Einen Gang zurückschalten
Bevor Antonius als nimmermüder Prediger in Frankreich und Norditalien unterwegs sein wird, finden wir ihn kurz nach seiner unerwarteten Ankunft in Italien in der Einsiedelei von Montepaolo. Hier baut er am geistlichen Fundament seines Lebens.
Bei allen Irrungen und Wirrungen: Es ist ein beschäftigtes Leben, das Antonius bislang führt. Während seiner Zeit als Augustiner-Chorherr in Lissabon und später Coimbra spielt das Studium eine große Rolle. Der Tagesablauf der Mönche ist streng geregelt: Gebetszeiten, das gemeinsame Mahl, Dienste in Konvent und Kirche – viel Zeit fürMüßiggang wird da nicht geblieben sein. Und Fernando, wie er damals noch heißt, hat auch nicht den Ruf, einer von denen zu sein, die sich „wegducken“ und der Arbeit aus dem Weg gehen.
Als er schließlich die Minderbrüder kennenlernt, gilt es, möglichst rasch den Orden mit seinen Idealen kennenzulernen. Und dann folgt ja auch bereits der Aufbruch in die Mission nach Marokko. Da läuft es zwar nicht nach Plan – doch von Ruhe und Stille war da ganz bestimmt keine Spur. Vielmehr wird Antonius mit seiner Krankheit und dem Gesundwerden beschäftigt gewesen sein. Schließlich die abenteuerliche Rückfahrt, die ihn in Sizilien ankommen lässt. Und von dort gleich der Aufbruch mit den anderen Brüdern in Richtung Assisi zum Kapitel. Aufregende Zeiten…
Göttliche Fügung
Aufregend war wahrscheinlich auch, dass er bei der Verteilung der Brüder während des Kapitels fast übrig geblieben wäre. Der zuständige Obere für das Gebiet der Romagna, Br. Graziano, nimmt sich schließlich des jungen Portugiesen an. Der Verfasser der Assidua spricht von einer „göttlichen Fügung“. Auf diese Weise nun gelangt Antonius in die Einsiedelei von Montepaolo. „Dort“, so ist in der Assidua weiter zu lesen, „jenseits allen weltlichen Treibens, tauchte er in den Frieden der Stille ein“.
Diese Stille ist geregelt durch Franz von Assisis „Regel für Einsiedeleien“. Franziskus selbst hatte immer wieder den Wunsch, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen. In seiner Gemeinschaft gab es offenkundig mehrere Brüder, die diese Berufung in sich verspürten: in der Zurückgezogenheit ganz für Gott da zu sein. Deshalb ist schließlich eine eigene Regel entstanden, die diese Art von Leben ordnen sollte.
Geregeltes Einsiedlerleben
Berühmt geworden ist das Wort von den „Müttern“, mit dem die Regel beginnt: „Jene, die für ein intensiveres religiöses Leben in Einsiedeleien verweilen wollen, sollen zu drei oder höchstens vier Brüdern sein. Zwei von ihnen sollen die Mütter sein und zwei Söhne oder wenigstens einen haben. Jene beiden, die Mütter sind, sollen das Leben der Martha führen, und die beiden Söhne sollen das Leben der Maria führen; diese sollen einen geschlossenen Bezirk haben, in dem ein jeder seine Zelle habe, in der er bete und schlafe.“
Heute würde man sagen: Die „Mütter“ kümmern sich um die Dinge des täglichen Bedarfs und die „Söhne“ widmen sich besonders intensiv dem Leben im Gebet. Dann legt Franziskus aber auch fest: „Die Söhne aber sollen bisweilen das Amt der Mütter übernehmen, wie es ihnen gut scheint, dies abwechselnd für eine Zeit zu regeln, auf dass sie sorgsam und eifrig bemüht seien, all das oben Gesagte zu beobachten.“
Im franziskanischen Verständnis ist das Leben als Einsiedler, welches Antonius nun beginnt, also erstens keine vollkommen zurückgezogene Existenz, die er irgendwo komplett alleine lebt – und zweitens auch nicht unbedingt eine Lebensform, die man bis zum Tod leben würde.
