Entdecker fremder Welten

27. Januar 2015 | von

Sven Hedin hat einige weiße Flecken auf europäischen Landkarten mit Farbe gefüllt. In vier Expeditionen nach Zentralasien entdeckt, kartographiert, beschreibt und fotografiert er den bis dato in Teilen noch unbekannten Kontinent. Geboren wurde er vor 150 Jahren, am 19. Februar 1865.



Schon als Schuljunge soll Sven Anders Hedin sich mit Leidenschaft in die geographischen Welten der Atlanten vertieft haben, wo er die Grenzen fremder Länder, die er nur aus dem Unterricht kannte, sorgsam nachzog. Vor 150 Jahren, am 19. Februar 1865, wird der weltbekannte Geograph in Schwedens Hauptstadt Stockholm geboren.

Sein Vater ist der Stadtarchitekt Abraham Ludvig Hedin. Als Sven im Alter von 15 Jahren die triumphal gefeierte Rückkehr des Polarforschers Adolf Erik Nordenskiöld in den Straßen von Stockholm miterlebt, nachdem diesem die Befahrung der Nordpassage gelungen war, steht sein Berufswunsch fest: Er will Entdeckungsreisender werden. Noch als Abiturient 1885 vermittelt ihm sein Gymnasialdirektor eine Stelle als Hauslehrer bei der Familie eines schwedischen Ingenieurs in Baku am Kaspischen Meer. Schweren Herzens, aber voller Abenteuerlust, nimmt er Abschied von Eltern und Geschwistern und reist zum ersten Mal in weite Ferne.

Acht Monate dauert die Anstellung und Hedin nutzt jede Sekunde: Neben Deutsch und Englisch lernt er jetzt Persisch, Tatarisch und Russisch. Am Ende seines Lebens wird er sieben Sprachen beherrschen. Mit seinem Lehrergehalt bereist er Persien zu Pferde und wird infiziert von der „asiatischen Freiheit“, die ihn nicht mehr loslassen wird. Seine Eindrücke fasst er in einem Buch auf 461 Seiten, in 128 Fotos und zwei Karten zusammen.



ABENTEUER STATT SCHULBANK

Zurück in der Heimat, studiert Sven Hedin von 1886 bis 1888 in Stockholm und Uppsala Geologie und geht dann 1889 nach Berlin zu Ferdinand Freiherr von Richthofen, dem deutschen Geographen und Chinaforscher. Dieser bestärkt seinen Studenten darin, das Studium geographischer Methoden aufzunehmen. Doch Hedin ignoriert den Rat, weshalb die Auswertung seiner Forschungsergebnisse stets andere Wissenschaftler übernehmen mussten. „Ich war zu früh auf die wilden Wege Asiens hinausgekommen, […]. Ich konnte mich mit dem Gedanken nicht befreunden, wieder für längere Zeit auf der Schulbank zu sitzen“, erklärt er später. 1890 ergreift er die Gelegenheit, als Dolmetscher an die schwedische Botschaft in Teheran zu gehen. Von dort aus marschiert er durch das chinesische Turkestan. Bald erweist er sich als guter Netzwerker und kann Kontakte zu Förderern für kommende Projekte knüpfen.

Zwischen 1894 und 1908 erforscht und kartiert er in drei waghalsigen Expeditionen die Wüstengebiete und Gebirge Zentral-asiens. Schon die erste Tour durch die Wüste Taklamakan erweist sich als Höllenweg. Bereits nach einigen Wochen geht der Karawane das Wasser aus. Kamelurin und Hühnerblut halten die Mannschaft gerade so am Leben. Von acht Kamelen überlebt nur eines. Hedins Entdeckergeist bleibt davon unberührt. Kaum erholt von den Strapazen, macht er sich erneut auf den Weg durch Tibet nach Kalkutta. Am See Lop Nor findet er die Ruinen der ehemaligen Königsstadt Loulan. Verkleidet als Pilger will er 1900 die tibetische Hauptstadt Lhasa besuchen, deren Zutritt für Ausländer streng verboten ist. Doch er wird enttarnt und aus dem Land geleitet.



AUF DEM DACH DER WELT

1905 bis 1908 stößt Hedin in seiner dritten Expedition im Nordwesten Tibets auf eine Gebirgskette, die er Transhimalaja nennt. Er gelangt an den Manasarowar, den heiligen See der Tibeter, übersteht die Angriffe wilder Yaks, erkämpft sich seine Weiterreise durch hartnäckige Verhandlungen und entdeckt schließlich die Quellen der Flüsse Indus, Brahmaputra und Sutlej. In der Klosterstadt Tashi Lhumpo lädt ihn nun sogar der 9. Pancha Lama zu einem religiösen Fest ein. Hedin betritt Welten, die vor ihm kein Europäer gesehen hat und dokumentiert alles in mehreren Tausenden Metern Aufzeichnungen, in Fotografien und Aquarellen. Als er 1909 nach Stockholm zurückkehrt, wird er ebenso triumphal empfangen, wie er es sich mit 15 Jahren erträumt hatte.

Seine vierte und letzte große Reise wird die Chinesisch-Schwedische-Expedition sein. Geplant ist zunächst ein Überflug: Die Lufthansa wollte die Route Berlin – Shanghai erkunden. Doch bekamen die Forscher keine Überflugrechte, also leitet Hedin zwischen 1927 bis 1935 ein Team aus deutschen, chinesischen und schwedischen Wissenschaftlern auf dem Landweg auf einer internationalen Forschungsreise, um die meteorologischen, topographischen und prähistorischen Gegebenheiten in der Mongolei, der Wüste Gobi und Xinjiang zu erforschen. Sie sammeln Stoff für 55 Bände, deren letzter erst über 30 Jahre nach Hedins Tod erscheinen wird.



UMFANGREICHER NACHLASS

Zur Krönung seines Lebenswerkes plant der große Entdeckungsreisende den „Zentralasien-Atlas“. Als Schweden sich zur Finanzierung nicht in der Lage sieht, wendet sich Hedin an die deutsche Regierung. Ungeachtet seiner jüdischen Vorfahren, sympathisiert er mit den Nationalsozialisten. Nur die Zensur der Wissenschaften lassen ihn an Hitlers Politik Kritik üben. Zwar setzt er sich auch für die Freilassung seines jüdischen Freundes Alfred Philippson und dessen Familie ein, doch sein Ruf bleibt bis heute stark beschädigt. 1949 schreibt der Spiegel: „Sven Hedin ist ein einsamer, fast vergessener Mann geworden. […] es ist lange her, daß Hedin diese kleinen Aufmerksamkeiten seiner Heimatstadt empfing. Selten fährt jetzt der automatische Fahrstuhl einen Besucher bis zum 7. Stockwerk.“ Am 26. November 1952 stirbt der einst hochdekorierte und geehrte Forscher. Seinen umfangreichen Nachlass hat er der Schwedischen Akademie der Wissenschaft hinterlassen.





Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016