderbrüdern in der nichtbullierten Regel aufgeschrieben hat: „Die Brüder aber, die hinausziehen, können in zweifacher Weise vom Geist geleitet unter ihnen (den Muslimen) leben. Die erste Art besteht darin, dass sie weder Streit noch Zank beginnen, sondern ‚um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur’
(1 Petr 2, 13) dienstbar sind und bekennen, dass sie an Christus glauben. Die andere Art ist die, … das Wort Gottes zu verkünden: dass man so zum Glauben kommt an den allmächtigen Gott, den Schöpfer aller Dinge, den Sohn, Erlöser und Retter, und durch die Taufe Christ wird."