Rückzug in die Einsamkeit
Doch nun widmet sich Antonius mit frommem Eifer der Chance, die sich ihm gerade auf Montepaolo eröffnet hat. Die Assidua berichtet, wie sehr er darauf bedacht ist, von seiner Zeit als Einsiedler geistlich zu profitieren: „Nachdem der Mann Gottes diese Grotte gesehen hatte und sie ihm als sehr geeigneter Ort für seine eigene Frömmigkeit erschien, wandte er sich bittend an den Bruder, damit dieser ihm jenen Zufluchtsort überließ. Als er also diesen Ort des Friedens erhalten hatte, zog der Diener Gottes sich jeden Tag, nachdem er die verpflichtenden Morgengebete mit der Gemeinschaft verrichtet hatte, in jene Zelle zurück. Dabei nahm er ein kleines Stück Brot und eine Schüssel voll Wasser mit sich. Auf diese Weise verbrachte er den Tag in aller Einsamkeit und zwang das Fleisch, allein dem Geist zu dienen. Nichtsdestotrotz kehrte er immer zum Zeitpunkt der Zusammenkunft der Brüder zurück, so wie es die Regel vorschreibt.“
Arbeit am geistlichen Fundament
Es gehört wohl in den Bereich der Spekulation, ob, und falls ja, wie lange, Antonius plant, in dieser Zurückgezogenheit zu leben. Der Blick nach vorn in seine Biografie verrät ja auch, dass er bald auf den großen Bühnen der damaligen Zeit stehen wird. Doch im Augenblick geht es um etwas anderes. Er befindet sich wohl in einer Phase, da er am geistlichen Fundament seines Lebens baut. Mit dem Studium der Heiligen Schrift und der Lektüre der Schriften der Väter hat er sich in Portugal eine reiche Kenntnis an Theologie angeeignet. Vielleicht ist die Zeit in Montepaolo so etwas wie die Gelegenheit, dieses Wissen zu meditieren und es existenziell werden zu lassen – das geistliche Fundament zu festigen.
Und es braucht wohl jeder Mensch solche Phasen, in denen es nicht darum geht, effizient und vordergründig produktiv zu sein. Es muss wohl jeder bisweilen einen Gang zurückschalten, das Tempo herausnehmen, damit die Seele wieder nachkommen kann – und dabei geht es um weit mehr als das, was heute unter dem Schlagwort „Wellness“ angepriesen wird.
Fortschritt mit Geduld
In der Tradition der Kirche sind es die Wüstenväter, die sich seit dem späten 3. Jahrhundert in die Einsamkeit zurückziehen. Immer wieder werden sie als Ratgeber aufgesucht. Wer zu ihnen kommt, weiß, dass der zu erhaltende Rat einer ist, der aus der fortwährenden Beschäftigung mit Gott stammt. Es werden keine hohlen Phrasen gedroschen. Diese Weisheit zu erreichen, braucht Zeit und Geduld und wohl noch viel mehr: göttliche Gnade. Beispielhaft mag eine der vielen überlieferten Vätergeschichten aufzeigen, wie lange echte Entwicklung braucht: „Ein Bruder saß in der Kellia, und durch die Einsamkeit kam er in Unruhe. Er ging zum Altvater Theodor von Pherme und sagte es ihm. Da belehrte ihn der Greis: ‚Wohlan, demütige dein Denken, ordne dich unter und bleibe bei den anderen.‘ Er kam wieder zum Altvater zurück und eröffnete ihm: ‚Auch unter den Menschen finde ich keine Ruhe!‘ Der Alte sagte darauf: ‚Wenn du allein nicht zur Ruhe kommst und auch unter den anderen nicht, wozu bist du dann ein Mönch geworden? Etwa nicht, um Bedrängnis zu dulden? Sage mir, wie viele Jahre trägst du eigentlich das Mönchsgewand?‘ Er sagte: ‚Acht!‘ Da sagte nun der Greis: ‚Wirklich, ich zähle 70 Jahre in diesem Kleide, und keinen Tag habe ich Ruhe gefunden – und du mit deinen acht verlangst Ruhe zu haben?‘ Als der Bruder das hörte, ging er gestärkt davon.“
Antonius wird weder acht noch 70 Jahre in Montepaolo bleiben. Doch diese Phase ist ihm wichtig. Und sie ist unverzichtbare Vorbereitung für das, was kommen wird.