Eine Schule im Namen der Märtyrer

24. Mai 2012 | von

Das Geschenk an den heiligen Antonius zu seinem Festtag am 13. Juni wird in den Anden von Peru stehen. Die bedürftigen Kinder in den Bergdörfern, oft bis 4000 Meter hoch gelegen, sollen durch außerschulische Betreuung Anschluss an die Standardausbildung des Landes Peru bekommen. Doch der geplante Neubau wird auch sozialen und pastoralen Aufgaben dienen, für Jugendliche und junge Erwachsene.


 „Zbigniew! Zbigniew, donde estas? – Zbigniew! Zbigniew, wo steckst du?“ ruft Mama Norma und schaut rechts und links die Straße entlang, um herauszufinden, wo sich ihr jüngster Sohn mal wieder herumtreibt. Und da kommt er schon mit seinen Freunden um die Ecke gelaufen, sie wirbeln eine Staubwolke auf. Höflich reicht Zbigniew Lofi Rodriguez den Besuchern aus Europa sein kleines, braunes Händchen. Einen kurzen Moment lang zögert er schüchtern, dann huscht ein Lächeln über sein ernstes Gesicht und seine dunklen Augen leuchten auf. Wie kommt es, dass dieses neunjährige Kind mit den typisch peruanischen Gesichtszügen einen slawischen Namen trägt, mit den vielen schwierigen Konsonanten? Wir befinden uns mitten in den Anden, in Pariacoto. Der Ort liegt auf 1.200 Metern Höhe, umgeben von braunen, kargen Bergrücken.



ZWEI MINORITEN ALS MÄRTYRER

Hinter diesem fremden Namen steckt eine Geschichte, die gar nicht so weit zurückliegt. Genau hier wurde im Jahr 1989 die erste Mission der Minoriten in Peru eingepflanzt, sechzig Kilometer vom Pazifischen Ozean und 500 Kilometer von der Hauptstadt Lima entfernt. Die drei jungen Minoriten, die diese Mission begründeten, waren Bruder Jarek Wysoczański, Bruder Michaľ (Miguel) Tomaszek und Bruder Zbigniew Strzaľkowski aus der Krakauer Ordensprovinz Sankt Antonius. Nach nur zwei Jahren intensiver Tätigkeit überfielen am 9. August 1991 Terroristen des Sendero Luminoso (Leuchtender Weg) die Mission, entführten die Brüder Miguel und Zbigniew und ermordeten sie auf brutale Weise. Sie waren erst 31 und 33 Jahre alt. Bruder Jarek entging dem Gemetzel, da er sich wegen der Hochzeit seiner Schwester in Polen aufhielt. Der Einsatz dieser beiden Märtyrer für die Evangelisierung – die Kirche hat sie bereits als „Diener Gottes“ anerkannt, ihre Seligsprechung ist eingeleitet – ist nicht mit ihnen gestorben, wie es die maoistischen Guerillakämpfer gerne gesehen hätten.

Das Martyrium dieser beiden polnischen Brüder hat das Leben an diesem Ort geprägt, der kleine Zbigniew ist ein Hinweis darauf. Seine Mutter Norma erklärt es: „Ich habe drei Söhne. Der älteste mit 15 Jahren heißt Francisco, denn als ich die Franziskaner kennenlernte, übernahm ich ihre Spiritualität. Den zweiten nannte ich Miguel, in Erinnerung an den Pater, der sich um uns Jugendliche gekümmert hat. Er war immer guter Laune, mit einer optimistischen Lebenseinstellung, richtig mitreißend. Er wollte mit jedem sprechen können, lernte sogar einige Sätze in Quechua [gesprochen: ketschua], unserer einheimischen Sprache, mit Wurzeln im Inka-Reich.“

Dann blickt Norma lächelnd auf ihren dritten Sohn Zbigniew: „Er heißt wie unser Bruder doctorcito, der kleine Gelehrte. Er wirkte streng, hatte aber ein sensibles Herz für unsere Bedürfnisse, besonders im Bereich Gesundheit. Und eigenartig, meine Söhne haben die Charaktereigenschaften dieser Brüder übernommen. Der Kleinste zum Beispiel ist introvertiert, doch charakterlich stark. Ihm erzähle ich oft vom doctorcito und nehme ihn mit in die Kirche oder an den Ort des Martyriums. Dort beten wir zu seinem Namenspatron.“



