Eine Frage der Liebe
Die Predigt des heiligen Antonius zu den Fischen in Rimini ist weltberühmt. Gott hat ihm mit diesem Wunder die Chance gegeben, den ungläubigen Menschen aus Rimini zu zeigen, dass man sich unter Geschöpfen gegenseitig respektieren muss, um im Dialog zu bleiben.
Es war bereits Abend, als sie La Verna erreichten: eine Pfadfindergruppe junger Leute aus einem Dorf in Apulien. Trotz der Einschränkungen durch die Pandemie ist es ihnen gelungen, diesen Ausflug in die wundervolle Natur zu organisieren, an den Ort, den der heilige Franziskus gewählt hatte, um seine schlimmste Lebenskrise zu durchleben, um alleine mit seinem Gott zu sein. Nach dem ersten Lockdown, der in den ersten Monaten des Jahres 2020 begann, kamen die jungen Leute selbst auf ihre Gruppenleiter Luca, 25 Jahre, und Laura, 27 Jahre, zu und baten sie, sie nach La Verna zu begleiten, um etwas von jener Liebe für die Schöpfung nachzuempfinden, die der heilige Franziskus so intensiv gelebt und gespürt hat und die durch die Pandemie wieder in Mode gekommen zu sein scheint. Immer öfter hört man in der letzten Zeit doch Sachen wie: „Die Natur lehnt sich auf!“ oder „Die Pandemie ist gekommen, weil wir die Umwelt nicht respektiert haben!“ oder ähnliche Aussagen.
Im Dialog mit der Schöpfung
Nachdem sie ihre Zelte aufgeschlagen und die erste Nacht darin geschlafen hatten, feierten die Jugendlichen die Frühmesse um 7:00 Uhr im Heiligtum, wo sie doch tatsächlich einer Predigt lauschen konnten, die genau auf ihre Suche und den Grund ihres Ausflugs zugeschnitten zu sein schien. Thema war, wie es gelingen kann, die Schöpfung, die uns anvertraut wurde und die es leid zu sein scheint, von den Menschen so missachtet und misshandelt zu werden, bestmöglich zu respektieren. Der Priester sprach mit seiner warmen und volltönenden Stimme, die gar ohne Mikrophon auskam, davon, wie sehr der heilige Franziskus die Natur geliebt hatte, eben weil er in ihr die deutlichen Spuren der Liebe, die der Schöpfergott auf der Welt hinterlassen hat, erkannt hatte. Und vor allem sprach er davon, wie viele Freunde und Anhängerinnen sich Franziskus in dem Lob der Schöpfung angeschlossen und eine Beziehung zu den Geschöpfen entwickelt hatten, die wir uns heute kaum noch vorstellen können. Bald kam der Prediger auch auf den heiligen Antonius zu sprechen und erzählte von der Begebenheit, als Antonius in Rimini, an der Mündung des Flusses Marecchia in die Adria, zu einer großen AnzahlFischen gepredigt hatte. Bei diesem Anlass waren die Fische, die ja eigentlich stumme und taube Lebewesen sind, nicht nur fähig, den Worten des Antonius zuzuhören, sondern haben ihm auch in einer fröhlichen Form durch Geräusche, die sie erzeugten, geantwortet. Antonius hatte den Fischen gesagt, wie sehr sie von Gott geliebt werden und dass er ihnen das Element Wasser geschenkt hatte, wo sie Lebensraum und Zuflucht finden, und wie oft in der Bibel davon gesprochen wird, welch wichtige Rolle sie, die Fische, in der heiligen Geschichte und auch im Leben Jesu hatten. Dieses offensichtliche Wunder des Dialogs zwischen Antonius und den Fischen hatte viele Ketzer herbeigelockt, die kurz zuvor nicht den Predigten des Heiligen zuhören wollten und die nun, nachdem sie dieses Wunder erlebt hatten, auf ihn hörten und sich konvertierten und an die Liebe Gottes zu allen Geschöpfen glaubten.
Die zuhörenden Jugendlichen in ihrer Pfadfinderuniform, manche von ihnen mit Rastalocken, Nasenpiercings, mehreren Ohrringen und dem einen oder anderen Tattoo, das unter den aufgerollten Ärmeln zum Vorschein kam, die in den ersten Morgenstunden in gebotenem Abstand auf den Holzbänken saßen, gaben sicher ein buntes und ungewohntes Bild ab.
