Ein Vorgeschmack auf den Himmel
Für Antonius-Verehrer wird seine Basilika das Ziel Nummer 1 in Padua sein. Doch die Stadt hat weitere Sehenswürdigkeiten zu bieten, die wir in den nächsten Monaten auf diesen Seiten vorstellen.
Wenn ich mit dem Zug nach Padua fahre, dann führt mich der anschließende knapp halbstündige Fußweg immer an der berühmten Scrovegni-Kapelle vorbei. Es ist etliche Jahre her, dass ich mir ein Ticket gekauft habe, um dieses
Meisterwerk der Kunst von innen zu bestaunen, doch jedes Mal, wenn ich daran vorbei laufe, wird die Erinnerung lebendig: Selten, dass mich eine Kirche, die heute freilich hauptsächlich musealen Charakter hat, so nachhaltig beeindruckt hat!
Eine aufstrebende Familie
Enrico Scrovegni, dessen genaues Geburtsjahr wir nicht kennen, stammt aus einer altehrwürdigen Paduaner Familie. Bei seiner Geburt gehört die Familie schon fast 200 Jahre dem Rat der Stadt an, und hat es dank des Vaters Rinaldo zu stattlichem Reichtum gebracht. Geschickte Heiratspolitik und stets neue kreative Findigkeit, wie man zu Geld kommen und Geld vermehren kann, tragen dazu bei, dass die Familie der Scrovegni ihre soziale, wirtschaftliche und politische Rolle in Padua und bald auch darüber hinaus festigen kann. Als der Vater um 1290 stirbt, erbt Enrico gemeinsam mit seinem Bruder Manfredo das gewaltige Vermögen. Nun liegt es an den Söhnen, den Reichtum der Familie zu sichern und zu mehren – was ihnen offenkundig meisterhaft gelingt. Bestens ausgebildet, wissen Enrico und Manfredo, wie man seinen Einfluss im Padua des 13./14. Jahrhunderts effizient ausübt. Und weil obendrein die Schwestern und Nichten mit adeligen Männern Paduas verheiratet werden, ist der Einfluss der Dynastie auf Jahrzehnte gesichert.
Ein Denkmal für die Ewigkeit
Da verwundert es kaum, dass man auch bauliche Spuren in der Stadt hinterlassen möchte. Am 6. Februar 1300 kauft Enrico ein verfallenes römisches Amphitheater etwas außerhalb der damaligen Stadtmauer. Das Ziel: ein Familienpalast samt Kapelle. Beim geplanten Bau des Gotteshauses mögen aber durchaus auch fromme Motive bzw. Befürchtungen eine Rolle gespielt haben: Vater Rinaldo war nicht nur einflussreich, sondern hatte auch einen Ruf als Wucherer. Das Vermögen der Scrovegnis vermehrte sich wohl durchaus auch auf Kosten vieler Paduaner Bürger – kein Wunder, dass man sich um das Seelenheil des verstorbenen Vaters Sorgen macht. Jedenfalls wird im Jahr 1302 mit dem Bau der Kapelle begonnen. Der einschiffige Raum mit Tonnengewölbe misst 20,5 m × 8,5 m
und ist 18,5 m hoch. Unter einem großen Bogen liegt die 4,49 m x 4,31 m Grundriss messende Apsis im Osten mit polygonalem Abschluss, Kreuzrippengewölbe und zwei hohen gotischen Spitzbogenfenstern. Ein kleiner Glockenturm komplettiert den Kirchenbau. Am 25. März 1305 wird die Kapelle Unserer Lieben Frau von der Nächstenliebe geweiht.
Künstler von Weltrang
Giotto di Bondone (1267 oder 1276 bis 1337) ist da mit seiner Arbeit an der Kapelle noch nicht fertig. Er hatte zu diesem Zeitpunkt schon Aufträge in Florenz und Rom übernommen: Mit der hohen Natürlichkeit und der Lebhaftigkeit seiner Figuren hat er, der in seinem gesamten Werk religiöse Themen behandelt, sich rasch einen Namen gemacht und steht auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Der große Freskenzyklus in der Scrovegni-Kapelle wird häufig als sein Hauptwerk bezeichnet: Wände und Gewölbe wurden von ihm mit insgesamt 39 Fresken ausgestattet, die Szenen aus dem Leben von Joachim und Anna, deren Tochter Maria und aus dem Leben Jesu zeigen. Später, nämlich zwischen 1317 und 1320, entstehen die Fresken der Apsiswände: Ein unbekannter Meister malt im Stil Giottos Szenen vom Lebensende Marias, von ihrer Aufnahme in den Himmel und ihrer Krönung. Das Gewölbe von Altarraum und Hauptschiff sind mit einem blauen Sternenhimmel ausgemalt. Von Giovanni Pisano (ca. 1248 bis 1318) stammen drei Marmorstatuen für den Altar. Hinter diesem befindet sich das Grabmal für Enrico Scrovegni. Dessen Leben nimmt in den folgenden Jahren eine unerwartete Wende. Aufgrund verschiedener politischer Konflikte verlässt er 1320 Padua und siedelt nach Venedig um. Dort stirbt er im Jahr 1336.
Bewahrt über die Jahrhunderte
Vom Scrovegni-Palast ist heute in Padua nichts mehr zu sehen. Die Kapelle jedoch gehört zu den herausragenden Sehenswürdigkeiten. Im 19. Jahrhundert konnte der geplante Abbruch gerade noch verhindert werden. 1880 erwarb die Stadt das Gotteshaus und ließ es mehrfach aufwändig restaurieren. Und während die Bomben der Alliierten während des 2. Weltkriegs die benachbarte Kirche der Augustiner-Eremiten schwer beschädigten, blieb die Scrovegni-Kapelle unversehrt. Heute werden Luftqualität und Schadstoffe streng überwacht. Ein neues Zugangsgebäude, in dem Besucher sich zunächst einige Minuten akklimatisieren müssen, und eine Luftaufbereitungsanlage ermöglichen es, den starken Besucherandrang zu bewältigen, ohne die Erhaltung der Fresken zu gefährden. Es gilt, einen Besuch zeitig zu planen, weil täglich nur eine begrenzte Personenzahl Zugang in das Meisterwerk der
Scrovegni-Kapelle erhält.