EINER BLEIBT VERSCHONT UND KEHRT ZURÜCK

Inzwischen sind andere Minoriten an die Stelle der Ermordeten getreten. Sie haben die Caritas Antoniana eingeladen, sich an einem Projekt für arme Kinder zu beteiligen, das die ermordeten Missionare bereits angedacht hatten: „Centro pastoral social san Antonio de Padua in Pariacoto“, so lautet das Projekt, das wir Ihnen zum Festtag des heiligen Antonius am 13. Juni ans Herz legen wollen. Worum handelt es sich?

Norma erklärt es der Delegation aus Padua. Pater Paolo Floretta vom Messaggero und der Caritas Antoniana und seine Begleiter verstehen mit ihren „italienischen Ohren“ das Spanisch von Norma. Und falls es einmal nicht klappt mit der Verständigung, springt Pater Jarek ein, der dritte Mitbruder der beiden Märtyrer, der überlebt hat. Inzwischen ist er Generalsekretär für missionarische Animation des Minoritenordens, mit einem Büro in Rom. Ihn beschäftigt, dass jetzt im August 2011 genau zwanzig Jahre seit dem Martyrium vergangen sind: „Immer noch schwirren mir die Fragen von damals durch den Kopf. Warum hat Gott mich verschont? Was erwartet er von mir? Welchen Weg soll ich einschlagen?“ Man merkt am Auftreten und am Lebensstil von Bruder Jarek, dass ihn diese Fragen nicht niederdrücken, sondern Kräfte freisetzen. Die Armen stehen für ihn jetzt im Mittelpunkt. Ihnen will er Hoffnung bringen, liebevoll und mit einem Lächeln. Die Leute hier begrüßen herzlich ihren lieben Freund.

Beim Gespräch mit Norma, unter strahlend blauem Himmel, durchqueren wir den Ort mit seinen geduckten Häusern aus rohen Lehmsteinen und Blechdächern. Von unserem Ziel dringt bereits freudiges Kindergeschrei zu uns; es nimmt an Lautstärke zu, als die Kinder Norma erkennen.



DIE SCHULE DER BRÜDER

Die Mutter von Francisco, Miguel und Zbigniew ist Lehrerin. Sie unterrichtet Mathematik, allerdings nicht an der offiziellen Schule des Ortes, sondern hier, an der Escuelita de nivelación der Brüder. Wörtlich wäre das zu übersetzen mit „Kleine Schule des Ausgleichs“, als Ergänzung und Nachhilfe zum offiziellen Unterricht. Die Missionare haben 2001 mit dem Bau begonnen, um den ärmsten Kindern dabei zu helfen, auf den gleichen Stand des staatlichen Unterrichts zu kommen. Das öffentliche Bildungswesen lässt einiges zu wünschen übrig, es ist wenig effizient. Das liegt nicht nur an der Armut der Bevölkerung, sondern auch an der schlechten Ausbildung der Lehrer. Die qualifizierten Lehrkräfte arbeiten lieber in den Städten entlang der Küste, nicht in Pariacoto, inmitten der Anden, oder gar in kleinen Bergdörfern, wo es an allem mangelt.

Die Initiative der Brüder ist weit mehr als Hausaufgabenbetreuung. Hier werden die Kinder aufgenommen, versorgt, sozusagen von der Straße weggeholt. Sie bekommen etwas zu essen und haben die Möglichkeit, sich wenigstens Grundkenntnisse in Spanisch, Geschichte, Naturwissenschaften und Mathematik anzueignen. Die Armut dieser Kinder und ihrer Familien hat sehr viel mit fehlender Bildung zu tun. Indem sie hier Grundfähigkeiten erwerben – Lesen, Schreiben, Rechnen –, können diese Erwachsenen von morgen an einer besseren Zukunft bauen, für sich selbst und für diese Anden-Täler, die von Spekulationen bedroht sind. Vor ein paar Jahren wurden hier nämlich einige Mineralvorkommen geortet, von deren Abbau höchstwahrscheinlich nur die großen Multikonzerne profitieren, während die Interessen der einheimischen Bevölkerung nicht berücksichtigt werden. So ist es bereits in anderen Gegenden Perus geschehen. Daher ist für das gesamte Missionsgebiet um Pariacoto eine bessere Bildung wichtig, damit sie das Land ihrer Väter verteidigen können.