Aus dem Gleichgewicht
Laura, die Gruppenleiterin, beobachtete sie: Sie begleitete die Messe auf der Gitarre, gemeinsam mit einem Bruder an der Orgel, und hatte so eine gute Sicht auf die gesamte Truppe. Sie sah ihre Gefühle, bei manchen sehr deutlich, bei anderen eher unterdrückt, auf den etwas blassen und noch müden Gesichtern. Auch sie, fast zehn Jahre älter als die Jugendlichen der Gruppe, stellt sich dieselben Fragen: Wie konnte es passieren, dass der menschliche Wahnsinn das natürliche Gleichgewicht auf eine Art und Weise zerstört hat, die zu einer so offensichtlichen Verwüstung geführt hat, von der die Pandemie nur die Spitze des Eisbergs ist, zusammen mit dem Klimawandel, der eine zunehmende Wüstenbildung in den armen Gegenden der Welt befördert, der großen Armut aufgrund der ungerechten Verteilung der Reichtümer – und das alles, weil man die Natur, die Gott uns als Lebensraum geschenkt hat, nicht mehr respektiert? Aber all das ist eher die Rhetorik von Nachrichtensendungen, und Greta Thunberg schreit ihren Unwillen ja bereits mit vielen anderen den Mächtigen der Welt entgegen, es gibt Sitzstreiks der Grünen, viele junge Menschen gehen auf die Straße, um gegen die verschiedenen Gipfeltreffen zu demonstrieren…. Aber was für eine Bedeutung haben nun die Fische, mit denen der heilige Antonius gesprochen hat?
Unabhängig davon, was Laura darüber dachte, war ihr Problem ein anderes: Was sollte sie den Jugendlichen antworten, die sie ja ganz sicher nach der Messe zu dieser unwahrscheinlichen Erzählung befragen würden?
Tiefer Sinn von Gott
Ihr wurde sogar fast ein wenig übel, ihre Arme wurden auf einmal schwer, und ihre Gitarre kam ihr so unförmig vor wie nie zuvor, so unförmig wie die Antworten, die sie nicht hatte. Der Bruder indes predigte weiter: „Wir sind von Hütern der Natur zu deren Besitzern geworden. Die Heiligen Franziskus und Antonius hatten einen Weg gefunden, um mit der Natur und den Tieren im Gespräch, im Austausch zu bleiben, indem sie sie respektiert und ihnen ihren Lebensraum gelassen haben…“ Ja, das stimmt wohl.
Und noch eine Stelle der Predigt ließ Laura aufhorchen; „Denn aus dir, Allmächtiger, hat die Schöpfung ihren tiefen Sinn bekommen!“ Der Bruder fuhr fort, er war wirklich in seinem Element: „In seinem Sonnengesang hat Franziskus Gott gelobt durch alle seine Kreaturen, allen voran die Sonne. Alles trägt einen tiefen, von Gott geschenkten Sinn!“ Laura trafen diese Worte mitten ins Herz: Das kann der Schlüssel sein zu allem, ohne große Rhetorik! Diese Worte konnten ihr helfen, sich den Jugendlichen mit ihren Fragen zu stellen: Alle Geschöpfe tragen den Abdruck jener unendlichen Liebe, die Gott für uns alle hat, für jedes Lebewesen und jedes Element, das er geschaffen und in den wundervollen Garten gestellt hat, in dem wir leben – denselben Garten, in dem die Barbados-Inseln am Verschwinden sind, weil sie in einem Ozean zu versinken drohen, dessen Wasserpegel durch die auf der anderen Seite der Erde abschmelzenden Gletscher ständig ansteigt.
Echter Respekt ohne Angst
Und was also hat Antonius bei dieser einmaligen Gelegenheit, in der die Fische ihm antworten konnten, von Gott erhalten, wenn nicht die Möglichkeit, den Menschen von Rimini zu beweisen, dass es wichtig ist, im Dialog mit den Mitgeschöpfen zu bleiben, indem man sich gegenseitig respektiert? Letztendlich hat Antonius den Fischen einfach nur gesagt, wie sehr sie von Gott geliebt werden, worauf sie mit großer Freude reagiert haben. Das, so dachte sich Laura, muss sie den Jugendlichen vermitteln, zusammen mit den klassischen Appellen, Müll zu trennen oder Wasser zu sparen, dass sie gemeinsam lernen müssen, in jedem Wesen den „Sinn“ Gottes zu erkennen, der uns alle seit jeher in unermesslicher Weise liebt. Das führt zu einem echten Respekt gegenüber der Schöpfung, aber es muss von innen heraus kommen, ohne Slogans und nicht nur aus Angst davor, dass unsere Erde in den nächsten 100 Jahren zu Grunde gehen wird: Dieser Respekt muss aus Liebe wachsen, nicht aus Angst.
Irgendjemand schüttelte sie an der Schulter – sie war so in ihren Gedanken versunken, dass sie fast verpasst hätte, die Gabenbereitung zu begleiten.