EINSTURZGEFÄHRDET

In der escuelita beginnt der Unterricht in zwei Schulräumen. Die etwa 80 Kinder zwischen 6 und 11 Jahren lassen sich von den Besuchern aus Europa nicht ablenken, in ordentlichen Reihen folgen sie ihren Lehrerinnen in die Klassenräume, beten das Vaterunser und das Ave Maria, dann bitten sie Bruder Paolo und Bruder Jarek um den Segen. Erst jetzt nehmen sie Bleistift, Bücher und Hefte zur Hand (alles gehört der Schule), setzen sich und lösen die Aufgabe, die die Lehrerin ihnen gestellt hat.

Ein einfacher, ordentlicher Raum. Die Schautafeln an den Wänden zeigen Bild und Begriff nebeneinander, weiteres didaktisches Material wird in Regalen aufbewahrt. Der Mathematik-Raum wirkt ärmlicher: die Fensterscheiben kaputt, der Putz bröckelt, die Bänke vollgekritzelt. Doch faszinieren die Gesichter der Kinder, die sich auf die Aufgaben konzentrieren. 

Die eigentliche Bedrohung steckt in den tragenden Mauern. In den 70er Jahren wurde Pariacoto von einem Erdbeben verwüstet. Beim Wiederaufbau wurde ein verheerender Fehler begangen: Die Schule der Brüder wurde zwar in einer erdbebensicheren Bauweise mit biegsamen Holzstrukturen innerhalb der Lehmstein-Mauern erbaut, doch das Holz war nicht vorbehandelt, und jetzt vermodert es langsam. Dadurch ist das ganze Gebäude höchst einsturzgefährdet. Die Brüder wollten die Schule schon schließen, da eigene Mittel zur Sanierung fehlen. Jetzt blicken alle auf Sie, die Freunde und Wohltäter des heiligen Antonius in der ganzen Welt. Mit Ihrer Hilfe kann die alte escuelita abgerissen und neu aufgebaut werden, größer und sicherer. Mit dem neuen Zentrum soll einiges in Bewegung kommen, neben der schulischen Ausbildung auch pastorale und soziale Aktivitäten, sowie Kurse für Jugendliche und Erwachsene. Dies stellen wir uns vor unter dem „Centro pastoral social san Antonio de Padua in Pariacoto“ – die Antoniusfamilie darf stolz darauf sein.



ZUHAUSE BEI LEIDY, ANALUZ UND JORGE

Pater Jarek fasst zusammen: „Zum Missionsgebiet gehören fünf Pfarrgemeinden mit 72 kleinen Dörfern, bis 4.000 Meter hoch gelegen. Wenn wir bedürftigen Kindern eine schulische Ausbildung geben, haben sie eine Chance auf eine bessere Zukunft.“

Begleitet von Norma, besucht die Delegation aus Padua drei Schüler der escuelita zu Hause: Leidy, Analuz und Jorge. Die Mutter hält das jüngste ihrer zehn Kinder auf dem Arm, der Vater arbeitet noch auf dem Feld. In den Zimmern liegen Kleider und Schlafmatten wild durcheinander auf dem Boden. Die Wände, der Boden, sogar die Sitzbänke sind aus Lehm. Hier kann niemand Hausaufgaben machen. Doch auf dem Tisch steht ein Korb voller Bananen und Äpfel. Das Obst wurde extra für den hohen Besuch gekauft. Pater Paolo und Pater Jarek zögern. Ringsherum herrscht die totale Armut und wir werden so großzügig beschenkt! Bruder Jarek nimmt es an, um diese arme Frau nicht zu demütigen.


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016